„ganzheitliche, patentierte HoloTrack-Technologie“

felix schwenzel, , in wirres.net    

letzte woche donnerstag las ich auf dwdl.de eine pressemitteilung der firma laterpay (original PDF). während dwdl, die sich gerade selbst gross gefeiert haben, genau wie horizont.net, die pressemitteilung für sich sprechen lässt, recherchiert und hinterfragt das online-magazin kloake gulli in einer meldung zur pressemitteilung ein bisschen:

Ab 2012 soll es bei dem Nachrichtenportal Stern.de eine tiefgreifende Veränderung geben. Konkret sollen spezielle journalistische Inhalte ab dann über ein Bezahlsystem abgerufen werden können. Die Bezahlung wickelt der Münchner MicroPayment-Entwickler LaterPay ab.

[…]

Ebenfalls nicht gänzlich uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass das Unternehmen keine bisherigen Nutzer des Systems vorstellt und sich solche bei einer schnellen Suche auch nicht finden lassen. Laut dem Handelsregisterauszug wurde der Unternehmenszweck auch erst vor wenigen Monaten explizit hinsichtlich "Payment Interaktionsverfahren" erweitert.

in der pressemitteilung zitiert sich laterpay-gründer und -geschäftsführer cosmin-gabriel ene wie folgt:

Von Anfang an wurde LaterPay konsequent aus Sicht des Users entwickelt und auf die Bedürfnisse der Paid-Content- Anbieter ausgerichtet. Wesentliches Ziel von LaterPay ist die Heranführung des Users an Paid-Content über niedrige Einstiegsschwellen.

aha. nachdem sich also immer wieder grosse und kleine unternehmen daran versucht haben, ein micropayment-system zu entwickeln das sowohl von den nutzern, als auch den anbietern akzeptiert wird — und bis jetzt alle daran gescheitert sind (2005: PayPal: Neues Preisschema speziell für Micro-Payments, 2010: Paypal führt Micropayment ein — wer benutzt Vodafone „Mobiles-Bezahlen“ oder mpass.de?) — kommt jetzt laterpay und löst alle probleme an denen so viele vorher gescheitert sind?

nichts gegen micropayment, im gegenteil, ein funktionierendes system wäre grossartig.

ich bin allerdings skeptisch. ganz allgemein, wenn ich mir die website von laterpay ansehe, wenn ich ankündigungen von ungelegten eiern lese und vor allem, wenn ich sätze lese wie diese:

LaterPay kombiniert die Benutzerfreundlichkeit von kostenlosem Content mit einer Zahlungsverpflichtung und senkt dadurch die Einstiegshürde in die Welt des bezahlten Contents signifikant. LaterPay wandelt unbekannte User in zahlende User.

laterpay behauptet, dass man sich als benutzer „weder vorher registrieren“ muss, noch „vorab persönliche Daten oder Kontodaten bekannt geben“ müsse. solange der warenkorb noch keine fünf euro erreiche, entstünden keine kosten und es seien weder eine registrierung, noch die angabe „persönlicher daten“ notwendig.

wie das funktionieren soll?

LaterPay bedient sich der ganzheitlichen, patentierten HoloTrack-Technologie, um das Endgerät des Users zu begleiten: vom Zeitpunkt der ersten Nutzung von kostenpflichtigem Content bis zur Zahlung.

gnihihi. ganzheitliche holotrack-technologie. was mich wundert: warum nicht auch noch „nachhaltig“?

am 29.09.2011 schronb ix eine email an laterpay, um nachzufragen was denn an kosten auf benutzer zukomme, wenn sie mehr als €5 im warenkorb haben und welche persönlichen daten dann angegeben werden müssten, die mail kam aber als unzustellbar zurück. wohlgemerkt: ich habe die email an die auf der website angegebene emailadresse geschrieben.

immerhin wurde die email an den „Kontakt für Presse“ zugestellt und einen tag später beantwortet: „wir haben Ihre Fragen an LaterPay weitergeleitet und melden uns mit den Antworten, sobald uns diese vorliegen.“

drei werktage später: keine antwort, aber dafür wurde die erwähnung der „ganzheitlichen, patentierte HoloTrack-Technologie“ von der website gestrichen. im google-cache ist sie noch zu finden (siehe screenshot unten), auf der website heisst es jetzt „LaterPay bedient sich einer zum Patent angemeldeten Technologie, um das Endgerät des Users zu begleiten.“ statt „LaterPay bedient sich der ganzheitlichen, patentierten HoloTrack-Technologie, um das Endgerät des Users zu begleiten.“ schade um das schöne buzzwording.

ich vermute meine fragen werden noch einige monate unbeantwortet bleiben. heute (06.10.2011) schickte mir die pr-agentur von laterpay folgende antworten. wer die genau beantwortet hat ist nicht ersichtlich, ich packe die antworten als zitat unter meine fragen:

sehr geehrte damen und herren,

ich würde auf wirres.net gerne etwas über „ihre ganzheitliche, patentierte HoloTrack-Technologie“ schreiben, bzw. das das micropayment-bezahlsystem das sie gerade (zusammen mit stern.de?) entwickeln. dazu habe ich ein paar fragen, die sich auf ihrer website nicht beantworten liessen:

HoloTrack heisst nun Fair Track.

* sie schreiben, dass keine kosten entstehen, bevor „der warenkorb“ nicht mehr als 5 euro erreicht. welche kosten entstehen mir als nutzer, wenn der warenkorb mehr als 5 euro erreicht?

