blendle.de

felix schwenzel, , in wirres.net    

vor ein paar tagen wurde ich von blendle gefragt, ob ich für blendle beta-testen und artikel kuratieren möchte. geld bekäme ich dafür nicht, aber dafür einen „einen Free-Account, mit dem du soviel lesen kannst wie du möchtest“. da ich mich — in aller bescheidenheit — für einen ganz guten tester, feedback-geber und kuratoren halte, war ich natürlich ein bisschen enttäuscht, nicht auch noch ein fürstliches honorar angeboten zu bekommen.

seit samstag habe ich jetzt zugriff auf blendle und obwohl ich jetzt schon 26 artikel gekauft habe, sind meine zwei euro fünfzig blendle-begrüssungsgeld noch bei € 2,50. offenbar kann ich also so viel lesen wie ich möchte.

lesen kann ich in den jeweils aktuellen ausgaben (und deren archiv, das bei blendle ungefähr 2 monate zurückgeht) vom spiegel, der FAZ und FAS, der süddeutschen, der zeit, dem tagesspiegel, im stern, der neon, der brigitte, der gala und ein paar springer-kackblättern. es gibt auch ein paar englischsprachige blätter, die washington post, das wall street journal und den economist, von dem man ja sehr viel gutes hört, aber in dem ich bisher eher wenig gelesen habe.

tatsächlich habe ich heute zum ersten mal wieder die frankfurter allgemeien sonntagszeitung gelesen, unter anderem diesen erstaunlich differenzierten, aber auch enorm unentschlossenen artikel über das wohl und wehe des urheberrechtsschutzes, stefan niggemeier über konstruktive nachrichten, oder diese von julian trauthig umgeschriebene und in der FAS veröffentlichten pressemitteilung von joey’s pizza. ach, und noch einen FAS/FAZ-text übers tropical island (möglicherweise hört das erst auf, wenn alle die redaktion komplett durchs tropical-island geschleust wurde).

das blendle-lesen am computer-bildschirm ist wegen des horizontalen scrollings etwas gewöhnungsbedürftig, aber auf dem mobiltelefon-browser schmerzfrei und einfach — um nicht zu sagen vorbildlich. eine app vermisse ich hier nicht, so dass ich noch nicht mal geprüft habe, ob es eine app gibt. alles funktioniert so wie man es erwartet. anmelden kann man sich passwortlos, indem man sich einen temporären, magischen login-link per mail schicken lässt, oder sich per facebook oder twitter anmeldet. im gegenteil zu sobooks und der spiegel-magazin-browseransicht kann man alle texte auch per copy und paste kopieren

die navigation ist übersichtlich und mit der empfehlungsfunktion werden populäre artikel nach oben gespült, bzw. hochempfohlen. das blendle-interne weiterempfehlen geht einfach, man kann empfehlungen mit tweetlänge kommentieren, man kann sich autoren- oder stichwortalerts erstellen, die suchfunktion funktioniert ganz ordentlich …

kurz gesagt: blendle kommt mir vor, wie ein wahrgewordener traum.

wie oft habe ich mich in den letzten jahren gefragt, warum der spiegel keine einzelartikel verkauft, sondern mich immer nur mit bescheuerten abo-fallen nervt oder zum heft-kauf nötigt. wie oft habe ich mich gefragt, warum sich zeitungen nicht auf ein einheitliches, faires zahlsystem für einzelartikel einigen, sondern texte hinter undurchdringbaren anmeldesystemen und apothekenpreisen verstecken. und plötzlich geht’s, plötzlich sind alle relevanten sehr viele deutschsprachige pressetexte nur noch einen klick entfernt.

dem offenen, freien netz, der linkkultur, dem offenen austausch tut ein solches angebot natürlich nicht gut, wie man an den blendle-links, die ich oben gesetzt habe sieht; 99% meiner leser schicke ich mit den links gegen eine undurchdringbare wand, weil blendle noch nicht offen ist und die wenigsten zugriff auf blendle haben. aber selbst wenn blendle endlich für jeden zugänglich sein sollte, steht vor dem lesen eine kurze anmeldeprozedur und ein geschlossenes ökosystem. exemplarisch ist dafür ein ganz ordentlich recherchierter artikel von philipp sickmann im tagesspiegel (den ich zuerst auf blendle, dank der empfehlungsfunktion, gefunden habe). sickmann fasst darin die bedenken einiger früher internetnutzer zusammen, die vor den gesellschaftlichen folgen warnen, die entstehen könnten, „wenn die Sicht auf die Welt von wenigen Diensten bestimmt wird.“ sickmann zitiert den iranischen blogger hossein derakhshan:

In seinem Beitrag „The Web We Have To Save“, erschienen auf Medium.com, kritisiert er die Entwicklungen unserer Zeit: Die vorherrschenden sozialen Netzwerke würden den Hyperlink entwerten, der allgegenwärtige Stream sei nun die dominante Form, um Informationen zu organisieren.

das schreibt er auf tagesspiegel.de, ganz ironiefrei, ohne einen einzigen link. ok, der text enthält zwei hyperlinks auf andere tagesspiegel-texte. auf blendle findet sich im text kein einziger link.

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ich hole das mit den links mal nach. hier ein paar links die in dem text von philipp sickmann hätten gesetzt werden können:

[nachtrag 23.08.2015]

den text gibt’s in der zeit auch auf deutsch.

(von jennifer granick)

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die linklosigkeit und der silocharakter sind ein echter wermutstropfen bei blendle. blendle ist wirklich toll, ein ganz grosser schritt nach vorne und ein wahrgewordener traum aller exzessiven leser. ich habe keine ahnung wann sich blendle für alle öffnet — aber ich hoffe bald!

schottischer whisky

felix schwenzel, , in wirres.net    

vor ungefähr 20 jahren war ich mal per bus und bahn in schottland. an die reiseroute und die orte die ich besucht habe, erinnere ich mich kaum. ich erinnere mich an edinburgh, ullapool und dass ich eine whisky-brennerei besucht habe. welche das war, weiss ich nicht mehr. ich erinnere mich aber noch an viele details, an die maische-behälter und die probe am ende der destillerie-tour und dass ich dort bemerkte, dass ich whisky nicht besonders mag. aber damals war ich ja auch in meinem zwanzigern. an den geschmack von whisky wurde ich erst in meinem studium langsam herangeführt, durch den vielfachen genuss von whisky-sour und irgendwann mal einer flasche japanischen single malt whiskys, die ein kollege zu irgendeinem anlass mal mit ins büro brachte.

whisky-sour mag ich immer noch, aber auf idee whisky pur zu trinken bin ich in den letzten 12 jahren nicht einmal gekommen.

und dann sind wir im sommer nach schottland gefahren. startpunkt war wieder edinburgh, von dort über fort wiliam auf die insel skye, über ullapool und lochinver richtung inverness und wieder nach edinburgh. auf der insel skye bin in in dunvegan, abends in einem restaurant, zum ersten mal seit 12 jahren auf die idee gekommen einen (single malt) whisky zu bestellen. ich wählte den 10 jahre alten talisker aus, weil der auf skye hergestellt wird und im gegenteil zu den älteren whiskys bezahlbar war.

dem talisker sagt man nach, dass er sehr torfig sei, klärte mich die beifahrerin auf, die sehr viel besser auf die reise vorbereitet war als ich. ich fand den whisky dann aber nicht torfig, sondern eher teerig. ein geruch und geschmack mit dem ich durchaus durchaus positive erinnerungen verbinde, zum beispiel an strandurlaube in meiner kindheit, bei denen ich damals öfter kleine teerstücke auf dem strand oder unter meinen füssen fand. der whisky roch quasi sommerlich, ein bisschen wie von der sonne aufgeweichter asphalt. die beifahrein fand den talisker scheusslich, sie fand den teer/asphalt geruch unerträglich.

ich erkannte aber, dass dieser doch sehr charakteristische geschmack einen riesigen vorteil hatte: jedes mal wenn ich von jetzt an talisker trinken würde, werde ich an dunvegan und die insel skye denken müssen. um diese prägung zu verstärken, haben wir dann natürlich auch die destillerie besucht. unsere bed and breakfast wirtin riet uns zwar von dem besuch ab, man würde dort einen unverschämten eintrittspreis nehmen, der whisky sei ungeniessbar und der whisky im talisker-laden wäre teurer als überall sonst auf der welt — aber das hielt uns nicht vom besuch ab.

