[wirres] 39.04

felix schwenzel, , in archiv    

vom 27.07.2004
ich habe ein neues hobby. ich teste aus wo die grenze zur
peinlichkeit liegt und versuche sie zu überschreiten. zuerst
habe ich ein bild von meinem adipösen, blassen und feuchten
körper in badehose auf meiner webseite veröffentlicht.

moin,

ich habe ein neues hobby. ich teste aus wo die grenze zur
peinlichkeit liegt und versuche sie zu überschreiten. zuerst
habe ich ein bild von meinem adipösen, blassen und feuchten
körper in badehose auf meiner webseite veröffentlicht.

    http://wirres.net/article/articleview/1394/1/6/

statt hohn und schande habe ich lob und schulterklopfen geerntet
("witzig!"). und mir wurde zu allem überfluss als reaktion
darauf auch noch ein tittenbild zugesagt.

also habe ich einen text auf meiner webseite veröffentlicht der
eigentlich in ein verschlossenes tagebuch gehört und selbst
verschlossen noch peinlichkeit ausstrahlt.

    http://wirres.net/article/articleview/1416/1/6/

und jetzt verschick ich diesen seitenlangen, mädchentagebuchigen
text auch noch per email. tzz.

schlagt mich. löscht diese mail. geht an die luft.
geniesst den sommer.

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NELE

meine erste grosse liebe war nele. nele war die tochter eines
kollegen meines vaters und wohnte irgendwann, nachdem ich mit
meinen eltern mal wieder umgezogen war, nebenan. meine eltern
hatten ihren eltern wohl mal von meiner beeindruckenden „lustige
taschenbücher“ sammlung erzählt. sie kam dann öfter vorbei um sich
welche auszuleihen. trotz der lustigen taschenbücher verloren wir
uns bald wieder aus den augen. ich war damals aus verschiedenen
gründen  ziemlich stark in meinen sozialen fähigkeiten
eingeschränkt. wohl auch ein faktor der unsere beziehung anfangs
gar nicht erst aufkommen liess.

erst meine freundschaft zum pöhler änderte das ein wenig. pöhler
war ne coole sau. gutaussehend, erfolgreich bei den mädchen, im
besitz eines mofas. viele nannten ihn damals „popel“, die meisten
aber einfach beim nachnamen, pöhler. keine ahnung wie wir uns
kennenlernten, aber nachdem wir uns kennengelernt hatten waren wir
unzertrennlich. wir machten irgendwann alles gemeinsam und der
respekt der pöhler entgegengebracht wurde, färbte auch auf mich ab.
plötzlich lernte ich leute kennen die cool waren und auch mich auch
ernst nahmen.

der pöhler hatte damals mehrere frauen am start. seine grosse liebe
war aber natascha. ein irre attraktives, dunkelhaariges,
feingliedriges mädchen. er war jahrelang hinter ihr her. vielleicht
lief da auch mal was, aber nie so richtig. durch den pöhler lernte
ich auch nele wieder kennen, diesmal waren die lustigen
taschenbücher kein thema. wir machten das was 13/14 jährige halt so
zusammen machten. musik hören, mit julchen, neles hund, spazieren
gehen, eis essen, rumhängen, stark parfümierten tee trinken, auf
den friedhof gehen, zigarren von neles vater rauchen, mit alkohol
experimentieren. noch während pöhler hinter natascha her war,
verknalllte sich nele in den pöhler. ich in nele. klassische doofe
situation.

trotzdem, wenn ich bloss wüsste warum, vielleicht aus mitleid, nahm
sich nele eines tages ein herz und küsste mich. aus blauem himmel
und ganz feucht. mein erster zungenkuss. ich war glücklich für
einen tag. denn am nächsten tag schlug neles herz wieder für den
pöhler, der zwar noch mit natascha beschäftigt war, aber nele hatte
geduld. und sie hatte ihre entscheidung getroffen. ich bin
klassisch mit der situation umgegangen, wie jungs das halt machen;
nele war von einem tag auf den anderen 'ne blöde fotze und bei mir
und allen meinen freunden unten durch. wir, pöhler und ich, riefen
ihr, wenn sie mit julchen an uns vorbei spazieren ging,
beschimpfungen hinterher, schrieen petzig „nele sticherling raucht
heimlich, neelee raaauaaaucht!“, und erklärten sie zur persona non
grata. das ging zwei, drei wochen so. danach war wieder alles in
ordnung. vielleicht hats auch vier wochen gedauert. erscheint alles
so fliessend in der rückschau. mein verletzter stolz war vergessen
und eigentlich war alles wieder so wie vorher. mit dem unterschied,
dass ich nicht mehr in nele verknalllt war.

irgendwann hatte der pöhler die nase voll von natascha. zwischen
ihm und nele entwickelte sich eine jahrelange, extrem chaotische
beziehung. grosse liebe, riesen krach, alle paar wochen
schluss-machen mit anschliessender versöhnung — und das jahrelang.
ich kann mich nicht mehr an die details erinnern, aber pöhler
konnte weder treu sein, noch mit neles bedingungsloser liebe
umgehen. es knallte ständig. einerseits blieb ich dick verkumpelt
mit pöhler, wir fingen an exzessiver mit alkohol zu
experimentieren, das nachtleben von aachen auszutesten (ganz
besonders den domkeller), mit 15/16 jahren ins pornokino zu gehen,
komische bekanntschaften zu machen und auch mit dope zu
experimentieren. andererseits kam ich nele immer näher, hörte mir
geduldig ihr leid mit pöhler an, gab ihr hobby-psychologische
ratschläge und wurde sowas wie ihr bester freund.

