geh forrest, geh

felix schwenzel, , in notiert    

vor ein paar tagen, nachdem ich im escados mit freunden ein paar stunden lang gegessen und geredet habe, bin ich zu fuss nach hause gelaufen. die knapp sechs kilometer waren ein bisschen anstrengend, weil ich leicht angetrunken war, aber so ein durch-die-stadt-gehen ist (immer noch) erstaunlich befriedigend. in den letzten wochen gehe ich (relativ) oft zu fuss von der arbeit (in mitte) nach hause (im wedding). nach einem tag am schreibtisch ist das ganz besonders befriedigend. ich beobachte mich dabei, wie sich mein körper erst ein bisschen gegen die forcierte bewegung sträubt und dann in eine art vorwärtstreibenden trab gerät. die letzten male hatte ich, kurz bevor ich zuhause ankam, das bedürfnis einfach weiter zu laufen, nach tegel oder gleich weiter nach hamburg. als ob sich in mir ein grosses schwungrad befände, das ich nicht ohne weiteres stoppen kann, wenn es einmal in schwung ist.

vor zwei wochen bin ich von einer leserin auf diesen text über otl aicher aufmerksam gemacht worden. dadrin wird otl aicher zitiert, wie er über das laufen (durch die wüste) schreibt:

die wüste ist eine denklandschaft. man geht nicht nur zwischen dünen, man geht auch in seinem eigenen denken umher, man macht gedankengänge. im gehen verändert sich die landschaft von bild zu bild. es verändert sich der gedankenhorizont. das auge zieht es mal hier, mal dort hin, auch die gedanken wildern umher. man wirft sie hinaus, als entwürfe.

jetzt steht die welt voll von unrat und bürokratien. sachen stellt man in museen und begafft sie. institutionen blähen sich auf zur nutzlosigkeit der selbstbehauptung. zu unserer fortbewegung stehen um unser haus immer mehr gegenstände herum, jetzt auch noch das segelboot, das klappfahrrad und das geländeauto. nur weil wir nicht mehr gehen, laufen, wandern, schlendern, spurten, springen oder bummeln können. es sind objekte, die wir benutzen, geräte.
ich schreibe substantive wieder klein, aber das reicht sicher nicht. man muss wohl wieder beginnen zu gehen.

das muss man auch erstmal schaffen, vom laufen, vom gehen, zur konsequenten kleinschreibung überzuleiten. ich sehe das natürlich weniger eng, wenn’s sein muss schreibe ich auch mal gross und klein, aber schöner finde ich es aus vielen gründen in klein. ich benutze auch gegenstände sehr gerne, auch wenn ich weder segelboot, klappfahrrad oder geländewagen besitze. dafür aber einige tragbare gehirnerweiterungen und kommunikationsgeräte, deren nutzung einen meistens zum stillstand oder sitzen zwingt. ich benutze auch gerne die öffentlichen verkehrsmittel oder gelegentlich mietautos und gerade dieser kontrast, das fahren in abgeschlossenen kabinen zum laufen unter freien himmel, betont das grandiose, ursprüngliche, unmittelbare des laufens nochmal extra.

gerade als grossstadtmensch ist das durch-die-stadt-laufen wirklich jedes einzelne mal eine offenbarung. man sieht dinge, motive, strukturen beim laufen einfach anders als beim fahren. und das beste: die stadt schrumpft und man erkennt zusammenhänge. ich kanns nur empfehlen.