talisker destillerie, eingangsbereich zum besucherzentrum

die destillerie ist bemerkenswert klein und abgelegen und nur über eine einspurige strasse zu erreichen. wobei die einspurigen strassen in den highlands gar nicht so unüblich sind. glück hatten wir auch mit der führung, die zwar 9 pfund pro person kostete, aber gleich nach unserer ankunft losging. fotografieren war bei talisker fast nirgendwo erlaubt, deshalb habe ich dort auch kaum fotos gemacht. aber die produktion wird einem bei talisker — und allen anderen destillerien die wir besucht haben — sehr detailiert und liebevoll erklärt. bei talisker, aber auch vielen anderen destillerien, wird der gerstenmalz nicht mehr selbst hergestellt. die gerste wird von zulieferern gemälzt (also gewässert und nach 2-3 tagen keimung getrocknet) und danach über torfrauch aromatisiert. bei talsiker, wie gesagt, verhältnismässig stark. aber gemahlen wird der malz bei talisker dann natürlich noch selbst, mit einer einzigen mühle die auch schon seit jahrzehnten fehlerfrei und klaglos ihren dienst verrichte.

die details die einem die tour-guides so erzählen, sind natürlich von vorne bis hinten darauf ausgerichtet dem besucher ein narrativ in den kopf zu setzen, dass er dann in seinem kopf abspielen kann, wenn er den entsprechenden whisky trinkt. so behauptete unsere tour-führerin, dass für bestimmte produktionsschritte ausschliesslich regenwasser benutzt würde und in einem besonders trockenen sommer sogar die produktion für ein paar tage gestoppt wurde, weil man diese produktionsschritte eben nur mit dem wasser das man „schon immer“ verwendet habe durchführen wollte. was mir aber vor allem im gedächnis blieb — bei jeder einzelnen destillerie die wir besucht haben — sind die unterschiedlichen gerüche. der geruch bei den maische-kesseln, in denen der zucker in mehreren schritten aus dem malz ausgewaschen wird (das ergibt dann die „würze“), der geruch der fermentierungs- oder gärungsbehälter, in denen dem die würze von hefen zu einer art bier umgewandelt wird. wikipedia:

Die entstehende Gärbrühe (wash) hat einen Alkoholgehalt von sechs bis zehn Prozent und ist mit einem starken Bier ohne Hopfen vergleichbar.

der geruch der destillierkessel und um den spirit safe, durch den das destillat zur steuerlichen erfassung fliesst und um die brände vom qualitativ minderwertigen vorlauf und nachlauf zu trennen. der geruch der brände in den destillierräumen ist wunderbar, fast unangenehm intensiv.

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destillieranlage bei #glenfiddich.

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viele destillierien verbieten dort fotos aus „sicherheitsgründen“, weil die besucher angeblich vom alkoholgehalt in der luft und der hitze der brennblasen umgehauen werden könnten. in einer der vier destillerien die wir besucht haben (benromach) liess uns der tour-führer an den verschiedenen destillaten riechen, einmal am vorlauf, einmal am nachlauf und einmal am mittellauf (middle cut, heart). vor- und nachlauf rochen (naturgemäss) weniger gut, aber im mittellauf, der nach mindestens 3 jahren reife dann whisky genannt werden darf, roch man bereits deutlich den geist des whiskys. der tour-führer schlug vor etwas vom mittellauf-brand auf den handflächen zu verteilen, den alkohol verfliegen zu lassen und dann an den händen zu riechen. erstaunlicherweise konnte man an diesem destillat bereits herbe eichennoten erkennen, auch ein bisschen leder- und fruchtspuren — whisky-geruch eben. das roch jedenfalls so gut, dass ich mir vornahm, sollte ich mich jemals wieder glattrasieren, whisky künftig als rasierwasser zu benutzen.

unverständlich fand ich, warum man bei talisker auf einen gang in die fasslager verzichtete. wir konnten lediglich einen blick durch eine glasscheibe auf eins der hergerichteten lagerhäuser werfen.

talisker destillerie, sichtfenster zu einem lagerraum

später bei glen moray und glenfiddich zeigte sich, dass der gang in die lager olfaktorisch das tollste erlebnis ist. da aus den whisky-fässern, die fast alle aus eichenholz bestehen und zum grössten teil importierte, einmal gebrauchte, amerikanische bourbon-fässer sind, pro jahr etwa 2-3 prozent whisky verdunsten, riechen die lagerhäuser entsprechend intensiv und angenehm nach whisky. alkohol-produzenten nennen das den angel’s share, also den anteil der engel. sehr schön esoterisch.

all diese geruchserlebnisse haben das potenzial aus whisky-verachtern liebhaber zu machen, die besucher sozusagen mit whisky, durch die nase, anzufixen. bei glen moray und glenfiddich ging man sogar so weit uns besucher in ein paar fässer reinriechen zu lassen.

talisker destillerie, aufsteller im besucherzentrum

bei benromach konnten wir auch die gemälzte, getrocknete und geräucherte gerste probieren — und in allen destillerien konnte man natürlich auch, am ende der führung, das fertige produkt probieren. ich nicht wirklich, weil ich ja fahren musste. auf die fahrer-situation war eigentlich nur glenfiddich vorbereitet, die fahrer bekamen für den preis der führung eine mini-flasche 12 jahre alten glenfiddich geschenkt. natürlich habe ich die whiskys doch alle ein ganz klein bisschen probiert.

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grosszügiges probiergelage bei glenfiddich. etwas stillos fand ich, dass man zum whisky leitungswasser statt des viel gelobten quellwassers (das in jedem produktionsschritt genutzt werde) serviert. ach, das quellwasser wird auch nicht zur destillatskühlung und gerstenquellung genutzt.

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wie oben in der bildunterschrift angedeutet, die destillerien legen sehr grossen wert auf das wasser, das sie für die whisky-herstellung verwenden. allerdings dann eben doch nicht in jedem produktionsschritt — und auch nicht bei der verkostung. alle destillerien empfehlen nämlich dem whisky ein paar tropfen wasser zuzufügen, weil sich der geschmack dann besser entfalte (ungekühlt soll man den whisky sowieso trinken). nur: keine einzige destillerie schenkte zur verkostung das jeweils verwendete quellwasser aus.

auch eine andere komponente die den geschmack des whiskys entscheidend beeinflussen dürfte wurde bei keiner einzigen führung über eine erwähnung hinaus weiter erklärt: die hefe die den gerstenzucker in alkohol, bzw. bier umwandelt. klar scheint zu sein, dass alle destillerien brauereihefe verwenden, aber ob sie bestimmte hefefamilien oder mischungen verwenden, ob die hefen genetisch modifiziert sind, wie sie hergestellt werden — darüber redet keiner. das informativste was ich zu diesem thema finden konnte war dieser artikel auf whiskyscience.blogspot.com. kompliziertes thema, aber bei einem produkt das nur aus 3 zutaten (gerste, wasser, hefe) und gelegentlich torf-rauch hergestellt wird, ist das eigentümlich.

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wo wir waren:

  • talisker (google-karte): abgelegene destillerie, sehr gute führung, leider ohne lager-besichtigung und ohne fotoerlaubnis. zu probieren gabs 10 ml talisker storm, die whiskys im angeschlossenen laden waren nicht günstig, mit tourticket (9 pfund) gäbe es aber 4 pfund rabatt auf den einkauf.
  • benromach (google-karte): eher unschön im gewerbegebiet von forres gelegene, sehr kleine destillerie mit nur 3 personen in der produktion. der whisky den die besitzerfamilie hier herstellen möchte soll klassisch, wie vor den den 60er jahren schmecken. zu probieren gabs nen 10 jahre alten single malt mit sehr leichter torf-note, den ich eher unspektakulär fand, wahrscheinlich weil ich das narrativ und die lage der destillerie eher unspektakulär fand. die tour-tickets kosteten 6 pfund, die führung war eine der besseren, vor allem wegen dem riechenlassen an den bränden. das image-video am anfang der führung war grässlich (kann man hier sehen).
  • glen moray (google-karte): landschaftlich wunderbar gelegene, sehr fotogene, alte destillerie, die einzige in der wir keinen eintritt zahlen mussten und überall fotografieren durften. das lagerhaus das wir besichtigen durften roch sensationell und man liess uns auch in fässer reinriechen. zur verkostung gab es 4 verschiedene sorten, die vierte sorte war eine torfrauch- (peat) lastige sonderedition (ohne altersangabe), die ich sehr verführerisch fand, einerseits wegen des geschmacks, andererseits, weil die sonderedition nur in grossbritanien vertrieben würde.
  • glenfiddich (google-karte): grösste unabhängige destillerie die wir besucht haben, möglicherweise auch in ganz schottland. wenn ich es recht verstanden habe, macht glenfiddich fast alles selbst, auch die abfüllung. die tour und das besuchermanagement war mit abstand am professionellsten und sehr detailreich und liebevoll. besonders detailliert wurde die vermählung der in verschiedenen fässern gereiften spirits erklärt, also der vorgang in dem die whiskys, die in verschiedenen fassarten gereift sind, vermischt (vermählt) werden. insbesondere auf das solera-verfahren ist man bei glenfiddich sehr stolz, zu dem sich ein kellermeister bei einem besuch von spanischen sherry-kellereien inspirieren hat lassen. horst lüning erklärt das verfahren in seinem video zum 15 jahre alten glenfiddich solera ganz gut. hier gabs auch vier sorten zu probieren.

zum abschied viel sonne bei glenfiddich.

