vinyl s01e01 (pilot)

felix schwenzel, , in gesehen    

ich fands grässlich. der pilot ist spielfilm-lang (zwei stunden) und nach ungefähr einer stunde hab ich den scheiss nicht mehr ausgehalten. mir macht es in der regel nicht viel aus, wenn ich der geschichte einer serie nicht folgen kann, aber bei vinyl konnte ich nicht nur der geschichte nicht folgen, ich hatte auch den eindruck, dass gar keine geschichte erzählt wird, sondern nur eine stimmung etabliert werden sollte. visuell klappte das ganz gut, die siebziger jahre, mit all ihren grausamen klamotten, frisuren und koteletten leben in der serie in aller brutalität wieder auf, auch wenn die kulissen mich ziemlich oft an die sesamstrasse erinnert haben.

in vinyl ist alles hochemotional. schon in der ersten szene stöhnt und ächzt bobby cannavale (als richie finestra), aus keinem ersichtlichen grund, 15 minuten in seinem in der sesamstrasse geparkten auto. irgendwann hebt er den telefonhörer seines wählscheibenautotelefons ab und fängt an noch stärker zu ächzen und zu stöhnen. die restliche dreiviertel stunde habe ich mir grässlich angezogene und friserte menschen angesehen, die entweder singen, schreien, ficken, koksen, kiffen oder — das ist ein durchgängiges motiv der serie — grabschen und tätscheln. es vergehen keine 5 minuten der serie, in denen nicht ein mann irgendwelche als unterwürfig und blöd dargestellten frauen angrabscht oder anbaggert.

es gibt zwar auch eine (mittel) starke frauenrolle (ziemlich gut: juno temple als jamie vine), die im laufe der serie sicherlich noch zu einem zentralen charakter aufgebaut werden wird, aber in dieser folge einfach „das sandwich-girl“ genannt wird. vielleicht war das grabschen und konsequente sexualisieren und obejktifizieren von frauen in den 70ern noch gang und gäbe, aber die konzentration der serie darauf nervt tierisch.

apropos nerven. ich habe in den vielen jahren meines medienkonsums gelernt, dass man um filme oder serien, in denen zeitlupen zur betonung und emotionalisierung der handlung exzessiv eingesetzt werden, einen grossen bogen machen sollte. in dieser hinsicht schrillten bei vinyl ständig meine alarmglocken.

schauspielerisch ist vinyl teilweise ziemlich gut geraten. wie oben erwähnt, gefällt mir das beiläufige und wache spiel von juno temple sehr, james jagger, der sohn von mick jagger, spielt auch gut, aber ein paar nebenrollen, und leider auch bobby cannavale, tragen etwas dick auf.

am anfang der folge trat eine band auf, deren sänger dem jungen mick jagger erstaunlich ähnlich sah, vor allem wegen dem etwas irritierendem riesigen jagger-mund und schlabberlippen. das war aber jemand anders.

ich kann mir gut vorstellen, dass es einige gibt, denen diese serie gefallen könnte. ich kann damit nichts anfangen. das thema interessiert mich nicht, die umsetzung überzeugt mich nicht und ich verstehe die motivation keiner einzigen der aufgetretenen figuren. die erzählweise erscheint irre beliebig, zwischen den willkürlich ausgesuchten szenen, sind hin und wieder musikstücke wie werbeclips eingeflochten — ohne erkennbaren bezug zur handlung. wie gesagt, knapp 60 minuten habe ich unter schmerzen durchgehalten, dann musste ich abschalten. ich hatte da schon so ne ahnung.

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johannes kuhn hat die serie gefallen (er hat auch den trailer eingebunden), andrian kreye hats auch nicht gefallen, er hat aber hoffnung, dass sich die serie nach dem piloten noch fängt. ich nicht. die zweite staffel ist übrigens schon gesetzt.

verdichtung der fischerinsel

felix schwenzel, , in artikel    

auf der fischerinsel soll ein weiterer wohnturm gebaut werden. mir fiel das gestern auf, weil an einer ecke, wo bisher ein park war, plötzöich die bäume fehlten.

verdichtung der fischerinsel

als bildunterschrift wollte ich unter dieses bild schreiben: „bäume weichen, damit wir endlich mehr büroräume oder das drölfschrillionste hotel in mitte bekommen.“ eine kurze recherche zeigt, es gibt angeblich „wütende Proteste“ gegen die bebauung, schreibt zumindest ulrich paul in der berliner zeitung:

Der geplante Bau eines 19-stöckigen Hochhauses in Berlins Mitte stößt auf Protest. Die Planungen der siebziger Jahre würden damit fortgesetzt, kritisiert der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann.

allerdings ist das 19-stöckige hochhaus kein büro oder geschäftsbau, sondern ein „Wohnturm“. dort sollen wohnungen entstehen, auch vom land berlin geförderte preiswerte wohnungen. das was die sprecherin der stadtentwicklungsverwaltung petra rohland sagt, ergibt in meinen augen durchaus sinn:

Das Hochhaus ist das Ergebnis eines internationalen Architekturwettbewerbes. Es ordnet sich durchaus in das Hochhausensemble auf der Fischerinsel ein und entspricht einer gewollten Verdichtung, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – auch in historisch bedeutender, zentraler Innenstadt-Lage.

was soll man gegen solche pläne haben? der historiker benedikt goebel hat einen guten grund:

Ein Hochhaus habe dort nichts zu suchen.

hm, warum nicht? weil dort bereits hochhäuser stehen? ja, weil die hochhäuser die dort stehen „fehler“ gewesen seien (sagt die vorsitzende des vereins berliner historische mitte, annette ahme) oder der ehemalige senatsbaudirektor hans stimmann:

Ich halte die geplante Bebauung der sogenannten Fischerinsel mit einem weiteren Wohnhochhaus für falsch. Damit werden die Planungen der 70er-Jahre für ein sozialistisches Stadtzentrum mit Wohnen in Hochhäusern weitergeführt als existiere die DDR noch.

ich finde verdichtung in der stadt gut. auf der seite der architekten kann man ein paar visualisierungen der geplanten bebauung sehen und erkennen, dass das hochhaus kein gestalterischer höhenflug ist, sich aber sehr gut ins stadtbild einfügt. und vor allem: es ist wohnraum.

es gibt zwar menschen wie daniel fuhrhop, die meinen, man sollte das (neu) bauen ganz verbieten:

In meiner Streitschrift „Verbietet das Bauen!“ führe ich 50 Werkzeuge auf, die Neubauten überflüssig machen: von Altbausanierung bis Leerstand-Management, von Imagekampagnen für scheinbar randständige Wohnorte ("aus Duisburg wird Düsseldorf-Nord") bis hin zu ganz neuen Formen der Wohnraumnutzung.

