push und pull

felix schwenzel, , in artikel    

wilhelm trübner, ave caesar, morituri te salutant, 1877
wilhelm trübner, ave caesar, morituri te salutant, 1877

nicht mal die beifahrerin liest meine wetter-rezensionen. ich fühle mich mit dem ins-netz-schreiben wieder wie vor 20 jahren. wie anke gröner das seit 100 jahren in ihrem blogkopf stehen hat: „blog like nobody’s watching“. oder wie ich es sagen würde: bloggen als selbstbefriedigung, schreibübung und welt- und wahrnehmungs-verdauungshilfe.

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mit blogsoftware ins internet zu schreiben (bloggen), wird ja schon lange, immer wieder mit neuen gründen, totgesagt. in den frühen zweitausendern war push statt pull das grosse ding, in den frühen zweitausendzehnern waren es die sozialen netzwerke (twitter, facebook), die dem bloggen den todesstoss verliehen und heute sind newsletter der grosse, heisse scheiss. kürzlich wurde mir, aus gründen die mir schon wieder entfallen sind, der newsletter von lorenz maroldt empfohlen. der ist wirklich lesenswert und schön rotzig geschrieben. sogar wenn lorenz maroldt von stefan jacobs vertreten wird, wie vor drei tagen. da fing der newsletter so an:

Die Zeiten werden immer verwirrender: Wird Air Berlin arabisch oder italienisch? Werden die Mars-Riegel nun zurückgerufen, weil in einem Kunststoff drin war oder weil er in den anderen fehlt? Und gelingt mit den Riegeln die Energiewende oder werden sie in jener Gegend zwischen Berlin und Böhmen verklappt, von der der lokale CDU-General Kretschmer sagt, das sei „nicht Sachsen“, und sein MP Tillich, das seien „keine Menschen“? Das Karrierebarometer für Geografen, Biologen und Lebensmittelchemiker steigt. Und der Säxit scheint attraktiver denn je.

alles wunderbar, nahezu lehrbuchhaft. aber weitergelesen hab ich dann nicht. mein email-eingangsfach läuft morgens über, mit gut gemachten, mit lesestoff und links vollgepackten newslettermails, aber über die erste seite dieser mails, komme ich mittlerweile nur noch selten hinaus. andererseits: auch mein RSS-reeder quillt derzeit über, aber immerhin lese ich den immer noch in der bahn, vorm einschlafen und vorm aufstehen. kann natürlich auch sein, dass ich gerade in einer wenig-lese-phase bin, aber newsletter sind gerade echt schwer unterzubringen in meinem lesefluss.

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wirres hat übrigens als newsletter angefangen, vor über 14 jahren. statt meinen freunden einzelne mails oder briefe zu schreiben, hatte ich mir damals™ überlegt, dass so eine sammelmail doch ne super idee sei. ich glaube den meisten empfängern, die dem empfang der sammelmail übrigens nicht explizit zugestimmt hatten, ging es damals schon so, wie mir jetzt: wer soll das denn (wann) alles lesen?

yahoo hatte damals ein werkzeug am start, mit dem die verwaltung der abos, der versand und die archivierung wirklich einfach funktionierten. nach ein paar jahren wurde der dienst eingestellt, irgendwann wurde er dann wieder reaktiviert. jedenfalls sind die sammelemails alle noch im archiv vorhanden.

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auf eine bestimmte art bin ich froh, bei dem was ich hier mache, nicht darüber nachdenken zu müssen, ob das jemandem gefällt oder interessiert. in der regel reicht es, dass es mich interessiert oder dass es mir hilft, sachen besser zu verstehen oder im blick zu behalten, wenn ich sie aufschreibe und wichte.

ich wiederhole das gebetsmühlenartig seit jahren: ich bin froh, nicht von dem leben zu müssen, was ich ins netz schreibe. ich muss meine seitenansichten nicht nach oben jazzen, indem ich auf irgendetwas optimiert schreibe. ich muss keine erwartungen erfüllen und texte auf keine zielgruppe optimieren. ich merke zwar, dass es immer wieder überschneidungen zwischen meinen interessen und denen eines grösseren publikums gibt und manche themen besser ankommen als andere. aber ich muss nichts zuspitzen oder aggressiv bewerben, weil ich ausser meiner lebenszeit, kaum kosten decken muss. wenn ich zuspitze, dann weil ich bock drauf habe oder zu faul zum differenzieren oder zuende-denken bin. wenn ich aufträge für werbeartikel annehme, mache ich das nur, wenn mir das produkt oder das thema zusagt oder ich glaube dass es zu mir passt. ich greife die positionen von anderen nicht an, um lesermassen zu lenken oder aufmerksamkeit zu erzeugen, sondern um mir persönliche satisfaktion zu verschaffen.

was mir aber die grösste befriedigung verschafft, sind die technischen möglichkeiten, die sich mir hier öffnen. ich kann mit technologien experimentieren und deren auswirkungen beobachten. so weiss ich jetzt, dass man veröffentlichte artikel innerhalb von wenigen minuten auf google suchergebnisseiten hieven kann. ich weiss wie man strukturierte daten einsetzen kann, um suchergebnisse bunter erscheinen zu lassen oder aus artikeln übersichtslandkarten bauen kann. ich habe gelernt, wie man reaktionen aus sozialen netzwerken einfangen kann oder wie man aus dem eigenen blog heraus bei anderen leuten kommentieren kann.