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in schottland haben wir keinen whisky gekauft. sowohl der wechselkurs des pfunds, die preise der destillerien, als auch unsere angst vor gepäckübergewicht sprachen dagegen. tatsächlich waren die beiden sorten die wir haben wollten bei amazon am günstigsten und auch per prime zu bekommen:

  • [-werbelink] talisker storm. die beifahrerin fand den im gegenteil zum regulären talisker angenehmer und nicht so torfig/teerig. ich mag den auch sehr gerne, auch wenn ich mir irgendwann mal den regulären, torfigeren talisker leisten werde.
  • [-werbelink] glen moray classic port cask finish. den hatten wir bei glen moray probiert und beide für angenehm ausgewogen befunden und tatsächlich eine spur fruchtigen portweinanklang drin gefunden. mich erinnert er jedenfalls in geschmack und duft, an den sehr angenehmen moment, in dem ich meine nase in ein (mit whisky gefülltes) portweinfass bei glen moray gesteckt habe.

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ich bin wirklich kein whisky-kenner, aber ich kenne jetzt ein paar whiskys. so wie die whisky-herstellung in vielen aspekten leicht esoterisch anmutet und sich beinahe zwanghaft traditionell darstellt, so kann ich mir jetzt jedes glas whisky mit meinen erinnerungen aufladen. das klappt übrigens auch ganz gut mit portwein, nachdem ich mir vor ziemlich genau 26 jahren einen ziemlich guten schwipps in diversen portwein-kellereien angetrunken hatte. mit (abgerissenem) baguette und bestimmten käsesorten klappt das auch, da muss ich immer an strandurlaub in frankreich denken.

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[nachtrag 18.08.2015]
auf den tipp von daniel in den kommentaren habe ich mir gestern die video-führung durch die laphroaig destillerie angesehen und eine flasche 10 jahre alten laphroaig gekauft (whisky.de-store, mit verkostungs-video). schmeckt toll, ich mag das warme, erdige, gar nicht teerige und auch gar nicht so rauchige. und, oh wunder, der beifahrerin schmeckt er auch. dem kind schmecken weder talisker, noch der laphroaig, dafür aber der glen moray port cask.

“first openly asshole president”

felix schwenzel, , in notiert    

in den letzten tagen wurde ja viel über beleidigungen geredet, zumindest in den diskussionssträngen (insbesondere auf facebook) zu diesem artikel.

gestern habe ich mal wieder jon stewarts daily show gesehen und mich erneut gewundert, mit welcher inbrunst jon stewart seine intimfeinde beschimpft und beleidigt. im fall von donald trump ist das natürlich total berechtigt, aber über die asshole-frequenz in einem teil der sendung (video) war dann sogar ich baff.

rollingstone.com:

In a second segment dedicated to Trump, Daily Show senior election correspondent Jordan Klepper talks about how The Donald, if elected, could be “our first openly asshole President.” Klepper then says that while Nixon was a “gaping asshole, but closeted,” Trump “says it loud and proud.” The segment also featured a cameo appearance by noted “asshole” Paul Rudd.

in deutschland finden viele (auch komiker), dass kritik in erster linie „sachlich“ vorgebracht werden solle. und in der tat kann man hierzulande eigentlich nur eine person arschloch nennen ohne mit einer abmahnung zu rechnen: sich selbst. das mache ich dann auch gelegentlich; bleibt mir ja kaum was anderes übrig, als mich selbst als arschloch zu bezeichnen.

das soll jetzt übrigens auch nochmal eine erinnerung sein, wie ahnungslos matthias matussek ist, der vor einer weile schrieb:

Ich empfehle dringend, sich andere Late-Nights reinzuziehen, Formate wie die Daily Show mit Jon Stewart, die besonders die junge Zielgruppe binden - die sind tatsächlich unterhaltsam und intelligent, ohne „Arschloch“ und Puff-Witze.

Warum? Weil hier von Könnern und Profis an Pointen gearbeitet wird und an Recherchen über die Gäste, statt auf Momente des Fremdschämens zu hoffen. Weil Gespräche geführt werden, mal mehr, mal weniger geistreich, statt den Mob grölen zu lassen.

(in diesem artikel schonmal zitiert und durch-dekliniert)

ich schreibe das jetzt nochmal auf, weil ich einerseits ein bisschen neidisch auf jon stewart bin und es mir ausserdem auffällt, dass personen des öffentlichen interesses vor allem dann in deutschland „mob“-probleme diagnostizieren, wenn sie nicht austeilen, sondern selbst in der kritik stehen oder sich beleidigt fühlen.

Nachhaltigkeit?

felix schwenzel, , in artikel    

„Nachhaltig“ ist das neue, seriöse Universalwort für „supergeil“. Supergeil zu sagen war schon in den Achtzigerjahren ein bisschen peinlich. Jetzt kann jeder bessere Unternehmenssprecher sein Unternehmen, jeder Politiker sein Parteiprogramm mit dem Allzwecksynonym „nachhaltig“ als supergeil bezeichnen ohne sich eine Achtzigerjahreblösse zu geben oder unbescheiden zu wirken.

Das Wort „Nachhaltigkeit“ erfüllt die höchsten Ansprüche bei der Selbstdarstellung. Es wirkt bescheiden, seriös und glaubwürdig und kann mit fast jeder beliebigen positiven Bedeutung aufgeladen werden. Negative Konnotationen von „Nachhaltigkeit“ sind mir nicht bekannt, wer das Wort benutzt spielt mit einem einzigen Griff einen vielstimmigen Akkord positiver Assoziationen: nachhaltige Unternehmen sind arbeitnehmerfreundlich und fair, klimaneutral, ungiftig, umweltbewusst — und selbstverständlich tierlieb.

„Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und handeln nachhaltig“ — so steht es in den Unternehmensleitlinien von Rewe — und mit Abwandlungen wahrscheinlich bei hunderten anderen Unternehmen. Liest sich gut und glaubwürdig — ist aber mindestens so unkonkret als ob ich meinen Beruf mit den Worten „ich sitze am Computer“ beschreiben würde.

Die Frage was „nachhaltig“ denn nun für das konkrete Handeln bedeutet kommt einem aber gar nicht in den Sinn, weil das Wort so aufrichtig und glaubwürdig klingt. Klopft man auf das Wort, klingt es leider hohl. Das ist auch kein Wunder, weil es ursprünglich (im achtzehnten Jahrhundert) dafür benutzt wurde eine zukunftsfähige Forstwirtschaft zu beschreiben. Also eine Bewirtschaftung, die sich nicht durch unkontrollierten und gierigen Raubbau den Teppich unter den Füssen wegzieht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: eine Bewirtschaftung die länger als als nur kurz funktioniert.

Genauso definieren Wörterbücher und Volker Hauff, der Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (gibt’s wirklich), Nachhaltigkeit: „Nachhaltigkeit bedeutet Zukunftsfähigkeit“. Der Witz ist, dass man das Wort Nachhaltigkeit ausnahmslos mit Zukunftsfähigkeit ersetzen kann. Probieren Sie es aus, in diesem Heft oder im Internet kommt das Wort ja gehäuft vor. Obwohl „Zukunftsfähigkeit“ quasi bedeutungsgleich mit „Nachhaltigkeit“ ist, will es niemand benutzen. Es ist nicht unscharf genug und lässt sich nicht mit beliebigen Bedeutungen verwässern.