Besonders wertvoll sind diese Werkzeuge angesichts des Zuzugs der Flüchtlinge: Die benötigen nämlich sofort neuen Wohnraum und nicht erst in einem Jahr. Darum brauchen wir für sie keinen Neubau, sondern wir sollten vorhandene Räume nutzen und Leerstand beseitigen. So stehen allein in den 19 größten deutschen Bürostandorten acht Millionen Quadratmeter Büros leer, hinzu kommen eine Million ungenutzter Wohnungen und darüber hinaus Hunderte Fabrikhallen und Kasernen - genug für mehrere Millionen Flüchtlinge.

die zusammenfassung seiner streitschrift-thesen in der geo ist jedenfalls lesenswert und ich glaube dass da einige gute ideen drin stecken. trotzdem ist gerade berlin eine stadt die weiter wie wild wächst. die ganzen beschissenen und teilweise lieblos in mitte hingeschissenen hotels scheinen gut belegt zu sein, der zuzug nach berlin scheint, wenn man sich die mietpriesentwicklungen in den zentraleren bezirken ansieht, ungebrochen. ich glaube, dass verdichtung in berlin nach wie vor sinn macht. selbst am reissbrett entworfene gebiete wie der sehr verdichtete potsdamer platz, funktionieren in berlin.

städtebau hat mich im studium immer ein bisschen gelangweilt. nicht weil es an sich langweilig war, sondern weil es so komplex und unkonkret war. stadtplanung und stadtplanumsetzung zieht sich oft über jahrzehnte, wenn nicht gar jahrhunderte hin. es sind unfassbar viele aspekte zu beachten, ökologische, verkehrsplanerische, soziale, soziologische und sehr viel unplanbares. was mir aber sehr grossen spass macht, ist städtebau in der praxis zu beobachten. berlin dabei beoabchten, wie es sich verdichtet, neue stadtteile entstehen und sich beleben, wie neue stadtteile durch öffentlichen nahverkehr erschlossen werden und aufblühen. allein deshalb kann ich schon nicht wütend werden, wenn hier hin und wieder eine weitere freifläche betoniert und hochverdichtet wird. um diese wut zu entwickeln, muss man wohl hysteriker historiker sein.

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bildquelle, visualisierung: finest-images

pimmelfechten an der müllerstrasse

felix schwenzel, , in artikel    

gestern, auf dem weg nachhause, an der kreuzung müller- und seestrasse. zwei fussgänger, jung, männlich, breitbeinig, gehen bei knapp rot über die ampel und fühlen sich beim überqueren der strasse offensichtlich von einem kleinbus behindert, der sie zwingt einen kleinen schlenker zu machen.

als zeichen des unwillens schlägt einer der breitbeinigen mit seiner (plastik-) colaflasche (leicht) gegen die schiebetür des kleinbus. keine zwei sekunden später geht die schiebetür auf und, wie im kino, quellen drei bis vier andere junge, breitbeinige männer aus dem bus und bewegen sich zusammen mit dem fahrer drohend auf den typen mit der cola-flasche zu (der erstaunlicherweise keine anstalten zur flucht unternahm).

während des (verbalen) pimmelfechtens, blockiert der kleinbus den gesamten verkehr auf der seestrasse. man muss ja prioritäten setzen als adrenalin-schwangerer. der verbale schlagabtausch dauert etwas länger als zwei ampelphasen. glücklicherweise schlägt niemand der am weiterfahren oder weitergehen gehinderten mit gegenständen auf den kleinbus ein, alle beteiligten beschränken sich glücklicherweise aufs hupen.

ich erinnere mich, wie ich vor ein paar monaten an der friedrichsstrasse dabei war die strasse zu überqueren und noch ein taxi vorbeifahren lassen wollte. das taxi fuhr aber nicht vorbei, sondern hielt genau vor mir an, um den fahrgast aussteigen zu lassen. ich stand direkt vor der b-säule des taxis und musste um das taxi herumlaufen, um die strasse zu überqueren.

aus ärger schlug ich beim vorbeigehen mit der flachen hand auf den kofferraum des taxis, was nachvollziehbar ist, aber auch strunksdumm. denn eigentlich habe ich das schon vor 30 jahren gelernt: penisstolz, eitelkeiten und emotionale reaktionen im strassenverkehr, sind unter allen umständen zu vermeiden. ernsthaft.

better call saul s02e01 (switch)

felix schwenzel, , in gesehen    

eine ganze folge in der fast nichts passiert und trotzdem habe ich mich keine sekunde gelangeweilt. ich habe mich eben, als ich die erste folge better call saul der zweiten staffel gesehen habe, dabei beobachtet, dass ich versuche auf jedes noch so kleine detail zu achten. jahreslanges ansehen von vince-gilligan-serien hat mich offensichtlich darauf trainert, das genau so zu machen. das spannende an dieser erzählweise ist, dass die einführung in die handlung mehr fragen aufwirft, als sie beantwortet. normalerweise ist das andersrum: am anfang von serien werden die figuren vorgestellt, und spätestens am ende der ersten folge, hat man eine vorstellung davon, was in ihrem köpfen vorgeht, wie sie ticken, was sie im rahmen der serie (oder des films) für ziele verfolgen und wer ihr gegner sein wird.

nach 47 minuten better call saul hat man nichts als ahnungen was passieren könnte oder wem etwas zustossen könnte — mehr nicht.

