dinea

felix schwenzel, , in wirres.net    

grenzwertige gastronomie, für duzadressaten, im restaur.ant.

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sie möchte ein stück kuchen und ein kännchen kaffee. sie ist anspruchsvoll, deine oma. sie will keinen kaffee mit komplizierten, ausländischen namen, einfach nur filterkaffe, frisch gefiltert, mit kondensmilch. du steigst in den aufzug und fährst mit ihr in den vierten stock im kaufhof.

dieser laden ist uncool zum umfallen. absolut trendfrei. hundertprozentig unstylisch — und das konsequent. aber deiner oma gefällt er und es gibt ihn in jeder stadt, ganz oben im kaufhof: es ist also egal, wo du dich mit deiner oma triffst, bei dir oder bei ihr in der stadt. „dinea“ heissen die restaurants im kaufhof, obwohl man dort auch morgens essen und trinken kann.

dineas sind voller silberner köpfe, durchschnittsalter 62, sie ist in ihrem biotop. die küche ist oldfashioned; wiener schnitzel, jägerschnitzel, zigeunerschnitzel, schweinebraten, sehr fetthaltig alles. einziges eingeständnis an den zeitgeist und die aterienverkalkung ist die salat- und gemüsebar, die kalt- oder warmgehaltenen speisen zum abwiegen, natürlich ohne kontrollwaage, damit es an der kasse kleine senioren-überraschungen gibt. die bedienungen hinter den theken entsprechen knapp dem durchschnitsalter der gäste, gekleidet sind sie wie in einer besseren mensa oder einer krankenhaus-kantine: im sommer mit ärmlelosem weissem kittel mit nix drunter.

das dinea am alexanderplatz hat den reiz eines wiener kaffeehauses, das mit plastik und lackiertem holz in vorgeblichen trendfarben kaputtrenoviert wurde. man erkennt den vergeblichen versuch die reste der DDR-einrichtung zu kaschieren und ein jüngeres publikum anzusprechen. statt wie „früher“ in düsterer, rustikal-eichiger umgebung, sitzen du und deine oma jetzt in düsterer pseudomoderner, türkis-eschiger umgebung. aber es gibt auch handfeste reize: wie die meisten dineas sitzt auch der dinea am alexanderplatz fast ganz oben auf dem kaufhof („galeria kaufhof“ — what a name!) und man hat hier an einigen tischen einen erfreulichen blick durch die wabenfassade auf ostberlin. die waben werden bald vom büro kleihues durch eine stein/glas fassade ersetzt, der kaufhof folgt also weiterhin der bewährten linie des konsequent kaputtrenovierens.

du sitzt dort oben mit ihr, ihr lauscht gesprächen über krankheiten und krankenhäuser, harz und riester und bei schweinebraten mit gestampften kartoffeln und 6-stündig gegartem sauerkraut kannst du einen vorgeschmack aufs rentendasein kosten. das geht auch ohne deine oma, das wird mit ziemlicher wahrscheinlichkeit auch dann noch gehen, wenn du selbst 62 bist. ganz sicher. auch was auf das man sich freuen kann.