Journalisten dürften übrigens sehr traurig darüber sein, dass sie das Wort Nachhaltigkeit nicht zum Eigenmarketing verwenden können. Wenn Sie sich selbst als aufrichtig, verantwortungsbewusst und zukunftsfähig darstellen möchten, müssen sie das leicht abgewetzte und peinliche Wort „Qualitätsjournalismus“ verwenden. Selbst Politiker sind nicht schamlos genug, ihre Arbeit Qualitätspolitik zu nennen.

Produkte deren Qualität so fraglich ist, dass sie in der Produktbezeichnung ihre Qualität thematisieren, sind immer ein bisschen mitleidserregend. In den Worten „frischer Fisch“ schwingt für mich immer die Assoziation von Fischgestank mit, bei „Qualitätswein“ zwängt sich in meinem Geist immer das Wort „süß“ zwischen die Zeilen, eine „Qualitätsoffensive“ erinnert inhärent an die minderwertige Beschaffenheit der letzten Produktgeneration.

Ich persönlich halte Schaumworte wie Nachhaltigkeit oder „Qualitätsjournalismus“ nicht für zukunftsfähig.

Vielleicht sollte man, bevor sich der Glanz dieser Begriffe durch inflationäre und willkürliche Nutzung abgewetzt hat, wieder die Liebe zu einer plastischen, konkreten Sprache kultivieren um die Qualitäten der eigenen Arbeit oder Arbeitgebers herauszustellen. Einfach das Suffix „Qualität-“ aus Selbstbeschreibungen streichen, so wie das jeder gute Journalist mit Adjektiven in Pressemitteilungen macht. Auf generische, modische und wachsweiche Füllwörter komplett verzichten und sagen was ist. Offen legen wie man arbeitet, erklären warum man Dinge tut, Fehler vermeiden, aber offen mit ihnen umgehen.

Benehme dich anständig, tu Gutes und nenne es nicht „Qualitätsirgendwas“ oder „nachhaltiges Handeln“.

Werner von Siemens hat das schon 1884 hinbekommen, als er sagte:

Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.

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anmerkung: das ist der text meiner kolumne im (gedruckten) t3n-magazin nummer 40. in ein paar wochen kommt die neue ausgabe, mit einer neuen kolumne von mir. die taucht dann wiederrum in ca. drei monaten hier auf. einen absatz aus dieser kolumne hab ich vor drei monaten bereits veröffentlicht.

weil ich für die kolumne bezahlt werde, enthält sie auch gross- und kleinschreibung.

vorherige kolumnen:

enorm schlechte, mittelgute fernsehserien, teil 23023 von 89382

felix schwenzel, , in wirres.net    

in der ersten szene in dark matter (neue, selbstgemachte serie auf syfy) spielen falscher funkenschlag, lächerliche disconebelschwaden, flackernde neonlichter und elektro-knister-geräusche die hauptrolle. gefühlte 10 minuten um, wie im schülertheater, szenische spannung aufzubauen, in denen ich dreimal kurz davor war die sendung bereits abzuschalten. danach folgt eine willkürliche anaeinanderreihung von kampfszenen und ausgiebigigen andeutungen von weltraumfilm-stereotypen (der trailer gibt davon einen ganz guten eindruck).

das ist alles so billig und hilflos aneinandergereiht wie in die ersten star-trek-folgen in den frühen sechziger jahren. das einzige was mich (ein bisschen) motivierte weiterzugucken: die charaktere und die sich langsam entfaltenden geheimnisse der charakterere und des raumschiffs. deshalb gucken wir ja schliesslich fernsehen: um andere menschen zu sehen mit denen wir uns potenziell identifizieren können und um uns hier und da auf die folter spannen zu lassen. das problem ist nur: das ist alles so durchschaubar und lieblos zusammengesetzt, dass es mich nicht überzeugen kann, der serie mehr zeit zu schenken als die 43 minuten die die pilotfolge dauert.

oder wie tom conroy es treffend sagt:

“Dark Matter” doesn’t matter.

humorlose clowns

felix schwenzel, , in wirres.net    

lautsprecher haben übrigens keine ahnung, dafür aber membrane

* tagesspiegel.de: Griechenland-Drama: Solidarität? Ich bin irritiert!

ich bin immer wieder erstaunt wie einfach und unkompliziert die welt für manche menschen zu sein scheint. hier versucht harald martenstein die welt den deutschen wohlstand mit der logik einer schwäbischen hausfrau zu erklären. das funktioniert erstaunlich gut, wenn man die logischen fähigkeiten und den sinn für komplexität einer schwäbischen hausfrau hat.

was mich aber wirklich irritiert, das wort europa („europ…“) kommt in martensteins text einmal vor, deutschland („deutsch…“) neun mal. möglicherweise ist martenstein deshalb irritiert, weil er nicht begriffen hat, dass ein geeintes und funktionierendes europa sehr im deutschen interesse ist und unser wohlstand sehr viel enger mit europa verknüpft ist, als allein mit dem „deutschen Steuerzahler“.

* faz.net: Dieter Nuhr über Shitstorms: Digitales Mittelalter

jemand der lange zeit davon lebte sich über andere lustig zu machen, die äusserungen anderer als dumm oder unbedacht oder flach zu entlarven, beklagt sich darüber, dass sich jetzt andere über ihn lustig machen oder seine äusserungen als dumm oder flach bezeichnen? ein komiker fordert als reaktion auf eine provozierende ironisch/satirische äusserung sachlichkeit und das unterlassen von polemik?

das peinlichste auf der welt ist glaube ich ein hauptberuflicher clown, der sich zu ernst nimmt. (via)

* * *

das traurige an dieter nuhr und harald martenstein ist genau betrachtet ihre extreme ich-bezogenheit. zwei menschen die seit langer zeit davon leben widersprüche in der welt aufzuspüren, zu vereinfachen, zuzuspitzen und sich in der öffentlichkeit darüber lustig zu machen, deren job es sozusagen ist wind zu machen, sehen sich plötzlich in einer welt, in der sie plötzlich auch hin und wieder einen windhauch am eigenen körper spüren. statt zu erkennen, dass da jetzt andere wind machen, mit den gleichen mitteln und werkzeugen wie sie selbst, empören sie sich über ideologische propaganda (martenstein) oder unzivilisiertheit und sehen das windmachen plötzlich als „einen zivilisatorischen Rückschritt in Richtung Faschismus und Mittelalter, Pogrom und Hexenverbrennung“ (nuhr).

humor, ironie, sarkasmus, zuspitzung, vereinfachung, all das ist für menschen wie dieter nuhr eine einbahnstrasse. diese werkzeuge, meint er, sind in seinen eigenen händen gut aufgehoben — aber in den händen anderer gefährliche waffen. abstrakt, auf andere bezogen, erkennt harald martenstein dieses prinzip sehr hellsichtig:

Je stärker ein Mensch in abstrakter Hinsicht für Respekt und Sensibilität eintritt, desto weniger ist derselbe Mensch im Umgang mit einem Gegenüber zu Sensibilität und Respekt aufgelegt. (quelle)

es ist natürlich ein bisschen respektlos (und falsch) von mir martenstein und nuhr hier zu vermischen. der eine von beiden ist beispielsweise gar nicht mal so dumm und martenstein reagiert auf kritik nicht empört, sondern meistens nur pampig (er selbst würde das natürlich humorvoll nennen).

klaus kusanowsky hat die ungläubige empörung von dieter nuhr sehr hellsichtig (und lang) auseinanderklamüsert:

Interessant ist nun, dass derjenige, der auf diese Weise eine Regel vorschlägt, nämlich die Regel, dass alles nur satirisch-ironisch gemeint ist, beim überraschten Feststellen der Shitbackschleife von dieser Regel gar nichts mehr wissen will. Aus Spaß wurde, hokuspokus, plötzlich Ernst, so jedenfalls will es die Partei des Beleidigten. Und die Frage ist: warum lässt er die vorgeschlagene Regel nicht mehr gelten? (weiterlesen …)

genauso einleuchtend hat hannah beitzer das in der sz seziert:

Denjenigen, die die Reichweite nicht haben, bleibt wenig mehr als ihre Kritik über soziale Medien zu äußern. Wenn es ziemlich viele Menschen sind, die das tun, wird diese Kritik dann natürlich zu einem Instrument, Druck auszuüben auf diejenigen, die im Hierarchieverhältnis über dem stinknormalen Nutzer stehen - sei es, weil sie Redakteur einer renommierten Zeitung sind oder eben Komiker, denen ein Millionenpublikum zuhört. Ein Instrument übrigens, das durchaus der klassischen Demo vor dem Verlagsgebäude oder der Parteizentrale ähnelt. Der Shitstorm ist damit, wenn man so will, kein Beitrag zur Debatte im feuilletonistischen Sinn, sondern eine Form von politischem Aktivismus, ein Weg, bestehende Machtverhältnisse in Frage zu stellen.

