die joffe-formel: ausgewogen berichten = „schönreden“ = „sprechverbot“

felix schwenzel, , in links    

* zeit.de: Sprache: „Neusprech“ neu

josef joffe:

Dass wir kein „Wahrheitsministerium“ haben, ist nur ein halber Trost, wenn die Demokratie das „Gleichdenk“ auch ohne Geheimpolizei erzwingen kann. Deshalb sollten wir Orwell und Tocqueville lesen, immer wieder.

ich bin mir nicht sicher, ob ich guten gewissens sagen kann, wir sollten „immer wieder“ joffe lesen. er ist zwar sehr kreativ darin andersdenkende als naiv zu diffamieren, aber seine logik scheint mir zuverlässig fehlerhaft zu sein, auch in diesem text.

das erste was auffällt ist dass er in die martenstein-übergeigungsfalle tappt, wenn er diskussionen über den umgang mit bestimmten ereignissen als „denk-“ und „sprechverbote“ diffamiert. das ist genauso stumpf wie gelöschte kommentare in blogs oder unter journalistischen texten als „zensur“ zu bezeichnen. den ausschluss von diskussionen mit staatlicher erzwungener publikationskontrolle oder publikationverboten zu vergleichen ist aber nicht nur kurzsichtig und dumm, sondern auch abstumpfend. wenn alles zensur ist, wie soll man dann noch echte zensur differenzieren können? von „sprechverboten“ zu reden, obwohl es keine verbote gibt, sondern sprechen hier und da lediglich zu kritik führt, vergiftet die debatte und lenkt von den themen auf eine unheilvolle metaebene ab.

am ende seines textes versucht er dann nicht etwa die verwendung des wortes „sprechverbot“ als irrtum darszustellen, sondern die diskussion über berichterstattung als „dreifachen Irrtum“:

Das Sprechverbot entspringt einem dreifachen Irrtum.

Einmal, weil Benennung („Flüchtlinge haben …“) nicht Bezichtigung ist („So sind die Araber“). Zum Zweiten, weil die Randständigen keine Nachhilfe brauchen; sie haben ihre Vorurteile schon. Das Vor- Urteil schafft sich seine Fakten selber durch selektive Wahrnehmung – wie bei jeglichem „Anti-Ismus“.

wenn andere bereits vorurteile haben, kann es also nicht schaden, vorurteile zu befeuern? oder aufklärung, ausgewogene und vorurteilsfreie berichterstattung bringen niemanden von seinen abstrusen ansichten ab, sind also quasi müssig? vermutlich ist der zitierte absatz einfach joffe-sprech für den dummsprech-satz: „haters gonna hate“.

im nächsten absatz macht joffe dann aber eine 180°-wende. plötzlich sind sprache, nuancierung und subtile signale für die braven „randständigen“ dann doch wichtig:

Zum Dritten, weil der brave Bürger ins Grübeln gerät: Wenn Polizei, Politik und Medien die Tatsachen schönreden, ja mir „Rassisten“ das Maul verbieten, wie kann ich noch den demokratischen Institutionen trauen? Pegida und Co. sind Geschöpfe und Sprachrohre der Entfremdung. Die frisst sich in die Mitte, wenn das verordnete Gutdenk die Realitäten verdrängt und die Wohlmeinenden den Demagogen zutreibt.

wenn „brave Bürger“ selektive wahrnehmung betreiben, schrillen in joffes kopf dann doch die alarmglocken. was joffe hier sagt, muss man sich mal auf der zunge zergehen lassen: es müsse möglich sein auch rassistisch und demagogisch zu berichten und ressentiments zu bedienen, damit „brave Bürger“, die selektiv wahrnehmen und demokratischen institutionen gegenüber skeptisch sind, nicht den demagogen zugetrieben werden.

wenn ich mich nicht irre, ist das die klassische CSU-strategie. rassisten, flachdenker, vorurteils-aficionados umarmen und umgarnen, damit sie ihre position halten und rechts-innen, statt rechts-aussen wählen. ich glaube man könnte diese strategie zur verdeutlichung auch ins extrem aufblasen: zum arschloch werden, um arschlöcher zu werben und damit zu verhindern, dass arschlöcher sich anderen arschlöchern anschliessen.