gedenkblog

felix schwenzel, , in artikel    

symbolbild für alles: ur-alte ulme am st. gangolfsberg in aachen-kornelimünster
symbolbild für alles: ur-alte ulme am st. gangolfsberg in aachen-kornelimünster

ich bin mir nie ganz sicher, ob es OK ist über meine toten freunde hier im blog zu schreiben. über nele und ihren tod vor 23 jahren habe ich vor 11 jahren geschrieben und auch ihren vollen namen genannt. weil ich google untersage artikel, die älter als 3 jahre sind, zu indexieren, ist mein nele-text zwar noch an ort und stelle, aber nicht mehr über ihren namen googlebar. ich finde dieses vernebeln meiner alten artikel eigentlich ganz gut, zumal ich mir nicht ganz sicher bin, wie die angehörigen es finden, wenn man unter dem klarnamen einer verstorbenen meine privatmeinung googlen kann.

nachdem ich vor ein paar monaten vom tod meines ehemals besten jugendfreundes markus erfahren habe, hab ich über ihn geschrieben und seinen vollen namen im titel genannt. ich fand das OK, auch weil die angehörigen eine „gedenkseite“ für ihn ins netz gestellt haben.

über einen anderen freund, der auch markus hiess, habe ich vor 12 jahren ohne den vollen namen ein paar erinnerungen aufgeschrieben, auch hier ging es mir eigentlich nicht darum, dass der text über markus namen auffindbar ist, sondern dass ich meine gedanken über ihn festhalten konnte.

bergfriedhof in aachen-kornelimünster — ohne nele’s grab
bergfriedhof in aachen-kornelimünster — ohne nele’s grab

seit ostern habe ich nochmal darüber nachgedacht; ich war im rheinland und wollte in aachen mal wieder neles grab besuchen. das grab war aber nicht mehr da, was mich ziemlich erschüttert hat, weil es immer der ort war, an dem ich am besten an nele (und ihre tochter malou) zurückdenken konnte. plötzlich ist dieser ort weg. wenn also in der fleischwelt kein ort mehr besteht, an dem ich (und andere) an nele denken können, oder an nele erinnert werden, warum nicht im netz, warum nicht (auch) bei mir? zumal — und das ging mir letzte woche auf — die googlebarkeit von gedenk-gedanken eben auch für andere nützlich sein können — so wie es friedhöfe sind.

auch wenn der anlass tieftraurig und erschütternd ist, hat mir letzte woche jemand, den ich nicht kannte, und der offenbar meine unzusammenhängenden gedanken und erinnerungen an markus gegoogelt hatte, eine email geschrieben:

Ich hab gelesen das Sie damals Markus Pöhlers bester Freund waren... ich habs auf Ihrer Seite gelesen.
Jetzt ist auch sein Sohn gestorben.
Der Junge der in Bonn tot geprügelt wurde.
Ich weiß nicht warum ich Ihnen das schreibe.
ich finde die geschichte unwahrscheinlich traurig.

auch hier habe ich wieder bedenken den (nach-) namen zu nennen, zumal die presse, die über den fall berichtet, den namen von markus sohn nicht nennt. ich nenn den namen jetzt für schlechtere googlebarkeit gar nicht und verlinke auch keine presseberichte zum tod von markus sohn, aber diese mail zeigt mir, dass es richtig war markus namen googelbar zu nennen. mein kleiner artikel über markus hilft nicht nur mir, markus in guter erinnerung zu behalten, sondern vielleicht auch anderen freunden, bekannten oder angehörigen, um ihr bild von markus zu vervollständigen oder sich zu erinnern.

das ganze ist wirklich unwahrscheinlich traurig und tragisch und mir tut der tod von markus sohn unendlich leid, obwohl ich ihn nicht kannte und bis jetzt auch nichts über sein leben wusste. ich habe mir letzte woche die facebookseite des sohnes angesehen und war erstaunt, wie ähnlich er seinem vater sah. es berührt mich sehr und beschämt mich gleichzeitig, dass ich so wenig über das leben meines alten freundes markus wusste. es bedrückt mich insbesondere, wie wenig ich mich darum bemühe, mehr über das leben der alten freunde zu erfahren, die noch leben. noch mehr bedrückt mich, dass ich diese gedanken bei jedem todesfall habe, aber in den seltensten fällen konsequenzen daraus ziehe und alte freunde einfach mal aufsuche.

vor ein paar jahren hatte ich eine ziemlich pragmatische idee, um mich dazu zu bringen, alte freunde wieder mal aufzusuchen, zu treffen und neu kennenzulernen: indem ich ein buch daraus mache, wie ich alte freunde besuche. ein paar alte freunde habe ich im rahmen dieses projektes besucht und das war im prinzip auch eine ziemlich gute idee. denn das tolle an alten freunden ist, dass man sie ja bereits kennt, sie aber über die jahre auch zu völlig neuen, anderen menschen gewachsen sind — und eben doch die alten bleiben. die qualitäten alter freunde nach vielen jahren des nicht-sehens wieder zu erkennen, ist sehr, sehr beeindruckend und faszinierend.

aber es ist auch schwer darüber zu schreiben, denn nicht jeder möchte ans licht einer (kleinen) öffentlichkeit gezogen werden. fiktionalisierung ist irgendwie auch nicht die lösung und ausgedachte, falsche namen fühlen sich für so ein projekt auch komisch an. die konsequenz ist, dass ich jetzt zwar ein paar alte freunde besucht habe und pläne für weitere besuche habe, aber nach wie vor kein konzept, wie ich das verarbeite — und ob ich das überhaupt will.

* * *

was ich mir aber jetzt überlegt habe: ich will zumindest die gedenk-texte für meine verstorbenen alten freunde wieder googelbar machen. ich habe ein attribut zu meinem CMS hinzugefügt, mit dem ich einzelne texte, die älter als drei jahre sind, wieder durch suchmaschinen indexierbar machen kann. damit habe ich quasi meinen kleinen privatfriedhof (wieder) für die öffentlichkeit geöffnet und entnebelt. ausserdem habe ich meine „gedenktexte“ verschlagwortet, so dass man sie auch so findet.

und weil nele’s grab jetzt weg ist, zum gedenken an sie noch ein bild, dass ich vor etwa 28 jahren gemacht habe, als wir mit ein paar freunden ein wochenende an der niederländischen nordsee waren.

nele
nele