Wenn Nuhr, der Komiker mit dem Millionenpublikum, davon spricht, dass „die pöbelnde Masse“ heute wieder „selbstbewusst als Handelnder“ auftritt, dann hat das einen bitteren Beigeschmack. Böswillig interpretiert: „Die da unten“ sollen gefälligst unten bleiben, zu seinen Auftritten kommen, aber ihm „da oben“ gefälligst nicht auf die Nerven gehen mit ihrer Kritik.

im sz-artikel habe ich auch dieses zitat von lucie auf kleiner3 gefunden:

* kleinerdrei.org: Es kann ein wenig lauter werden: Über das Diskutieren im Netz
lucie:

Ausserdem stellt sich auch hier wieder die Frage, wer eigentlich den Anspruch erhebt, dass ihre_seine Meinung respektiert und für zuhörenswert erachtet wird? Diejenigen, die sich über den „rauen Ton“ beschweren, sind oft genug auch jene, die sehr daran gewöhnt sind, dass ihre Stimme gehört wird (wie z.B. Journalist_innen) und selbst bei Widerspruch ihre Relevanz nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird.

allein schon die (ironiefreie) nutzung des wortes „shitstorm“ sollte als indikator gewertet werden, dass hier jemand das wort ergreift, der gerne seine defizite bei der selbstreflektion, beim nachdenken und analysieren darstellen möchte.

* * *

diese tweets hatte ich noch übrig und zufällig passen sie auch:

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[nachtrag 19:20 uhr]

* wolfgangmichal.de Wie Europa wirklich entsteht

wer meint es sei bereits alles gesagt zu griechenland und europa, dem empfehle ich noch diesen text von wolfgang michal zu lesen:

Die Inneneinrichtung Europas wird nicht mehr allein den Eliten überlassen. Im griechischen Referendum konnten wir einen ersten zaghaften Ansatz zur Formulierung einer Alternative erkennen. Und durch das Referendum erlebten wir erstmals eine Solidarisierung (und Polarisierung) der Menschen quer zu den europäischen Nationalstaaten: Auf den Straßen von Irland bis Italien feierten die Verteidiger der griechischen „Nein“-Politik ihre Helden; an den Stammtischen von München bis Riga regierten die Anhänger der harten Linie gegen die „Verschwender“ des Südens.

ich finde die populistische (und bequeme) vereinfachung der griechenland-krise auf die fragen nach „unseren“ wohlstand (also steuergeldern) oder „deren“ [faulheit|korruption|verschwendung|über ihre kosten leben] übersieht immer wieder eine der entscheidenden fragen: unser wohlstand, unsere politische zukunft hängt entscheidend vom jahrhundertprojekt der europäischen einigung ab. es ist eben gerade im deutschen interesse europa zu einem funktionierenden model zu machen. die zukunft deutschlands liegt nicht in einem gesunden, reichen und kraftstrotzdenen nationalstaat — sondern in der politischen europäischen union.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Griechen hätten sich mit der Einigung von Sonntag wieder nur Zeit gekauft, nein, es ist die Troika, es sind die durch die Troika vertretenen Sonder-Interessen, die sich immer weitere Zeit kaufen. Der Konflikt selbst bleibt ungelöst.

Der nächste Aufstand wird deshalb dramatischer ausfallen als der jetzige, der übernächste könnte in einen Bürgerkrieg münden. Wer die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika studiert, wird sehen, dass auch dieses Projekt nicht von heute auf morgen auf dem Papier entstanden ist, sondern nach harten Auseinandersetzungen im Rahmen eines ökonomisch-politischen Nord-Süd-Konflikts.

(bei wolf witte gefunden)

in diesem zusammenhang ist eigentlich auch die rede von george soros in berlin von 2010 ganz lesenswert.

nachtrag expedia: happy end

felix schwenzel, , in wirres.net    

nachtrag zu diesem artikel: „expedia empfiehlt uns lieber direkt zu buchen, als über expedia

expedia hat sich nach dem artikel zunächst per twitter bei uns gemeldet und dort hat das „twitter-team“ dann (vor knapp einer woche) versprochen das „an das team“ weiterzugeben, „um zu schauen was da schief gelaufen ist“ und uns „bezüglich der Rückerstattung der Mehrkosten behilflich“ zu sein.

gestern meldete sich dann ein mitarbeiter der expedia „Priority Customer Care“ und stellte nochmal ein paar nachfragen, die ich beantwortete. mich interessierte ausserdem, wie das generelle vorgehen von expedia ist, wenn probleme bei der umbuchung aufträten, ob expedia das grundsätzlich auf die kunden abwälzt oder ob man sich in der regel für eine umbuchung einer unterkunft verantwortlich fühlt.

die ursprünglichen fragen, vor allem die der rückerstattung von den zusätzlichen übernachtungskosten die durch die umbuchung entstanden, wurden uns heute sehr befriedigend beantwortet: expedia zahlt uns die mehrkosten und wir müssen uns nicht beim vermittler eviivo selbst darum bemühen. auch die bereits an expedia gezahlten übernachtungskosten werden uns zurückbezahlt. die antwort der expedia „Priority Customer Care“ war super professionell und höflich, aber die antwort auf meine frage oben leider etwas ausweichend. aber immerhin ist festzuhalten:

In Fällen von Überbuchungen bucht Expedia eine Ersatzunterkunft ohne Mehrkosten in Absprache mit den Kunden.

dass das bei uns nicht geklappt hat wurde uns in der mail damit erklärt, dass es durch die „gemeinsamen Vertriebsstruktur“ von expedia mit eviivo zu einer „bedauerlichen Verzögerung“ kam. übersetzen würde ich das mit: „wir hatten kommunikationsproblemen auf mehreren ebenen.“

so erfreulich ich das ergebnis in diesem fall finde — uns entstehen keine mehrkosten, wir haben eine unterkunft, die kundenbetreuung versprach uns zusätzlich zu den erstatteten kosten einen gutschein auszustellen — so bedauerlich finde ich zwei aspekte:

erstens: die kommunikation mit den kunden über webseite und support ist alles andere als eindeutig — man weiss nie genau wo man dran ist, was expedia denn nun exakt bietet oder um was man sich dort kümmert. auch der berechtigte einwand von sven dietrich mal einen blick in expedia AGB zu werfen („[Expedia] ist, wie alle anderen auch, nur ein Vermittler“) war nicht hilfreich. denn wäre das so, gäbe es aus meiner sicht keinen grund bei expedia zu buchen, sondern expedia wäre dann wohl nur als preisverzeichnis und suchmaschine zu nutzen, um anschliessend direkt zu buchen. aber so wie es aussieht vermittelt expedia offenbar auch zwischen den parteien — wenn man genug lärm macht. was direkt zum zweiten aspekt führt:

die eskalation bis zur lösung war für beide parteien enorm mühsam. die beifahrerin hat über wochen regelmässig mit dem kundendienst telefoniert und gemailt, ich habe, als es dort nicht mehr weiterging, drüber gebloggt und getwittert. dann musste erst das twitter social media team aktiv werden, bis sich jemand meldete, der ausreichend zeit und entscheidungsfreiraum hatte um das problem zu lösen. das ganze zog sich fast über drei wochen hin.

ich verstehe dass expedia hier ein bisschen zwischen den stühlen sass, weil unser ursprüngliches bed and breakfast sich eben über eviivo als mittelsmann vermitteln liess und möglicherweise tatsächlich eviivo das hauptproblem beim lösungsfinden war, aber es bleibt das dumpfe gefühl, dass expedia erst dann in den „priority-modus“ schaltet, wenn die anzahl der twitter-follower, facebook-freunde oder der google-pagerank des beschwerdeführers ein bestimmtes level hat.

so oder so, ich muss mich jetzt leider schon wieder bei einem social-media-team bedanken (vor 4 monaten hab ich mich bei @o2de bedankt): vielen dank ans @expediade-team für das aufnehmen des fadens und für das weiterleiten an die richtigen stellen.