Ihnen als Nutzer entstehen niemals Kosten für die Nutzung derTechnologie. Sie bezahlen nur für den Wert der Waren. Ähnlich wie am Zeitschriftenkiosk. Da bezahlen Sie auch nur die Zeitschrift – die Kosten für den Bezahlprozess trägt der Produzent der Zeitschriften. 
Wenn Sie also Artikel im Gesamtwert von für 5 Euro konsumiert haben, bezahlen Sie die 5 Euro. Wenn Sie einen Warenkorb von z.B. 5,12 Euro haben, bezahlen Sie die 5,12 Euro Rechnung und die Rechnung wird dann auf 0 gestellt.

* wenn ich mich registriere, welche daten müsste ich ihnen dann angeben?

Die Mindestinformationen, die für einen Onlinekauf notwendig sind.

* welche zahlungsmöglichkeiten bieten sie an? (kreditkarte, paypal, überweisung, handy?)

Die Auswahl an klassischen Bezahlanbietern wird beim Markteintritt bekanntgegeben und laufend erweitert werden. 

* welche kosten entstünden mir als anbieter? könnte ich beispielsweise einen artikel für 10 cent verkaufen? welche provision würden sie von 10 cent oder beispielsweise einem euro einbehalten?

Für das Pay per Use Modell rein erfolgsabhängige Kosten. Inhalteanbieter können bei LaterPay die Preise ihrer Produkte völlig selbständig und frei bestimmen. Vorgaben zu Preisgruppen und Mindetspreise wie bei iTunes, Android Marketplace etc. gibt es bei LaterPay nicht. Aus wirtschaftlichen Gründen empfiehlt LaterPay aber Preise von über 5 Cent. Bei Preisen von z.B. 5 Cent und abhängig von dem abgewickelten Volumen erhalten Contentanbieter bis zu 90% ausgeschüttet – bei 5 Cent Einzelpreis für einen Artikel also eine Ausschüttung von 4 bis 4,50 Cent.

Bei Metered Model / Abo Modellen werden bis zu 90% ausgeschüttet.

* benötige ich als nutzer von laterpay einen browser-plugin oder funktioniert der einkaufsvorgang mit allen üblichen browsern — ohne proprietäre erweiterung?

Sie benötigen keinen Browser Plugin. LaterPay funktioniert mit allen üblichen Browsern.

* verstehe ich das recht, dass ich beispielsweise an einem öffentlichen internetterminal „artikel“ für ≤ 5 euro einkaufen könnte und die verkäufer um diesen betrag betrügen könnte, wenn ich wollte?

LaterPay hat intelligente Technologien eingebaut, um solchen Missbrauch auf ein Minimum zu reduzieren. Aber es wird – wie in der Offlinewelt, in der man seine Zeitschrift im Supermarkt auch unbezahlt lesen kann – auch im Internet nicht ausgeschlossen sein, dass sehr fachkundige User den Content-Anbieter "prellen".
Die allermeisten Menschen sind aber nicht bereit und oft gar nicht in der Lage wegen 5 Cent den Aufwand zu betreiben um den Verlag zu hintergehen – das ist auch die Zielgruppe von LaterPay: Menschen die bereit sind einen nachvollziehbaren Preis für Content zu bezahlen, so lange das Bezahlen einfach ist.

Wir sind sehr nutzerfreundlich, geben uns aber gleichzeitig große Mühe den Missbrauch im Sinne des Verlags so gering wie möglich zu halten.

* wenn ich einen artikel bei stern.de kaufte, würde stern.de niemals erfahren, dass felix schwenzel diesen artikel gekauft hat, sondern nur ein john doe? kann ich als benutzer steuern welche daten sie ihren b2b-partnern weitergeben?

Nein, stern.de erfährt nicht einmal von „john doe“. LaterPay ist ein Dienstleister für Content-Anbieter und wird deswegen den höchsten Verbraucherschutzstandards entsprechen. Der Datenaustausch zwischen Content-Anbieter und LaterPay besteht aus einer rein monetären Abrechnung der gekauften Produkte – ähnlich einer Abrechnung eine Kiosks an einen Verlag, bei der ein Verlag auch nicht erfährt, welcher, dem Kioskbesitzer  bekannte Kunde das Magazin oder die Zeitung gekauft hat.

* wann planen sie ihr system zur marktreife gebracht zu haben?

stern.de ist das erste namhafte Haus, mit dem wir das marktreife LaterPay-System, das seit Anfang 2010 programmiert wird, unter Marktbedingungen testen wollen, um ggf. weitere Anforderungen von Usern und Contentanbietern zu integrieren. Im nächsten Jahr wird es eine schnelle, gestaffelte Einführung neuer Produkte mit weiteren Kunden geben.

(auf wirres.net beobachte und berichte ich seit einigen jahren über pläne und ankündigungen von micropayment-systemen und habe dazu auch artikel auf screen.tv, zeit.de und jungle-world.com veröffentlicht. an grösstenteils gescheiterten versuchen ist dieses genre, wie sie sicher wissen, nicht arm.)

gruss,
felix schwenzel

[links habe ich für diesen artikel hinzugefügt, auf zeit.de habe ich artikel veröffentlicht, allerdings keinen über micropayment, aber mit der zeit lässt sich halt gut prahlen.]

laterpay-site mit buzzwords
gebouncte email

* * *

[nachtrag 06.10.2011]
zu den oben nachgetragenen antworten von laterpay möchte ich noch anmerken, dass laterpay die bisher interessanteste vaporware ist, von der ich dieses jahr gehört habe. die fehlende konkrete antwort auf meine frage nach der marktreife lässt mich jedoch vermuten, dass das jahr 2012 sehr lang werden wird. überhaupt frage ich mich, wozu eine derart frühe ankündigung eines unfertigen produkts dient. aquise? prahlerei? aufscheuchen des wettbewerbs? die im stil und mit der technik der 80er jahre gestaltete website, dürfte bei der aquise allerdings nicht so irre hilfreich sein.