es ist offensichtlich, dass jimmy mcgill (alias saul goodman) in der gegenwart, die ausschliesslich schwarz/weiss gezeichnet ist, vor irgendetwas oder irgendwem auf der flucht ist — aber das wurde auch schon in der ersten folge der ersten staffel angedeutet — und dann die ganze staffel über nicht mehr thematisiert. genauso offensichtlich ist es, dass jimmy mcgill die fähigkeit hat, leute zu überraschen und ständig schwer nachvollziehbare entscheidungen zu treffen. im laufe der folge konnte man dem gesicht von jimmy mcgill mehrfach entnehmen, dass er einen einschneidenden einfall hatte, der sein leben verändern würde — aber genauso oft konnte man seinem gesicht dann weniger später wieder die totale ratlosigkeit ansehen, mit der er sich in der welt bewegt. ganz besonders schön wurde diese planlosigkeit am ende der folge illustriert, als jimmy mcgill sich nicht davon abbringen konnte einen schalter, auf dem stand „do not turn off“, auszuschalten. dieser lichtschalter symbolisiert — ganz offensichtlich — jimmy mcgills herangehensweise ans leben.

„Do NOT turn OFF!“

das kann man alles furchtbar langweilig finden oder, auf eine sehr spezielle art, spannend. ich würde sagar so weit gehen und behaupten, dass gilligan das publikum mit seiner extrem ruhigen erzählart vor sich her treibt. mich zumindest. die kleine miniatur am anfang der folge, die vor-blende in die gegenwart, zeigt das exemplarisch. es passiert gerade so viel, dass die handlung eigentlich in einen tweet passen würde — und doch erzählt die fast sechs minuten lange szene viel mehr. interessanterweise fand die beifahrerin diese erste szene „genial“, den rest hingegen langweilig. dabei ist die ganze folge exakt wie diese erste szene gestrickt: wir sehen ausschnitte aus einer handlung, die sich in den nächsten paar folgen (wahrscheinlich) zu einer grösseren geschichte zusammensetzen werden — aber wir sehen nie das ganze bild. wir wissen nie wo wir dran sind, die gezeigten fragmente sind (noch) undurchschaubar. und weil das so wunderbar ruhig und detailiert erzählt wird, schaue ich es mir völlig ungelangweilt und begeistert an.

ich gehe davon aus, dass das tempo in den nächsten folgen anziehen wird, aber wenn das tempo genau so bleibt, wäre ich auch zufrieden.

(auf netflix gesehen)

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alle weiteren besprechungen der folgen der zweiten staffel von better call saul:

ich weiss wer du bist

felix schwenzel, , in gesehen    

ich weiss wer du bist ist das nicht-fiktionale gegenstück zu mario sixtus fernsehspiel operation naked. in dieser reportage versucht mario sixtus der frage auf den grund zu gehen, ob das, was er in seinem fernsehspiel fiktional, und teilweise etwas arg zugespitzt, gezeigt hat, auch in der realitiät, bzw. der gegenwart möglich ist. die antwort lautet natürlich ja. gesichtserkennung, augmentierte wirklichkeit und mikro-kleine, leistungsfähige recheneinheiten sind schon lange aus laborstadium heraus, werden aber grösstenteils (noch) aus dem massenmarkt herausgehalten.

ich fand auch hier das format der dokumentation gelungen. zum beispiel stört mich vieles, was mich bei den meisten fernsehnasen in den wahnsinn treibt, bei mario sixtus überhaupt nicht. er hat nämlich die seltene gabe, gleichzeitig ernst, als auch ironisch durchtränkt zu wirken. mario sixtus selbst ist in seine doku wirklich sehr, sehr viel zu sehen, aber ich musste auch mehrfach sehr lachen. eine der besten szenen fand ich, als mario sixtus dem projektleiter des google-glass-projekts, sebastian thrun, in einer (offensichtlich) selbst gebastelten pappdatenbrille gegenüber tritt — während thrun stolz seine google-glass-brille trägt. sixtus trägt seine pappdatenbrille ebenso stolz und selbstverständlich, während die beiden smalltalken.

was mir im fernsehfilm an differenzierung gefehlt hat, holt sixtus in seiner doku nach. er ist nicht nur sehr viel durch die welt gegurkt um die doku zu drehen, sondern hat sich auch sehr gute, teilweise exklusive gesprächspartner vor die kamera geholt. man sieht übrigens auch in dieser reportage, dass das licht in kalifornien wirklich das beste licht der welt für bildaufnahmen ist.

es gibt witzigerweise eine parallele zwischen ich weiss wer du bist und dem aktuellen star-wars-film: ich bin auch bei der vorführung von ich weiss wer du bist zweimal weggerazt. allerdings, genau wie bei star wars, nicht wegen langeweile, sondern wegen müdigkeit.

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trailer und sendungsinfo bei arte und bei der ARD, bildquelle

operation naked

felix schwenzel, , in gesehen    

mario sixtus, der elektrische reporter, hat einen film gemacht. keine reportage, sondern einen fernsehfilm, unter anderem zusammen mit der redaktion des kleinen fernsehspiels des ZDF. am mittwoch abend habe ich mir den film vorab angesehen, regulär läuft er 22. februar um kurz vor mitternacht im ZDF (weitere sendetermine).

den film fand ich nicht schlecht, die erzählte geschichte OK und die schauspielerei gerade noch erträglich. was ich aber sensationell fand, waren die erinnerungen die der film in mir wach rief. die erinnerung an diesen fernsehsender mit der besonderen fähigkeit, fast alles was er sendet, piefig erscheinen zu lassen. ich habe seit bestimmt 10 jahren kein reguläres ZDF-programm mehr gesehen, früher hingegen gar nicht mal so selten. der film von mario sixtus war eine erinnerung daran, dass die entscheidung, kaum noch ZDF zu gucken, ganz gut war. man sieht in diesem film wirklich viel ZDF. mario sixtus hat lässt mehr oder weniger den ganzen film in gestellten reportage-, nachrichten- oder talksendunegn erzählen. das ZDF als erzähler.