expedia empfiehlt uns lieber direkt zu buchen, als über expedia

felix schwenzel, , in notiert    

diesen sommer wollen wir nach schottland fahren. das scheint gerade ein ding zu sein. im januar hat die beifahrerin die route geplant und hotels, bzw. bed-and-breakfast-unterkünfte gemietet. gebucht hat sie die bed and breakfasts unter anderem bei expedia.

am 2.7 haben wir dann eine email erhalten in der es unter anderem hiess, dass unserer im januar gebuchtes zimmer wegen überbuchung leider nicht mehr verfügbar sei:

Due to lack of availability, the Property is unable to accommodate this booking and, having investigated the Property's diary, we confirm that there are no rooms available.

aber in der email hiess es auch:

We have investigated possible alternatives and we would kindly request your assistance in relocating the guest. Would you please contact the guest with the utmost urgency to confirm that they are prepared to accept the alternative accommodation. Should the guest refuse, please contact us to discuss other mutually suitable options.

offenbar war die mail gar nicht an uns gerichtet, sondern an unseren reiseveranstalter, also expedia. vom absender hatten wir bisher noch nie etwas gehört, offenbar ist das eine agentur (eviivo), die die buchungen für eine reihe von britischen bed and breakfasts durchführt und verwaltet.

als wir uns ein bisschen umhörten, erfuhren wir, dass es nicht unüblich ist, dass die unterkünfte sich überbuchen, in der annahme, dass eine gewisse anzahl gäste die buchungen noch storniert. der laden in dem wir ein zimmer gebucht haben, hatte sich hier offenbar verkalkuliert. auf unsere kosten.

als die beifahrerin bei expedia anrief, hiess es dann (j sei dank): alles kein problem, expedia kümmert sich drum und werde eine ersatz-unterkunft besorgen. eine woche nach diesem telefonat hiess es dann bei einer erneuten telefonischen nachfrage, dass wir jetzt selbst eine ersatzunterkunft suchen und buchen sollten. eventuelle mehrkosten sollten wir auch nicht expedia, sondern der vermittlungsfirma eviivo in rechnung stellen, von der wir erstmals vor einer woche gehört haben — und mit der wir auch nie einen vertrag abgeschlossen haben.

irritierend ist vor allem, dass die ansprechpartnerin von expedia uns zuerst zugesagt hat, dass expedia sich um alles kümmern werde und diese ansprechpartnerin sich dann eine woche später auf ihre vorgesetzte beruft und behauptet, das ginge doch nicht.

nur warum soll man dann überhaupt expedia benutzen und nicht sich nicht direkt bei den bed and breakfasts oder hotels oder den jeweiligen vermittlern buchen? wenn expedia die unterkunft im zielort nicht garantieren kann und bei umbuchungen sowohl die arbeit der neubuchung, als auch das eintreiben der eventuellen mehrkosten den endkunden überlässt?

wenn das was uns hier erzählt wurde das standardvorgehen von expedia ist, dann würde ich sagen: der laden ist für mich als endkunden doch komplett überflüssig, ein mittelsmann der sich mutmasslich an gebühren mästet und ausser elektronischer auftragsvermittlung und provisionsoptimierung offenbar nichts tut. ok, expedia tut dann doch etwas, nämlich psychospielchen per hotline mit den kunden spielen:

  • expedia-hotine woche 1: alles ok, wir kümmern uns.
  • expedia-hotline woche 2: ach nee, wir können uns da doch nicht drum kümmern.
  • expedia-twitter woche 2: oh, sie haben probleme? wenden sie sich doch einfach an die hotline.

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wir haben heute abend zimmer in einer anderen unterkunft direkt gebucht. das kostet für zwei nächte und zwei personen etwa 20 pfund mehr. jetzt bin ich mal gespannt, ob sich expedia doch noch überzeigen lässt die mehrkosten selbst bei seinem vertragspartner eviivo einzutreiben, oder ob man bei expedia darauf bestehen wird, dass wir bei einem unternehmen, mit dem wir nie einen vertrag abgeschlossen haben selbst vorstellig werden.

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[nachtrag 15.07.2015]
nachtrag expedia: happy end

digital bauhaus summit 2015, tag 2

felix schwenzel, , in wirres.net    

gestern abend hat friedrich liechtenstein ungefähr das gemacht, was er nen tag vorher in der taz angekündigt hat. ein bisschen über buckminster fuller plaudern und ein bisschen singen. die gäste des summits hatten vorher eine aufgabe bekommen die sie emsig den ganzen Abend bearbeiteten. die veranstalter nannten das „The World Game“. ich war etwas zu spät gekommen und mir war das schauspiel ein grosses rätsel (nachtrag: mladen gladic erklärt das spiel in der welt). 5 oder 6 gruppen erwachsener menschen bauten mit bastelmaterialen irgendwelche sphären und kuben und zwischen ihnen lief friedrich liechtenstein in bermuda shorts, kniestrümpfen, lederschuhen, polohemd und weissem bart umher und erzählte. oder sang.

ich fand das sehr grandios und angenehm und unprätentiös und ein paar mal musste ich auch lachen. die stimme von friedrich liechtenstein ist auffällig angenehm. tief und sonor, aber nicht versoffen. hell und klar, aber nicht schrill. unaufgeregt und leise, aber kein stück einschläfernd. er ist auch der meister des mikrofons, was man daran merkte, wenn andere das mikrofon kurz übernahmen um durch- oder ansagen zu machen. da fing es dann an zu ploppen, die lautsprecher fingen an zu feedbackkreischen, alle stimmen klangen plötzlich schrill und aufdringlich. und dann hat liechtenstein wieder angefangen zu reden oder zu singen und alles war wieder gut. keine ahnung ob das ein kompliment ist oder eine beleidigung, aber wie liechtenstein die karaoke-lieder („ich könnte auch n lied von mir singen, wobei … warum eigentlich? ist doch gut so …“) sang, erinnerten mich an barry white. so oder so, seit gestern bin ich friedrich-liechtenstein-fan.

* * *

heute früh war ich wieder zu spät, aber die veranstaltung war glaube ich auch ein bisschen spät. das programm war dicht gepackt und zwischendurch hielt der wirtschafts- und wissenschaftsminister von thüringen, wolfgang tiefensee auch noch statt einer 10 minütigen ansprache eine sechsstündige 40 minütige rede. der zeitverzug glich sich dann aber doch noch aus, weil ein sprecher morgens um 5 uhr seinen auftritt abgesagt hatte.

der zweite veranstaltungstag bestand nur aus vorlesungen, von denen sich manche auf magische weise ergänzten. so erzählten am nachmittag corinna sy und sebastian däschle von ihrem flüchtlingshilfe projekt cucula. das schreiben sie auf ihrer webseite über das projekt:

Das Wort „cucula“ stammt aus der Hausa-Sprache aus West-Zentralafrika und bedeutet „etwas gemeinsam machen“, aber auch „aufeinander aufpassen“.

CUCULA ist Verein, Werkstatt und Schulprogramm. Für und mit Flüchtlingen in Berlin. Im Gegensatz zur theoretischen Debatte über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland, geht es den Initiatoren darum, eine pragmatische und unmittelbare Praxis des Handelns zu erproben, die nicht „für“ sondern eben „gemeinsam mit“ Flüchtlingen entsteht.

cucula baut mit den flüchtlingen möbel nach entwürfen des italienischen designers enzo mari. die schilderung ihrer arbeit und der probleme mit denen sie zu kämpfen haben fand ich beeindruckend, aber eine der schlussfolgerungen ist mir besonders im gedächnis geblieben: durch diese arbeit mit flüchtlingen lässt sich sehr viel über uns selbst, über unsere gesellschaft und unsere vorurteile und verhaltensweisen lernen.

der vortrag von daniel kerber, der in flüchtlingscamps unter anderem in jordanien beim aufbau von infra- und sozialstrukturen zu helfen versucht, schloss sich an den von cucula nahtlos an. auch die flüchtlinge in den flüchtlingscamps dürfen, wie asylbewerber in deutschland, nicht arbeiten oder geschäfte eröffnen. in den flüchtlingscamps machen sie es aber dennoch, so wie cucula es auch in berlin macht. in diesen camps leben weit über 50tausend menschen, in einem der camps, dem za’atari flüchtlings-camp sollen es sogar über 100tausend leben. in za’atari gibt es eine strasse die dort champs elysee genannt wird und an der viele geschäfte eröffnet haben - im prinzip illegal, aber offenbar geduldet. vice hat 2013 eine reportage über das camp veröffentlicht (die ich nicht gelesen habe). auch interessant: im durchschnitt existieren solche camps 20 bis 30 jahre.

