ix und die brandeins

felix schwenzel, , in wirres.net    

brandeins dezember 2011

mitte juni war ich zu besuch in der brandeins-redaktion. nachdem ich thomas ramge in einem artikel über einen seiner artikel relativ heftig angegriffen hatte und später dazu mit gabriele fischer ein paar mails gewechselt hatte, lud sie mich zu einem „streitgespräch“ mit ramge in die redaktion ein.

die redaktion am speersort 1 ist ein bisschen wie das heft selbst, geschmackvoll gestaltet, viel (weiss)raum, schöne illustrationen und interessante inhalte. extrem durchgestylt und trotzdem nicht protzig. wie auch beim artdirektor scheint die redaktion auch beim architekten ein ziemlich gutes händchen gehabt zu haben.

gabriele fischer ist auch toll, freundliche, wache, neugierige augen, gleichzeitig kleiner aber auch grösser als ich sie mir vorgestellt habe und irgendwie — hört sich doof an, passt aber — fröhlich.

nachdem wir uns in gabriele fischers büro gesetzt hatten, bemerkte ich, dass das streitgespräch nicht nur als streitgespräch gedacht war, sondern dass gabriele fischer „irgendwas“ daraus machen wollte, dass sie es als eine art interview gedacht hatte und es aufzeichnen wollte. hätte ich das geahnt, hätte ich mich vielleicht sogar vorbereitet, statt einfach nur in der mittagspause vom homeoffice mal eben in die brandeinsredaktion zu hüpfen.

da thomas ramge etwas spät war, plauderten wir erst noch ein bisschen über architektur, die usm-haller möbel die überall in der redaktion rumstanden und die noch aus den alten spiegel-zeiten stammten, die haptik von epaper auf dem ipad, das schreiben allgemein, das bloggen, leserbriefe und die brandeins. mir kam beim beim plaudern der gedanke, dass schreiben für mich eine art nachzudenken ist, ein werkzeug, das gedanken die in mir stecken hervorzulocken und zu schärfen vermag, aber im prozess des schreibens auch völlig neue gedanken und ideen hervorzubringen vermag. so unspecktakulär sich diese erkenntnis jetzt in diesem artikel anhört, hat sie sich wahrscheinlich auch in gabriele fischers büro angehört, als sie meinen kopf verliess, aber die eigentliche erkenntnis die daraus erwuchs war eh eine ganz andere. nämlich wie grossartig und inspirierend es ist, sich mit leuten zu unterhalten die a) klüger als man selbst sind, b) neugierig sind und c) aus anderen lebensbereichen kommen als die, in denen man selbst feststeckt.

diese, vielleicht ein bisschen profane erkenntnis vertiefte sich noch ein stückchen, als dann thomas ramge kam und wir tatsächlich stritten. da merkte ich, wie grossartig streit ist, wie inspirierend meinungsverschiedenheit sein kann und wie wichtig gute moderation ist.

im laufe des gesprächs kamen wir auf den einen oder anderen mir ganz neuen gedanken und entwickelten die eine oder andere idee, die jetzt — in aller bescheidenheit — auch in die aktuelle brandeins-ausgabe („Die Sehnsucht nach dem Echten“) geflossen sein dürfte.

ein gedanke war beispielsweise, die frage, warum es kaum unrechtsbewusstsein bei leuten gibt, die illegal filme, musikstücke oder andere digitale schöpfungen runterladen, tauschen oder weiterverteilen. ein grund dafür ist möglicherweise der hohe abstraktionsgrad dieser digitalen güter. eine DVD ist nicht abstrakt, sondern ganz konkret, dinglich, manchmal sogar wertig. eine .avi-datei ist viel weniger konkret, ich kann sie nicht in die hand nehmen, berühren oder ins regal stellen, mit der datei verbinde ich keine emotion, kein erlebnis. wenn ich ins kino gehe bin ich auch mit einem abstrakten, ungreifbaren ding auf der leinwand konfrontiert, erlebe aber mit dem gang ins kino, dem beinahe feierlichen einlass in palastartige räume etwas besonderes, nehme an quasi rituellen handlungen teil (popcorn kaufen, werbung und eisverkäufer ertragen). das erlebnis fordert und beschäftigt meinen ganzen körper, ich rieche popcornduft, höre und sehe und rieche viele menschen. kurz, das kino verleiht dem film einen wert der über den inhalt des films hinausgeht. ein kinobesuch lädt den subjektiv emfundenen wert des films auf. selbst ein besuch in der DVDthek ist erlebnisreicher und haptischer als ein dowload. filme im kino oder aus der DVDthek gewinnen einen zusätzlichen, gefühlten wert. rein digitalen produkten fehlt soetwas zum grossen teil.