ich hatte das gefühl, dass wirklich jede ZDF-sendung im film vorkam (laut pressematerial waren es 15 ZDF-„formate“): das morgenmagazin, das heute journal, lanz, böhmermann, die heute show, peter hahne — alles dabei gewesen. diese idee, einen film aus gestellten szenen mit den original moderatoren, in echten kulissen zu drehen, muss ein organisatorischer höllenritt gewesen sein. aber gleichzeitig ist das auch das erste mal, dass ich so etwas so konsequent umgesetzt gesehen habe. in all meiner ahnungslosigkeit bin ich geneigt, die geburt eines neuen genres ausrufen zu wollen. apropos rufen. niels ruf war auch dabei, allerdings nicht als echter moderator, sondern als moderator einer ausgedachten sendung.

was ich erstaunlich fand: wie überzeugend und makellos die professionellen moderatoren ihre rollen spielten, bzw. mario sixtus’ texte vortrugen. natürlich fällt in einer so hohen dosierung auf, dass die moderatoren alle eine kunstsprache sprechen, mit extra viel betonung, modulation und dramatik. aber genauso fällt auf, dass wir uns als zuschauer daran gewöhnt haben und genau diesen tonfall von professionellen moderatoren erwarten. als mario sixtus vor vielen jahren als elektrischer reporter anfing, habe ich mich über seinen ironisch übertriebene peter von zahn stimmlage und intonation köstlich amüsiert. mittlerweile kommt mir diese art zu sprechen fast natürlich vor.

jedenfalls machen die moderatoren in operation naked das was sie immer machen und wirken erstaunlich natürlich und so wie wir sie kennen. das natürlich-wirken fiel den schauspielern deutlich schwerer. sie redeten alle wie klaus kinsky in einer talkshow, wenn er entspannt wirken wollte. sie immitieren unsicherheiten beim formulieren, setzen nachdenkpausen beim sprechen, zögern manchmal beim antworten — wirken dabei aber fast nie ungekünstelt.

so sehr mir das format des films gefiel, hatte ich anfangs probleme mit der geschichte die der film aufspannt. der film erzählt im prinzip die geschichte einer augmented reality datenbrille und des gesellschaftlichen und politischen gezerres um sie. mir war das teilweise zu reduziert, stereotyp und auf eine bestimmte art zu undifferenziert. mein problem mit der geschichte löste sich aber, als mir klar wurde, dass mario sixtus keine seite einnimmt. er macht sich in gewisser weise über alle seiten der medaille lustig, über die glassholes, die post-privacy-advokaten, die datenschützer oder die streetview-fassadenschützer.

mario sixtus hält die geschichte ambivalent, er löst nicht auf — auch wenn er die erzählung mehr oder weniger versöhlich enden lässt und am ende mit einem inszinatorischem taschenspielertrick auf eine metaebene hebt.

ich gebe vier sterne, weil ich den film trotz einiger schwächen im schauspielerischen und in der umsetzung für gelungen halte. alleine um die vielen, zum teil stark gealterten, ZDF-nasen in ihren fernseh-habitaten zu sehen, hat sich der film schon gelohnt. es war auch lustig zu sehen, wie peter hahne sich um kopf und kragen redet, ohne dass er merkt, was eigentlich los ist. wobei das wahrscheinlich bei jeder seiner sendungen der fall ist. ich bin aber auch befangen, weil an dem film sehr vielen menschen mitgemacht haben, die ich gerne mag. ich bin auch ein bisschen ein mario-sixtus-fanboy, was operation naked möglichweise einen extra punkt beschert haben könnte. mario sixtus hat bei diesem film übrigens fast alles gemacht, nicht nur das drehbuch, die produktion und die regie, sogar die musik stammt von ihm. und natürlich spielt er auch mit — als elektrischer reporter.

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im prinzip gehört zu diesem fernsehfilm auch die dokumentation ich weiss wer du bist, in der er der frage nachgeht, ob das, was er in seinem fernsehspiel fiktional zeigt, auch in der realitiät möglich ist.

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trailer, operationnaked.org, programmdaten

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[nachtrag 15.02.2016]
der film ist jetzt in der zdf-mediathek zu sehen.

[Werbung] Dong Xuan Center

felix schwenzel, , in artikel    

Seit letzter Woche gibt’s die GEO Special Berlin im Handel. Gruner + Jahr hat mir ein Heft überlassen, um darin interessante Orte zu finden, die ich noch nicht kenne oder noch nicht als besuchenswert erkannt habe und darüber zu schreiben. Für diesen Artikel bekomme ich ein Honorar von Geo, deshalb versuche ich auch auf Gross- und Kleinschreibung zu achten.

In der GEO Special habe ich tatsächlich ein paar Orte gefunden, die ich noch nicht kannte und unbedingt besuchen möchte. Bei uns um die Ecke, zum Beispiel, gibt es die Preußische Spirituosen Manufactur (Seestrasse 13, psmberlin.de), die unter anderem Kräuterliköre herstellt. Sehr einladend sieht auch das Kaffeehaus Grozs in Charlottenburg aus (Kurfürstendamm 193/194), wo ich demnächst mal einen Kaffee trinken möchte.

Ich habe mich aber entschieden das Dong Xuan Center am Sonntag anzusehen. Laut des Tipps der „Berliner Kreativen“ Carl Jakob Haupt und David Kurt Karl Roth (beide, laut Bildunterschrift, 31 Jahre alt) auf Seite 101 der Geo Special, ist das Dong Xuan Center ein „Little Hanoi“, in dem „Vietnamesen alles von Kleidung bis zur besten Pho-Suppe“ verkaufen. Sonntags gehe ich immer gerne spazieren, also bin ich aus dem Wedding dorthin gelaufen. Google Maps gibt eine Laufzeit von zweieinhalb Stunden an, gedauert hat es dann aber dreieinhalb — auch weil ich noch ein paar kleine Umwege und Pausen gemacht habe.

trip 07.02.2016, von 12:50 bis 16:21 uhr

Eigentlich wollte ich mir nämlich, obwohl er Sonntags geschlossen ist, den Showroom Geyersbach ansehen (Kopenhagener Strasse 17, geyersbach.com), in dem Ulf Geyersbach Altholz zu neuen Möbeln tischlert und die Ergebnisse dort zeigt. Eine Fehlbedienung meines Navigationssystems führte mich aber auf eine falsche Fährte, was ich erst an der Schönhauser Allee, Ecke Eberswalder Strasse merkte.