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die beste idee, die ich seit langem hatte, war alle fernsehsendungen oder filme, die ich sehe, mit ein paar eindrücken aufzuschreiben. das ist mitunter nervig und anstrengend und interessiert eher wenige, aber es hat mich daran erinnert, warum ich überhaupt angefangen habe zu bloggen: zu versuchen das eigene leben nicht einfach vorbeirauschen zu lassen, sondern den einen oder anderen moment festhalten, daran zu knabbern, ihn aus verschiedenen perspektiven zu betrachten und aufzuschreiben, festzuhalten, zu fotografieren oder zu filmen. dass genau das dazu führt, dass das eigene leben noch schneller an einem vorbeizieht und ich noch weniger zeit habe, ist ein nebeneffekt mit dem ich leben kann. auch weil das ganze dann doch hin und wieder den effekt hat, dass es andere inspiriert oder anderen hilft oder auf neue sichtweisen bringt. und neben all der selbstbefriedigung und verdauungshilfe mit der ich mein „blog like nobody’s watching“ weiter oben rationalisiert habe, sind dieser gelegentliche zuspruch, feedback oder überhaupt das ansehen meiner auswürfe, natürlich auch motivierend und befriedigend.

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eigentlich hatte ich diesen artikel angefangen, um über die alte push vs. pull debatte nachzudenken. das ist mir offensichtlich nicht wirklich gelungen. aber seit den frühen newsletter-tagen von wirres, bin ich gegenüber push-modellen skeptisch. mein vorherrschendes gefühl ist: ich will mich eigentlich nicht aufdrängen. auch weil ich eben weiss, dass nicht alles was ich aufschreibe, jeden interessiert. oder umgekehrt, weil ich mich thematisch oder konzeptionell nicht festlegen möchte. deshalb wird es auf absehbare zeit auch keinen regelmässigen newsletter von mir geben. wer sich für meine thematische wundertüte interessiert kann mir auf twitter oder facebook folgen oder mich per RSS abonnieren (zum beispiel mit feedly) oder von mir aus auch die microformate dieser seite parsen.

trotz meiner reserviertheit gegenüber dem push-konzept, habe ich in den letzten monaten ein bisschen darüber nachgedacht, wie eine mobile wirres.net-app aussehen könnte. in meiner vorstellung müsste sie eigentlich nur eins können: den hauptfeed oder einzelne kategorie-feeds abonnierbar machen und bei neuen artikeln eine benachrichtigung anzeigen, bei deren auswahl man auf dem artikel landet. natürlich können das bereits unzählige RSS-reader-apps, aber sie verlangen immer noch ein gewisses technisches grundverständnis, bzw. ein explizites abonnieren: download und installierung der app, app starten, feed eingeben oder suchen, abonnieren. feedly hat das bereits mit links wie diesem relativ reibungslos gemacht, aber auch feedly verlangt vor dem abo zuerst eine anmeldung bei feedly, die man dann nach der installation der feedly-app auf dem mobiltelefon nochmal durchführen muss.

ich fand die idee reizvoll einfach einen app-download anbieten zu können, in dem das abonnement bereits voreingestellt ist und dass sonst keinerlei klicks oder interaktionen mehr nötig sind. subscribe by download, sozusagen.

technisch geht das in der theorie alles problemlos; einfach eine app bauen die RSS parsen kann, app-icon einstellen, eine benachrichtigungsfunktion und vielleicht noch eine liste, mit den letzten artikeln. wenn die app pubsubhubbub verstünde, könnte sie auch augenblicklich bescheid sagen, wenn das abonnement aktualisiert wurde.

es gibt nicht wenige anbieter, die für so etwas white-label-lösungen anbieten, bei denen man sich quasi eine app zusammenklicken kann. solche apps lassen sich dann per rss füttern und zeigen eine übersicht der veröffentlichten artikel an. ich fand die ergebnisse dieser app-bausätze aber alle sehr unbefriedigend. alle, die ich ausprobierte, hatten zu viel visuellen ballast und offensichtliche technische schwächen.

ich habe mir auch ein paar opensource lösungsansätze angesehen, aber genau das, was ich mir vorstelle, hab ich (natürlich) nicht gefunden. aber wäre das nicht toll, wenn es einen generischen app-bausatz gäbe, den man auf sein blog, bzw. seinen feed, konfigurieren könnte, kompilieren und im app-store einreichen könnte?

ist die app installiert, macht sie nichts anderes als den benutzer zu benachrichtigen, wenn der abonnierte feed neue einträge aufweist (ein klick öffnet die seite im browser), wenn man den feed, das abonnierte blog, nicht mehr lesen möchte, löscht man einfach die app. keine aufwändig gerenderten artikelübersichten in der app, keine verhunzten leseansichten, einfach nur eine bescheid-app pro abo oder blog für das man sich interessiert. so könnte ich mich auch mit push anfreunden.