das, dachte ich so vor mich hin während wir stritten, ist auch eins der grossen versäumnisse der unterhaltungsindustrie und der verleger, nämlich dass sie es bisher nicht geschafft haben digitalen gütern einen hinreichenden, gefühlten wert zu verleihen. im gegenteil. wenn ich einen film legal herunterlade, kann ich ihn nicht wieder verkaufen, weil ich kein produkt erworben habe, sondern eine lizenz. schlimmer noch, DRM und ähnlicher quatsch zerstören den letzten fühlbaren wert den eine datei haben kann — ich kann damit nicht machen was ich will, sie nicht auf andere geräte schieben oder sehen, muss mich unter umständen mit mangelhafter software rumplagen die nach 5 jahren erfahrungsgemäss nicht mehr funktioniert.

all die vorteile die dinge haben, haben die meisten digitalen werke die ich legal erwerben kann nicht, im gegenteil — und trotzdem erwartet die industrie, dass ich fast genausoviel geld dafür bezahle, wie für ein ding.

bei einem solch hohem abstraktions- und reduzierungsgrad, fällt es selbst gutmeinenden und rechtstreuen menschen schwer ein unrechtsbewusstsein gegenüber illegalen (aber praktikableren) digitalen kopien aufzubauen. oder andersrum ausgedrückt, wie soll man solche digitalen werke mit wertigkeit assozieren?

ich weiss nicht wie lange wir geredetet, gestritten und argumentiert haben, aber aus dem mäandernden gespräch hat gabriele fischer eine ordentliche halbe seite text geknetet, die in ein ziemlich interessantes interview mit dem jura-professor karl-nikolaus pfeifer eingebettet ist:

„De facto ist es Recht“
Der Blogger Felix Schwenzel (wirres.net) über seine Sicht der Urheberrechtsdebatte.

„Urheberrecht ist etwas anderes als die Verwertung von Urheberrechten.

Wenn kino.to mit den Produkten anderer Urheber Geld verdient, ist auch für mich der Punkt erreicht, wo man gegen so was vorgehen muss. Da ist nicht nur die Rechtslage, sondern auch das Rechtsempfinden klar. Aber der Typ, der sich umsonst einen Film ansieht — wearum muss man den verfolgen?

Das ist das alte Spiel der Unterhaltungsindustrie: Es wird immer so getan, als wäre jeder Download auch gleichzeitig ein verlorener Kauf. Aber wenn die Leute nur kostenlos runterladen und es sowieso nicht gekauft hätten — was wäre dann der Verlust?

Bei Software, Musik, bei allen digitalen Gütern geht es eigentlich nicht mehr um eine Ware, sondern um Lizenzen oder Nutzungsrechte — und da ist man schnell in Sphären, die kaum noch jemand versteht. Wer liest sich bei iTunes tatsächlich die User-Agreements bis zum Ende durch? Das ist so abstrakt, dass der Missbrauch nach abstrakter wird.

Natürlich ist klar und für jeden Juristen glasklar, dass da Recht gebrochen wird. Aber trotzdem müssen wir uns fragen, wie wir in die alten Rechtsgrundsätze in die digitale Welt übertragen.

Es geht nicht um das Geschäftsmodell an sich, sondern um die Frage, ob bei der Durchsetzung dieser Gesetze ein Kollateralschaden entsteht.

Ich habe keine Ahnung von Jura, ich habe nur Fragen. Zum Beispiel: Ich kaufe bei Amazon eine DVD für 15 Euro — ich könnte sie aber auch in der Bibliothek für eine geringe Monatsgebühr ausleihen. Alle Menschen, besonders Intellektuelle, sagen, Bibliotheken sind toll, weil es da Gutes für ganz wenig Geld gibt. Was ist dann so schlimm daran, es umsonst herunterzuladen?

Wenn ich für einen Download geld haben will, muss ich mich fragen, wie ich das Produkt für meinen Kunden attraktiv machen kann. Stattdessen wird einem jeder Kauf verleidet, weil man nur eine Lizenz kauft, die man nicht verkaufen oder verleihen darf. Es wird also noch mehr abstrahiert, statt das Produkt zu konkretisieren.

Stimmt schon, es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Aber es gibt auch kein Bemühen eins zu schaffen.

Auf der juristischen Ebene, keine Frage, gibt es einen Unterschied. Auf der Ebene des gesunden Menschenverstandes nicht.

Die technische Entwicklung hat dafür gesorgt, dass der kostenlose Download de facto von vielen als legal angesehen wird. Sich dagegen zu sträuben ist schon fast Realitätsverweigerung — besser ist es, über Alternativen nachzudenken. Denn nicht nur iTunes zeigt: Man kann mit kostenlos konkurrieren.“