Strassenmusiker an der Schönhauser Allee

Das war aber auch OK, weil dort, wie im Heft beschrieben, ein Strassenmusiker stand und musizierte, auch wenn es nicht der im Heft portraitierte Geordie Little war. Ich mag die Ecke aber so oder so, weil dort wirklich immer sehr viel Leben herrscht, weil es an der Ecke guten Kaffee gibt (Impala), ich hier in der Nähe die Beifahrerin kennengelernt habe (An einem Sonntag im August) und man hier gut wegkommt.

Weiter also durch und dann raus aus dem Prenzlauer Berg, die Danziger Strasse entlang, deren Schaufensterauslagen etwas weniger hip, als die im Prenzlauer Berg sind.

Schaufensterauslage an der Danziger Strasse

Vorbei am Velodrom, und dann durch Fennpfuhl, eine ziemlich grosse Plattenbausiedlung aus der DDR-Zeit, durch die ich eigentlich ganz gerne laufe, auch weil es dort schöne Parkanlagen und Gewässer gibt und die Plattenbauten sehr wohnlich aussehen. Eine Strassenbahn (M8) fährt auch mitten durch die Siedlung, teilweise auf begrünten Gleisen.

Nach Fennpfuhl wandelt sich das Stadtbild in sanierungsbedürftiges Gewerbegebiet. Dieses Gebäude ist bereits auf dem Gelände des Dong Xuan Center.

Gewerbehof, kurz vor dem Dong Xuan Center

Der eigentliche Eingang, bzw. die Einfahrt liegt aber noch ein paar hundert Meter weiter.

Eingang/Einfahrt des Dong Xuan Center

Das Dong Xuan Center besteht aus 6 Markthallen, drei grossen und mehreren kleineren. Die drei grösseren sieht man oben auf dem Bild. Das Center ist jeden Tag offen, ausser Dienstags, da ist Ruhetag. In den Hallen fühlt man sich ein bisschen wie in China-Town in New York, sehr viele fremde Gerüche und irritierende Enge. Alles ist ein bisschen schäbig, aber auf eine unhippe, sympathische Art.

Dong Xuan Center, Halle 2

In den Hallen gibt es mehrere Lebensmittelläden, sehr viele Friseure, einige Läden mit Ausstattungen für Nagelstudios, aber auch ein paar Läden in denen man nicht nur die Ausstattung kaufen kann, sondern sich auch gleich die Nägel machen lassen kann. Es gibt auch einen Plastikblumen-Laden und unzählige Läden mit analogem Plastiktand oder elektrischem Tand.

Plastikblumen-Laden im Dong Xuan Center

An den Eingängen der Hallen steht zwar überall Grosshandel, aber soweit ich sehen konnte, lassen sich auch problemlos kleinere Mengen kaufen, teilweise, so scheint es mir, recht günstig.

Was ich witzig fand, waren die Hinweisschilder in den Gängen, auf denen die Hausverwaltung eindringlich auf das strenge Rauchverbot hinweist:

Da Verwaltung, Hausmeister und der Sicherheitsdienst schon mehrfach auf das Rauchverbot in den Hallengängen hingewiesen haben und sich trotzdem keiner daran hält, wird mit sofortiger Wirkung eine Strafe von 50 Euro bei Missachtung des Rauchverbots eingezogen.

Die Verwaltung, die Hausmeister und der Sicherheitsdienst haben das gut beobachtet: in den Gängen wurde hemmungslos von den Händlern gequarzt.

In’s Dong Xuan Center bin ich natürlich auch wegen des Essens gegangen. In Berlin gibt es sehr viele sehr gute vietnamiesische Restaurants und ich war sehr gespannt, ob sich hier etwas besseres finden liesse. Leider war die Auswahl ziemlich schwer. Alle Restaurants waren auch noch am Nachmittag gut besucht, alle sahen eher nach gehobener, unambitionierter Strassenküche aus und in den meisten wurde auch bedient. Ich entscheid mich für die einfachste Wahl, das Viet Phô, das vorne in Halle 2 liegt, mit Blick auf den Eingang und das einen einladenden Eindruck machte. Die Speisekarte war unfassbar lang und ich entscheid mich nach etwas innerem hin und her für die Nummer 40, Phở bò áp chảo nước, Reisbandnudelsuppe mit gebratenem Rindfleisch und vietnamesischem Gemüse für 7 Euro. Dazu gabs ein köstliches Mango-Lassi.

Reisbandnudelsuppe mit gebratenem Rindfleisch

Die Suppe war OK, hat mich aber nicht umgehauen. Sowohl die Brühe, als auch das Fleisch waren sehr aromatisch, die Pak Choi waren knackig, unten schwamm schön viel Knoblauch und Ingwer und die Suppe hat satt gemacht. Beim nächsten mal probier ich das Restaurant hinten rechts in Halle 3 aus. Nächstes mal nehme ich dann auch die Beifahrerin mit, die geht nämlich auch sehr gerne in Gewerbegebieten spazieren.

Dong Xuan GmbH
Herzbergstr. 128-139
10365 Berlin
Täglich: 10:00 - 20:00 Uhr - Dienstag ist Ruhetag
(+49) 30 – 55 15 20 38
dongxuan-berlin.de

star wars — the force awakens

felix schwenzel, , in gesehen    

ich hab mir alle star-wars-filme angesehen, aber das hier ist, nach langer zeit, der erste gewesen, bei dem ich mich wieder gut amüsiert habe. nach all den überkomplexen fernsehserien mit x parallelen handlungssträngen, die ich mir in den letzten jahren reingezogen habe, war the force awakens auch im vergleich entspannend unkomplex. eine einfache coming of age (oder coming of force?) geschichte, mit einer grandios besetzten, komplexen, starken, weiblichen hauptrolle, bei der ich mich nicht eine minute gelangweilt habe. ich bin aber trotzdem, gegen ende des films, zweimal kurz weggeratzt, aber nicht aus langeweile, sondern aus müdigkeit.

ich glaube über the force awakens ist schon so viel, aus so vielen perspektiven geschrieben worden, dass ich jetzt nicht auch noch die dreihundersechstausendste rezension verfassen muss. ein paar meiner eindrücke möchte ich aber doch festhalten.