* * *

anja baumhoff ergänzte den vortrag von niklas maak in ihrem vortrag auch vortrefflich, auch wenn sie sich den seitenhieb auf maak, dass sein vortrag leider stellenweise etwas „oberflächlich“ gewesen sei, nicht verkneifen konnte. dank der beiden weiss ich jetzt, dass das bauhaus eben nicht nur ein designstil ist, sondern dass es auch eine art kommune war, ein ort an dem sich viele menschen verschiedenster herkunft trafen und neue formen des zusammenlebens ausprobierten. mit verschiedensten ansätzen versuchte das bauhaus erklärtermassen die gesellschaft zu verändern — nicht das bauen oder das design alleine. die mitglieder des bauhaus waren mindestens so heterogen, wie auch es auch die weimarer republik war. allerdings legte anja baumhoff wert auf die anmerkung, dass das bauhaus nicht so fortschrittlich war, wie niklas maak es darstellt hatte.

als beispiel führte sie die überkommenen rollbilder des bauhaus an, bzw. den entwurf des haus am horn vom maler und bauhaus-lehrer georg muche. das einfamilien-haus hätte zwar einen eigenen raum für die frau eingeplant, was durchaus als progressiv gelten könnte, aber dieser zimmer war zwischen dem des mannes und dem der kinder — mit durchgangstüren sowohl zum mann, als auch zu den kindern, „so the woman could serve them both“.

aber immerhin liess das bauhaus auch frauen als studenten zu.

was mir auch im kopf blieb und was das bauhaus wohl mit jeder avantgardistischen bewegung gemeinsam hat: fast alle hassten das bauhaus zu seiner zeit. insbesondere abstrakte kunst wurde gehasst und gerade das bauhaus versammelte besonders viele abstrakte künstler. aber genau dieser hass habe das bauhaus gross und bekannt gemacht.

* * *

sehr beeindruckend fand ich den auftritt von ulrike guérot. wenn ich das richtig verstanden habe, war ihr vortrag eine gekürzte version ihres vortrags auf der republica dieses jahr (den ich noch nicht gesehen habe, hier die schriftfassung, hier eine illustrierte textversion).

youtube-video
youtube

während des vortrags habe ich mir diese beiden fragmente notiert:

nach ihrem vortrag in einer frage und antwort-runde liess ulrike guérot nach einem flammenden pro-europäischen plädoyer dieses gerücht fallen: die unterstützer eines ja beim griechischen referendum am sonntag würden auslandsgriechen (expats) aus der ganzen welt nach griechenland einfliegen, um stimmen für ein JA zu sammeln: „those who want the yes have the means to do that.“

* * *

die vorträge von tim leberecht, johanna k. jaeger, lisa ma oder dem schriftdesigner jürgen huber hatten alle ihre qualitäten und ein paar highlights, aber ich beschränke mich hier auf die fragmente die mir besonders in erinnerung geblieben sind.

johanna k. jaeger war die erste und einzige person die ich jemals bei der benutzung eines surface tablets von microsoft gesehen habe. kein wunder, sie arbeitet auch bei microsoft. sie hatte auch ne tolle folie, auf der sie goethe's werther mit kim kadashian verglich:

* * *

tim leberecht hat ein buch geschrieben, spricht perfekt englisch und findet wir bräuchten eine neue romantik:

sein vortrag war extrem geschliffen, humorvoll und sehr amerikanisch präsentiert. ein perfekter pitch für ein möglicherweise gar nicht uninteressantes buch. der humor lässt sich allerdings nicht ohne weiteres aus dem vortrag extrahieren:

* * *

knoblauch war am zweiten tag sowas wie der running gag des tages:

* * *

als fazit des zweiten tages des digital bauhaus summit nehme ich folgenden satz mit nachhause:

wir müssen die gesellschaft verändern.

aber hier zuhause frage ich mich auch: müssen wir das wirklich? gibt es beispiele von (ruckartiger) gesellschaftlicher veränderung, die nicht im totalitären endeten? sind die länder die derzeit gewaltigen (geplanten) gesellschaftlichen wandel durchmachen (zum beispiel china oder einige arabische länder) dazu vielleicht nur in der lage, weil sie totalitär regiert werden? wollen wir das wirklich, unsere unausgegorenen ungetesteten ideen über die gesellschaft stülpen und sehen was passiert?

wenn ich die bauhaus-expertinnen in den letzten beiden tagen richtig verstanden habe, war die ambition des bauhaus zwar die gesamte gesellschaft zu verändern, die reichweite jedoch sehr begrenzt. so wie das bei vielen vorhergehenden und darauf folgenden bewegungen war. so hat die camphill-bewegung und die darauf folgenden antroposophischen lebensgemeinschaften (in einer davon habe ich meinen zivildienst gemacht) sicherlich viel im heilpädagischen und biologisch dynamischen gemüseanbau verändert und auch viele menschen berührt und beeinflusst (mich zum beispiel) — aber auch hier dürfte die reichweite begrenzt sein und weit davon entfernt sein, das leben von hinz und kunz auch nur ansatzweise berührt zu haben. gleiches dürfte für die kommune I oder gar die 68er-bewegung gelten, die sannyasins oder wenn's sein muss auch der ZIA.

ist der grund dafür, dass keine der mir bekannten reformbewegungen (ausser vielleicht den grünen) wirklich durchschlagende wirkung entfalten konnte vielleicht darin begründet, dass sie schon im kleinen nur leidlich funktionieren? wie viele knoblauch-flüchtlinge hätte es gegeben, wenn das bauhaus als gesamtdeutsche gesellschafts- oder lebensform etabliert worden wäre? wie sähe deutschland aus, wenn die antroposophen ernsthafte politische macht erlangt hätten oder würden? was wäre, wenn ein mitglied der ZIA nicht den bachmannpreis, sondern die kanzlerschaft gewonnen hätte?

wollen wir das?

so toll ich (insgesamt) das was ulrike guérot heute sagte fand, so beunruhigend fand ich ihre aussage, dass wir mit konsens und kompromissen politisch nicht mehr weiterkämen. ich mag ihr durchaus zustimmen, wenn sie fordert, dass wir wieder mehr für ideen kämpfen müssten und für unsere ideen aufstehen und unsere stimme finden müssten. aber konsens und kompromiss für eine schnelleres vorankommen oder gesellschaftliches reformprojekt aufgeben? das macht mir angst.

abgesehen davon: wir haben gerade radikalen gesellschaftlichen wandel. der wird derzeit durch das internet angefeuert und macht (zum beispiel) enorm viele konflikte sichtbar, die vorher unsichtbar waren. nur ist dieser wandel nicht von einer gesellschaftlichen utopie verursacht worden. klar, unterwegs, bei der entwicklung und beim wachstum des internets, sprossen allerhand utopien, die aber zum grossen teil von der wucht oder realität des internets gleich wieder erstickt oder weggespült wurden.

das was die entwicklung des internets befeuerte war übrigens, aus meiner sicht, eher das werk einer unsichtbaren hand (die louis klein übrigens gestern als ineffektiv für wandel brandmarkte), als das einer utopie oder gesellschaftlichen vision die sich ein menschlicher geist ausgedacht hat. das internet ist einfach passiert, weil es plötzlich technologisch funktionierte.

in diesem sinne fand ich daniel kerbers schlusswort eigentlich auch ganz passend. so inspirierend die diskussionen und vorträge auf dem digital bauhaus summit waren, zum grossen teil fanden sich die diskussionen auf einem niveau, das die meisten menschen nie erreichen werden und vor allem nie erreichen wollen — und wahrscheinlich auch immer skeptisch beobachten werden:

the discourse is flying pretty high here. i don’t read hegel to keep up with the discussion.
— daniel kerber

* * *

heute habe ich relativ viele club mate getrunken. was mich wunderte: das schmeckte gar nicht eklig. im gegenteil. zwischendurch habe ich — wahrscheinlich um zu gucken ob meine geschmacksnerven noch funktionieren — eine cola getrunken und die schmeckte wirklich eklig. nicht so sehr beim schlucken, aber kurz danach und etwas länger danach auch. bis der eklige geschmack weg war, verging fast eine stunde. später im zug habe ich dann ein bitburger getrunken. auch das schmeckte eigentümlicherweise nicht eklig. bitburger an sich schmeckt ja auch nicht eklig, aber wenn man es länger nicht getrunken hat, meint man es schmecke eklig — mir geht das zumindest so. ich bin mit bitburger gross geworden, aber in dem moment in dem ich das rheinland verliess und mich an andere biere gewöhnte, war der erste schluck bitburger jedes mal ein schock. heute nicht. muss am wetter liegen.

