fleisch

felix schwenzel, , in wirres.net    

heiner lernte ich beim zivildienst kennen. ein mann mit warmen, freundlichen augen und damals schon graumeliertem vollbart. er war zwar nicht offiziell der chef der holzwerkastatt in der ich während des zivildienstes arbeitete, aber praktisch schon. er hielt den laden, die maschinen und die arbeitsabläufe am laufen. er brachte mir den respekt vor den maschinen, der kreissäge, dem bandschleifer und der schleifscheibe bei. mit ihm fuhr ich einen so hoffnungslos überladenen pferdeanhänger voller spanplatten durch die gegend, dass wir berge ausschliesslich im ersten gang hochfahren konnten. von ihm lernte ich die liebe zum holz. genug pathos, aber ich lernte wirklich viel von ihm. und wir wurden gute freunde, auch wenn er ein paar jahre älter als ich war. heiner lebte (und lebt) in einem dorf bei fulda mit höchstens 80 bewohnern, gichenbach, ein richtiges kaff. selbst die nächste „gross“-stadt, fulda, ist ja bekanntermassen ein kaff, mit anderen worten, heiner lebt am arsch der welt.

ente, huhn, wollschwein

neben seiner arbeit bei den antroposophen in der holzwerkstatt, hielt heiner ein paar tiere: ein paar rhönschaafe, ein paar ungarische wollschweine (sehr robuste schweine die man selbst im winter draussen stehen lassen kann), hühner, gänse und laufenten. die rhönschaafe wurden quasi vermietet, um weiden ökologisch wertvoll zu mähen, die gänse starben nach einem schönen, aufregenden und freilaufenden leben auf der wiese massenhaft im november um sich in weihnachtsbraten zu verwandeln, die schweine gruben wiesen um und leben AFAIK noch immer, die laufenten teilten alle paar jahre das schicksal der gänse und die hühner waren zum eierlegen verdammt. kurz, eine politisch korrekte idyle. ich liebe sie noch heute.

hauseingang am arsch der welt

kleine ärsche der welt haben den vorteil, dass sich alle kennen. heiner kennt den förster des dorfes ganz gut. der lässt ihn bei sich zuhause ab & zu fernsehen gucken und im wald rehe abschiessen. so kam ich nicht nur ab und an in den genuss einer köstlichen, muskulösen, nicht-fetten weihnachtsgans, sondern manchmal auch in den genuss eines frischen rehs. heiner brachte mir bei was man mit so einem toten vieh macht: erst mal 2-4 tage koppfüber abhängen lassen, dann „aus dem fell schlagen“ und zerlegen. danach kann man es essen oder einfrieren. „aus dem fell schlagen“ heisst nichts anderes als das fell vom körper ziehen. das erfordert einerseits einiges an geschick, aber auch teilweise enorme kraft. das fell ist ziemlich gut an so einem reh festgewachsen. aber mit der richtigen technik kann man die haut recht gut vom fleisch lösen, erst mit einer stochernden, flachen hand das gewebe von der haut trennen, danach mehr oder weniger nach unten abreissen, immer wieder mit der hand gewebe trennend.

ich lernte diese technik ganz gut und wenn ich ein reh „aus dem fell schlug“ musste ich immer wieder darüber staunen, wie archaisch dieser akt war, auch wie brutal. im nachhinein glaube ich, mir damit die berechtigung erarbeitet zu haben hamburger zu essen. ich hatte damals die weltverbesserliche vorstelllung, dass jeder der fleisch essen möchte, auch mal ein tier selbst zerlegen sollte. allerdings habe ich bisher darauf verzichtet ein reh „aufzubrechen“ oder zeuge davon zu sein. ein reh „aufbrechen“ bedeutet dem reh die innereien, die gedärme zu entnehmen nachdem das reh erschossen wurde. das geschieht meist im noch-warmen-zustand des toten tieres. sehr brutal.

warum ich das alles schreibe? die bild-„zeitung“ hat mich drauf gebracht.

symbolbild

gestern gab es eine bild-schlagzeile die besagte, dass im deutschen fernsehen angeblich das „letzte tabu“ gebrochen worden sei: eine brust vergrösserungs-op live im fernsehen. ich habe das nicht gesehen und ehrlichgesagt auch nicht viel interesse das zu sehen. ich habe es nämlich schon mal gesehen. um zu erklären wo ich es gesehen habe muss ich nochmal einen kleinen bogen schlagen: mein vater ist arzt. frauenarzt. als frauenarzt führt er ab und zu auch brust-ops (mammaplastik, mammaneoplastik) durch, allerdings nicht aus kosmetischen gründen, sondern meist aus rekonstruktiven gründen, nach brustkrebs zum beispiel. da er aber im umgang mit technischen geräten ziemlich unbegabt ist, musste ich ihm oft bei der bedienung des videorekorders assistieren. zum beispiel beim einlegen und abspielen von brust-op-fortbildungs-videos. so kam ich bereits in jungen jahren dazu einer brust op am fernsehschirm beizuwohnen. was mich überraschte war die brutalität mit der der chirurg bei der op vorging. um ein silikonkissen in die brust einzuführen muss natürlich erst das brust-gewebe gelöst werden, damit genug platz für das kissen vorhanden ist. überraschend für mich war, dass die handbewegungen die gleichen waren wie die, die mir heiner zum reh-fell-lösen beigebracht hatte. mit der hand voll rein, zack, zack.

eigentlich logisch, dass jeder chirurgische eingriff eine verletzung des körpers bedeutet, auch das brust-aufpumpen. man hält sich das nur nie so recht vor augen. was wollte ich nochmal sagen?