ich finde die (keinesfalls neue) idee sehr reizvoll, dass es menschen gibt, die bestimmte androiden oder wesen verstehen und andere nicht. das thema zog sich durch den ganzen film und wurde sehr sorgfältig auf potenziell verwendbare witze abgeklopft. überhaupt fand ich es sehr angenehm, wie viele subtile witze und anspielungen in dem film untergebracht waren. ich habe bestimmt nicht alle anspielungen und gags mitbekommen oder verstanden, aber ein paar doch — und den einen oder enderen möglicherweise sogar als einziger im kino. kann natürlich auch sein, dass der IMAX-sound immer genau dann zu laut war, wenn andere mal mit mir mitgelacht haben.

der reichlich vorhandene humor, wurde zwar immer wiedermal mit beissendem pathos gekontert, aber auch das war gut auszuhalten und nicht so platt wie in den letzten filmen.

ich weiss nicht was mich mehr in den bann gezogen hat, die guten schaupielerischen leistungen, oder die wirklich runde inszenierung und geschichtenentwicklung. ich tendiere dazu, den grossteil meines grossen vergnügens beim zuschauen j.j. abrams anzulasten. die schauspieler waren ja eigentlich auch schon in den vorgängerfilmen durchweg sehr gut, aber wie sich die geschichte von the force awakens entwickelte, fand ich sehr rund und angenehm — trotz gelegentlicher absurditäten oder physikalischem unsinn.

ich habe star wars immer gerne gesehen, würde mich aber nicht als fan bezeichnen. aber ich glaube ich könnte mich als j.j.-abrams-fan bezeichnen. ich kann mich an nichts erinnern, das er als regisseur umgesetzt hat, was ich besonders doof gefunden hätte.

harrsison ford ist sehr sehr alt geworden, vor allem so aus der nähe betrachtet. wir (das kind und ich) waren ja heute im IMAX am potsdamer platz, mit 3D und in originalversion. und bei diesem IMAX- oder 3D-gedöns, kommt man den schauspielern schon ganz schön nahe. erstaunlicherweise hat mich das 3D-gedöns dieses mal auch gar nicht genervt. auch 3D scheint eine kunstfertigkeit zu sein, die eben nicht jeder beherrscht, bzw. mit der man offenbar jahrelang experimentieren muss, um zu angenehmen ergebnissen zu kommen. tatsächlich waren einige szenen so immersiv, dass ich mich stellenweise bei meinen vorderleuten beschweren wollte, dass sie sich jetzt doch bitte wieder hinsetzen sollen, dabei waren es dreidimensionele scheinobjekte, die sich in mein sichtfeld schoben. ich bilde mir auch ein, dass ruhige szenen, also szenen in denen sich die kamera nicht allzu viel bewegt, oft ganz besonders beeindruckend sind. oder umgekehrt: zu schnell bewegte szenen verschmieren oft oder scheinen seltsam verwackelt.

in einer szene sieht man den bug eines gigantischen sternenkreuzers, in einer relativ langen und sehr ruhigen einstellung. dabei fiel mir auf, welche detailtiefe das modell besass — und vor allem welche detailtiefe aus dem kinosessel erkennbar war. sehr schön anzusehen fand ich auch den abspann in 3D; ein grosser, weiter, ruhiger sternenhimmel, quasi hinter der leinwand aufgespannt und auf der leinwand, scheinbar im leeren raum, rollten die buchstaben nach oben.

der beste 3D-effekt war allerdings vor dem film zu sehen. da stellte sony die vorzüge der IMAX-technik und des IMAX-kinos, in dem wir sassen, stolz vor. jedes detail wurde mit sehr vielen adjektiven erklärt. zwischendurch wurde die schalltechnik erklärt und das licht hinter der leinwand angeknipst. dort konnte man ein gigantisches gerüst sehen, in dem sehr viele lautsprecher hingen. dieser 3D-effekt funktionierte auch gut ohne 3D-brille.

ich bin mittlerweile kein grosser kino-fan mehr, ich gucke mir filme auch gerne auf dem handy oder meinem 13" retina-bildchirm an. nur bei the force awakens müsste ich damit wohl bis mitte april warten, bis der film in angemessener qualität irgendwo legal erscheint. deshalb habe ich mich dann doch entschieden ins kino zu gehen — und dann auch gleich richtig und ordentlich. tatsächlich kann ich nichts schlechtes über das IMAX- und 3D-zeug sagen. ich bin sehr tief im film versunken und fühlte mich den figuren teilweise porentief nah.

ich gebe dem film 5 sterne, die volle punktzahl, weil ich nichts am film auszusetzen habe. meine erwartungen waren nicht besonders hoch: ich wollte unterhalten werden und wenn möglich in eine andere welt eintauchen, und mich jedenfalls weder langweilen noch über allzugrosse absurditäten ärgern. diese erwartungen hat der film voll und ganz erfüllt und teilweise übertroffen. selbst der unvermeidliche cliffhanger am ende des films, war wohl temperiert.

angst schüren

felix schwenzel, , in artikel    

actio und reactio und ein pfosten — symbolbild für alles

sascha lobo schreibt auf spiegel.de über das irrsinnige vorhaben, bargeldzahlungen über 5000 euro zu verbieten. er schreibt in dieser kolumne, wie immer, viele richtige sachen. vor allem beschreibt er (wieder) eine politische idee, eine ideologie, die glaubt, immer mehr überwachung, würde zu mehr sicherheit und bessere erkenntnisse über bedrohungslagen führen. in einer früheren kolumne hat er das sehr schön als „gefühlte Rationalität“, bzw. als „Scheinrationalität“ bezeichnet.