* * *

hier meine eindrücke vom ersten tag des #dbs15, hier das twitter-konto, hier das facebook-konto des digital bauhaus summit, die ich freitag und samstag (mit-) gefüllt habe.

digital bauhaus summit 2015, tag 1

felix schwenzel, , in wirres.net    

heute war ich den ganzen tag auf dem digital bauhaus summit in weimar. die hinfahrt heute früh hat dann allerdings andertalb stunden länger als geplant gedauert, dank der bahn:

dass n zug ausfällt, ok. aber „witterungsbedingt“? das is doch keine witterung heute.

im zug setze sich dann eine schulklasse an meinen tisch, die auch nach weimar wollte und auch von dem zugausfall betroffen war. so konnte ich eine halbe stunde dem lauschen, was teenager so reden, wenn sie meinen dass sie alleine sind, oder der typ neben ihnen, der wie ein penner aussieht und ständig in sein handy starrt, ihnen egal ist.

meine schlussfolgerung nach 30 minuten: vornehmlich unterhalten sich teenager über andere menschen und sich selbst, mitschüler, freunde, deren eltern („boar, die mutter ist voll anstrengend“), drogentote aus dem bekanntenkreis, den spiegel, peinliche situationen in die sie geraten sind und über essen.

grundsätzlich also das gleiche, was ich auch hier ver- und behandle.

* * *

mit dem zugausfall und der verspätung habe ich dann die ersten vorträge verpasst und konnte dann noch um 10 uhr den vortrag von louis klein sehen, einen workshop der connectors malmö mitmachen, ein referat von liss c. werner ertragen und mich vom vortrag von niklas maak überrollen lassen.

um acht geht’s weiter, da macht auch friedrich liechtenstein irgendwas. bis dahin hier meine eindrücke.

* * *

louis klein sprach über „competitive social design“. der kern seiner aussage lässt sich wie folgt zusammendampfen: wir haben im letzten jahrhundert massiv in techische forschung investiert. als beispiele nannte er das kernforschungszentrum CERN, das us-ameriaknische atombombenprogramm (manhattan project) oder das human genome project. nach einer umfangreichen einleitung von den nürnberger kriegsverbrecher prozessen („we’re cascading the risk, the ethical burden from the system down to the individual“) und anderen verbrechen gegen die menschlichkeit („when looking at crimes against humanity, we need to look at systems as actors, not (only) individuals“), über banksy („the greatest crimes are not commited by peoply breaking the rules, but by people following the rules“) schlussfolgertefragte er:

what if we would engage like this in social science?

wir sollten uns bei der ökonomie und gesellschaftspolitik nicht auf selbstregulierung und eine unsichtbare hand, die das alles schon irgendwie regelt, verlassen, sondern aktiv gestalten und forschen, welche gestaltung erfolgversprechend ist.

hört sich alles sympathisch und nachvollziehbar an, aber die politischen implikationen lassen einen erschaudern. das wurde klar, als er china und die vereinigten arabischen emirate als beispiele heranzog, die ihr schicksal in die eigene hand genommen hätten und in denen eben nicht das individuum zählt, sondern der gesellschaftliche fortschritt. beide länder machen das in vielen bereichen mit enormen tempo und beeindruckenden wachstumszahlen.

die radikalität von louis kleins anregungen wurde dann in der anschliessenden diskussion klar. eine sozialwissenschaftlerin stimmte louis klein zu und sagte (sinngemäss), die demokratie sei gescheitert. gerade bei fragen wie nachhaltigkeit (sic!) habe die demokratie versagt.

grundsätzlich gehen bei mir ja immer die alarmglocken an, wenn darüber sinniert wird, dass das individuum, der einzelne mensch hinter dem grösseren ziel, der weltrettung, der weltverbesserung, der wie auch immer gefärbten gesellschaftlichen utopie zurückstehen müsse. falls also einer in der session glockengeläut gehört haben sollte: das war ich. trotzdem — oder gerade wegen meiner alarmglocken — fand ich den vortrag extrem inspirierend, gerne wieder louis, auch wenn wir uns nicht mehr erkennen.

* * *

der workshop der beiden protagonisten der connectors malmö war ein richtiger workshop. keine powerpoint folien, sondern selbstgemalte zettel, stehendes publikum, kennenlernspielchen und kurzaufgaben, um danach, bei stehendem publikum doch wieder in die frontal-vortrags-perspektive zu wechseln. war trotzdem interessant, vor allem weil ich bei den kennenlernspielchen drei leute kennengelernt habe, eine erfahrung, die ich sonst auf konferenzen, wegen persönlichen sozialen eigentümlichkeiten, nicht mache. ich glaube die beiden „connectors“ machen sehr interessante sachen, konnte aber leider deren ausführungen nicht soweit folgen, um selbst darüber zu berichten. möglicherweise gibt deren webseite ja detailierter auskunft darüber.

* * *

von liss c. werners referat bin ich leider sehr enttäuscht gewesen. im prinzip war das eine prätentiöse diaschau mit hübschen bildchen und ein paar akademischen floskeln wie ich sie aus der architekturfakultät kenne. wie immer will ich nicht ausschliessen, dass ich zu doof für den vortrag war, jedenfalls habe ich meinen eindruck nach dem vortrag so zusammengefasst:

die antwort von liss c. werner darauf war so gesehen folgerichtig:

Der Talk hatte keine Schlussfolgerungen zum Ziel sondern Fragen. die Bilder aus Geschichte und current Digital human.

(kleine korrekturen von mir hinzugefügt)

das hatte sie am anfang ihres vortrags (etwas kryptisch) auch so angekündigt. das enttäuschede ist aber, dass die fragen die der vortrag aufwarf in etwa die sind, die die vortragsankündigung aufwarf (vollzitat, die fragen stehen mit fragezeichen markiert am ende):

In 1995 Nicholas Negroponte stated that “The change from atoms to bits is irrevocable and unstoppable”. 30 years later we may review Negroponte’s statement and claim that atoms and bits will continue to merge with the advent of smart skin and wearable computers. The body as physical interface to the world has been complemented by the smartphone, the Internet and last but not least wireless, invisible and fast data-autobahns. The body now acts as a communication device between the individual and its physical and virtual environments. Its modification, crossing cyborgian and humanoid genes, describes a fundamental change of the body’s actual material and its new role in the local and urban environment, on a macro- and micro-scale as semi-autonomous communication interface.

Do we need to redesign design in the age of a hacked body?
What are the new challenges for the future gestaltung of society?
Is there a general system residing on a meta-level of design with or without artificial computation?

mir war das alles zu sehr oberfächliches kratzen und zu wenig bohren. ich finde die guten fragen ergeben sich nicht durch anfassen, distanziertes, fachfremdes beobachten, sondern beim bohren, beim bauen, beim testen, ausprobieren, sezieren, analysieren und neu zusammensetzen. mir erschien der designbegriff der hier verhandelt wurde als zu flach, zu sehr auf die reine, oberflächliche gestaltung konzentriert. louis klein hat gezeigt wie schmerzhaft bohren sein kann, liss c. werner hat gezeigt, wie unergiebig das kratzen an der oberfläche sein kann.

für diesen blöden witz möchte ich mich jedoch entschuldigen.

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niklas maak hat bei seinem vortrag stark geschwitzt. was aber auch kein wunder ist, weil er den vortrag vorangetrieben hat wie ein d-zug. niklas maak war dermassen in fahrt, dass es mir unmöglich war, paralell zum vortrag etwas substanzielles davon zu dokumentieren. ausser dem hier:

ein paar notizen habe ich mir aber gemacht und ich fand den vortrag so bemerkenswert, dass ich dazu noch etwas schreiben möchte — aber erst später.

hier meine eindrücke vom abend des ersten tages und vom zweiten tag.

(offenlegung: ich bekomme ein honorar dafür das twitter- und facebook-konto des digital bauhaus summits zu befüllen. inhaltliche vorgaben habe ich nicht bekommen, hier zensiert nur mein eigener zensor in meinem kopf)