Wenn also diese Daten offensichtlich nicht ausreichen, um einen Anschlag zu verhindern - welche Daten um alles in der Welt hofft man dann per Generalüberwachung zu bekommen? Die rationale Herangehensweise wäre das Eingeständnis, dass es nicht darum geht, neue Daten zu bekommen, sondern die längst vorhandenen besser auszuwerten. Die scheinrationale Herangehensweise aber wird sich durchsetzen: mehr Überwachung. Mehr Daten. Die Irrationalität dahinter lautet: Wir finden die Nadel im Heuhaufen nicht, also brauchen wir mehr Heu.

in dieser kolumne variert er den gedanken:

Das Ziel der Abschaffung des Bargelds ist die tausendste Variante der Überzeugung, dass man alle Menschen engmaschig und automatisiert kontrollieren müsse, um Sicherheit gewährleisten zu können. Diese autoritäre Ideologie, Kontrolle durch flächendeckende Überwachung, steht hinter der Radikalität von BND und NSA ebenso wie hinter der Vorratsdatenspeicherung. Es geht um eine verstörende und für eine aufgeklärte, offene Gesellschaft unwürdige Haltung. Wer nicht laufend aufs Neue beweist, dass er unschuldig ist, muss als verdächtig, also potenziell schuldig gelten.

soweit so richtig und so beunruhigend. denn diese mechanik, immer mehr kontrolle, immer mehr überwachung, ist nicht nur einer aufgeklärten, offenen gesellschaft unwürdig, sondern vor allem, nach allem was wir wissen, mehr oder weniger nicht der demokratischen kontrolle unterworfen. die gewaltenteilung, die checks and balances, das zentralste element einer funktionierenden demokratie, wird durch die wachsenden freiräume für geheimdienste und sicherheitsbehörden unterwandert.

cory doctorow hat das in einem sehr langem essay kürzlich sehr passend beschrieben:

The security services are a system with a powerful accelerator and inadequate brakes. They’ve rebranded “terrorism” as an existential risk to civilization (rather than a lurid type of crime). The War on Terror is a lock that opens all doors. As innumerable DEA agents have discovered, the hint that the drug-runner you’re chasing may be funding terror is a talisman that clears away red-tape, checks and balances, and oversight.

The story of terrorism is that it must be stopped at all costs, that there are no limits when it comes to the capture and punishment of terrorists.

überwachung gilt als allheilmittel und geheimhaltung und das fernhalten von demokratischen, kontrollierenden prozessen ist der schutzmantel. das wort terrorismus wirkt wie ein zauberspruch, um lästige demokratische und rechtsstaatliche mechanismen ausser kraft zu setzen. eine weitere schutz- und wachstumsschicht, für die freiräume der überwachungsapparate, ist natürlich die angst, angst vor anschlägen, angst vor mangelnder sicherheit:

Jeder neue Anschlag und auch jede neue (egal wie falsche) Geschichte über die Terrorgefahr durch mangelnde Überwachung sät Angst und macht die Bevölkerung empfänglicher für technikgläubige Heilsversprechen.

ängste strategisch zu nutzen, um politische vorhaben umzusetzen, ist ein klassisches populistisches instrument. wir können dieser strategie derzeit in verschiedenen wahlkämpfen, vor unserer haustür, aber auch in übersee, quasi live zuschauen. wer die gefühle der bevölkerung geschickt anspricht, kann sich zumindest ganz ordentlicher umfragewerte sicher sein. und natürlich sind wir uns alle einig, dass das hinterlistige hantieren mit ängsten, realistischen oder eingebildeten ängsten, einer aufgeklärten, offenen gesellschaft unwürdig ist.

nach neun absätzen überlegt sich sascha lobo dann, das mit den ängsten auch mal auszuprobieren und kommt auf das beliebte totalitarismus-argument:

Was würde eine totalitäre Regierung mit den Gelddaten machen?
[…]
[M]it jeder neuen Technologie, die neue, verhaltensbeschreibende Datenströme hervorbringt, wird zunächst die Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle geschaffen. Im Hintergrund immer drohend die Frage: Was würde eine an die Macht geratene rechtspopulistische Partei mit den Datenströmen tun, die durch die Überwachung aller Geldflüsse entstünde?

ich habe mich sehr geärgert, über dieses strohmann-argument. einerseits weil es mit unseren ängsten spielt und auf mich wie aus dem populismus-baukasten genommen wirkt. andererseits, weil es so absurd ist: wenn wir uns auf diesem niveau gedanken über die zukunft unserer gesellschaft machen, müssten wir auch über die abschaffung der polizei und des militärs nachdenken?

denn welche schlimmen dinge könnte eine „totalitäre Regierung“ mit diesen instrumenten umsetzen? wir müssten präventiv unsere elektronische infrastruktur zurückbauen, und die deutsche waffenindustrie abwracken, für den fall der fälle, dass plötzlich totalitarismus oder rechtspopulisten in deutschland herrschten.

die absurdität des gedankens, dass bargeld ein wichtiges werkzeug gegen totalitarismus sei, wird aber spätestens klar, wenn man sich vorstellt, was eine totalitäre regierung wohl machen würde, wenn sie an die macht käme. sie könnte zum beispiel, in einem totalitären handstreich, das verbliebene bargeld abschaffen. dann hätten wir, in unzähligen kolumnen und blogeinträgen, verfasst unter einer noch nicht totalitären regierung, ganz umsonst für dessen beibehaltung gekämpft.

ich bin auch gegen die abschaffung von bargeld. aber das problem ist nicht das bargeld, oder die überwachung an sich, sondern dass die balance des politischen systems aus den fugen geraten ist; die gewaltenteilung funktioniert nicht mehr und ein verfassungsorgan, die exekutive, hat einen apparat geschaffen, der ganz offensichtlich nicht mehr wirksam von den anderen verfassungsorganen kontrolliert und eingeschränkt werden kann. nochmal aus der wikipedia über checks and balances:

Checks and Balances ist eine Bezeichnung für die gegenseitige Kontrolle, die Machthemmnis (englisch checks) von Verfassungsorganen eines Staates, zur Herstellung eines dem Erfolg des Ganzen förderlichen Systems partieller Gleichgewichte (engl. balances), zunächst im Wesentlichen, um einer Diktatur vorzubeugen.

wir sollten nicht den totalitarismus an die wand malen, sondern für ordentliche „Machthemmnisse“ sorgen. und vor allem sollten wir versuchen, den populismus und die angeblich einfachen lösungen, nicht mit populismus zu bekämpfen — sondern mit validen argumenten. so wie sascha lobo das üblicherweise tut. wenn er es unterlässt, schmerzt es mich.

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bildquelle, actio und reactio.

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[nachtrag 06.02.2016]

sascha lobo hat auf facebook geantwortet (auch hier hin syndiziert). leider hat er in allen punkten, die er in seiner antwort erwähnt, recht. ich hatte es ohnehin geahnt: sobald er mir antwortet, würde ich ihm wieder in allen punkten zustimmen müssen, obwohl ich ihm gerne weiter widersprechen würde. dafür müsste ich aber so viel nachdenken und differenzieren, dass ein ordentlicher widerspruch wahrscheinlich erst zur republica fertig wäre.

offside, wedding

felix schwenzel, , in wirres.net    

offside, wedding

das offside nennt sich selbst eine „pub & whisky bar“ und hat, in der tat, die beste whisky-auswahl, die ich jemals irgendwo gesehen habe. da ich allerdings noch nicht viele whisky-bars von innen gesehen habe, möchte ich nicht ausschliessen, dass es anderswo eine noch bessere auswahl gibt. wenn man sich jedoch die whisky-karte ansieht, ist es schwer vorstellbar, dass es irgendwo eine bessere auswahl gibt. selbst aus der mittlerweile geschlossenen caperdonich destillery, von der ich zu weihnachten eine 19jährige fassabfüllung probiert habe, hat das offside eine reiche auswahl.

ich habe zuerst den 16 jahre alten lagavulin probiert, der, glaube ich, als ein klassischer, rauchiger islay-whisky gilt. mein erster gedanke war: „aha, lecker u-boot-treibstoff“ was daran liegen kann dass es einfach der erste whisky-schluck des tages war, oder weil er tatsächlich leichte spiritus-noten hat. die folgenden schlücke zeigten dann aber ein sehr ausgeglichenes, harmonisches geschmacksbild, ohne ausgeprägte eigene charakteristik. bei islay-whiskys bleiben meine sympathien vorerst wohl bei laphroaig und bunnahabhain.

den bunnahabhain hatte ich ja vor einer weile in einer hotelbar in der provinz entdeckt und wollte im offside überprüfen, ob meine begeisterung von damals berechtigt war. war sie. die komplexität und die subtilen fruchtnoten des 18 jährigen bunnahabhain haben mich wieder sehr begeistert.

ebenfalls aus erinnerungsgründen nahm ich danach ein glas des 10 jährigen talisker. kein talisker sky, kein storm, den ganz normalen, der den ruf hat, sehr teerige noten zu haben. der 10 jährige talisker war der erste whisky den ich auf unserer schottlandreise vor 5 monaten probiert hatte (auf skye). die teer-noten sind unverkennbar, wirken aber erst im abgang und gestern fand ich sie sehr subtil und angenehm. aus den storm- und sky-varianten ist der teer ja ganz gut weggemixt und auch wenn ich den talisker storm für einen guten whisky halte, wird die nächste flasche talisker definitiv wieder ein 10 jähriger sein. obwohl ich vor dem nächsten talisker-kauf vielleicht nochmal den 18 jährigen oder den talisker dark storm probiere.

zum abschluss wollte ich gerne den glen moray nochmal probieren, den ich bei unserem besuch dort mal probiert hatte. es gab dort eine besonders stark getorfte spezial-edition, die angeblich auch nur in schottland vertrieben würde. damals habe ich nur einen kitzekleinen schluck davon probiert, weil ich noch fahren musste, aber er war mir stark in erinnerung geblieben. im offside merkte die bedienung zu recht an, dass die whiskys aus der gegend eher weniger getorft seien, bzw. dass sie eben von glen moray keine getorfte variante hätte (obwohl es wohl auch einen klassischen glen moray in peated gibt).

jedenfalls empfahl er mir einen ben riach 17 years septendecim. die ben riach destillerie ist auch in der speyside-region, wie der glen moray oder der glenfiddich, und er schmeckte mir aussergewöhnlich gut. er ist sehr hell und nach angaben der destillerie weder gefärbt noch kaltgefiltert. ich hätte mir den ben riach liebend gerne im whisky-store gekauft, auch wenn er dort ziemlich rot aussieht, aber bei amazon bekomme ich ihn 17 euro günstiger und ohne die 6 euro versandkosten, die mich der versand der 79,90€-flasche bei whisky.de kosten würde. auch wenn mir die youtube-verkostungen von horst lüning immer grosses vergnügen bereiten, 23 euro extra sind mir dann doch zu viel.

ich habe beim schreiben des artikels den falschen whisky gefunden. der benriach septendecim bei whisky.de kostet tatsächlich (gerade) 5 euro weniger als bei amazon. auch wenn ich etwas mehr für den versand bezahle, werde ich dann wohl doch mal bei whisky.de bestellen.

die bedienung im offside hatte ich eben ja schonmal kurz am rande erwähnt, sie verdienen aber alle eine besondere erwähnung. ich war sehr beeindruckt von der effizienz, aufmerksamkeit und der kompetenz der bedienungen dort. die bestellungen waren schneller auf dem tischen als das whisky-getrübte auge folgen kann, mehrfache platzwechsel konnten unsere bedienung nicht mal im ansatz irritieren und freundlich waren sowieso alle. ich glaube ich habe am ende 20% trinkgeld gegeben.

im offside gibt’s auch kleinigkeiten zu essen, darauf habe ich gestern verzichtet, aber der käse, der dort serviert wird, hat mich laut auflachen lassen. wer möchte, kann im offside ein stück camembert bekommen, das so gross ist wie eine viertel torte. ich habe auch teller gesehen auf denen drei grosse würste waren, zwei fleischfarbene und eine grüne, die sich bei näherer betrachtung als gigantische saure gurke herausstellte.

gäste im offside werden, wie die whiskys die ich gerne mag, stark geräuchert. ich war glaube ich seit 20 jahren nicht mehr in einer kneipe in der so kräftig geraucht wurde. ein gast paffte sogar an einer zigarre. um 20 uhr war der laden zum bersten voll, mit menschen und mit rauch. das entspannte sich alles im laufe des abends, aber ich kam am abend als räuchermännchen nachhause.

offside
jülicher straße 4
13357 berlin
offsidewedding.de