nele litt wie ein hund unter der wechselhaften beziehung. ihre
verkorkste beziehung zu ihrem vater (hobby-psychologie! im
rückblick irre peinlich...) spiegelte sich in ihrer beziehung zum
pöhler. das ganze spektrum; autoagressives rumschnippeln an den
unterarmen, warnsignal-schlaftabletten-schlucken-androhen,
gewohnheits-depression. ich versuchte immer für sie da zu sein und
hörte zu. verknallt war ich nicht mehr, vielleicht ein bisschen
noch, aber ohne verlangen. eher rational eben.

der pöhler wurde immer exzesiver, die drogen-experiemente glitten
ab. ich musste vom kiffen immer kotzen und liess es irgendwann
sein, pöhler konnte irgendwann ohne zu kiffen nicht mehr
einschlafen. seine eltern rochen bei geschlossener türe wenn ich zu
besuch war („ist felix da? es stinkt nach knoblauch!“), aber nicht,
wenn er kiffte. unsere beziehung löste sich langsam. zudem
entschieden sich nele und ich nach der 10ten klasse für ein jahr
nach amerika zu gehen.

nele landete in new hampshire, ich auf der anderen seite des
amerikanischen kontinents, in washington-state. trotzdem vertiefte
sich unsere beziehung in diesem jahr ungeheuer, wir schrieben uns
glaube ich über das jahr hinweg mindestens alle zwei wochen einen
brief. pöhler verschwand von der bildfläche und im drogensumpf. er
blieb auch verschwunden, als wir zurück in deutschland waren.
pöhler, hiess es, sass irgendwo in südamerika im knast. nele sprach
übrigens akzentfreies englisch und kam mit einem ungeheuer dicken
arsch zurück.

in deutschland waren nele und ich dann auch keine nachbarn mehr,
ich zog mit meinen eltern mal wieder um, 60 kilometer nach norden.
in der schule bildete sich neles arsch zurück und sie verliebte
sich in einen dürren, alten bekannten aus pöhler-zeiten, der jetzt
in ihrer klasse gelandet war. daniel. ein stadtbekannter schwuler.
ganz aachen wusste dass er schwul war, nur er nicht. er stritt
einfach ab schwul zu sein wenn ihn jemand drauf ansprach, obwohl er
diese tuntige handhaltung hatte und bekannt dafür war in der
umgebung von männern stets erektion zu tragen, selbst wenn er
komatös besoffen war. trotzdem, oder gerade deshalb, verliebte sich
nele in daniel. kurz bevor er sie nach dem abi schwängerte, zogen
sie gemeinsam in eine billige wohnung in belgien. nicht weiter
erwähnenswert, aber in dieser wohnung habe ich das einzige mal in
meinem leben eine leichte verbundenheit zu daniel gespürt. wir
unterhielten uns über das wunder der fortpflanzung, über die
strahlende zukunft die uns jungen, überoptimistischen menschen
bevorstand und warum heiligenbilder aufs klo gehören.

die beiden heirateten. ich war neles trauzeuge. bald darauf fing
ich mit meinem zivildienst in fulda an. kurz bevor ihre tochter
malou geboren wurde, zogen die beiden wieder nach aachen. eine
kleine wohnung in der bismarkstrasse. daniel fing ein praktikum im
stadttheater aachen an. kurz bevor er den job hinwarf weil er
keinen bock auf kaffeekochen mehr hatte traf er dort seine grosse
liebe, markus. malou war gerade ein paar monate alt und nele
plötzlich alleinerziehende mutter. malou hatte probleme beim
scheissen, wollte nicht loslassen, neles gemüt verfinsterte sich.
ein paar mal feierte ich mit nele alleine weihnachten. eigentlich
war ich froh, dass nele das arschloch das sie geheiratet hatte los
geworden war. wir sponnen pläne ein haus zu mieten und gemeinsam
mit unserem gemeinsamen freund karsten eine grosse wg zu gründen.
pläne aus denen nichts wurde, die aber eine wunderbare
projekttionsfläche und möglichkeit zum rumphantasieren abgaben.
nele ging es oberflächlich immer besser, sie verliebte sich sogar
nochmal, in frank, einen offenen, ehrlichen, ruhigen kerl. ein paar
jahre vorher hatte er mir zwar prügel angedroht, weil ich über ihn
gesagt hatte, er sei ein prolet, ein assi. was er natürlich als er
mit nele zusammenkam nicht mehr war. er mochte nele und malou sehr.
seine eltern auch. alle mochten nele. frank und nele planten eine
gemeinsame zukunft, den beiden war es ernst.

in der brigitte hätte gestqnden, nele sei eine „powerfrau“, die ihr
leben mit kind, jobs und liebe im griff hätte. hatte sie aber
nicht. ihre ängste waren stärker als irgendjemand, mich
eingeschlossen, dachte. das miese gefühl ihr leben nicht richtig im
griff zu haben liess sie nicht los. am 26.4.1993 sprang sie im
alter von 22 jahren aus der obersten etage des hochhause am
europaplatz in aachen. in ihrem abschiedsbrief schrieb sie: „ich
kann nicht mehr. [...] ich habe versagt, und ich will gar nicht um
verzeihung bitten.“

ein paar erinnerungen an nele finden sich im geschreibsel ihres
ex-mannes wieder, der sich mit viel talent und seinem
„schrecklichen familien-schicksal“ zeitweilig in die top-ten
deutscher theater-autoren schrieb. malou zog zu ihm, er war ja
schliesslich ihr vater. nele hatte mir aufgetragen gut auf malou
aufzupassen, sollte ihr selbst jemals etwas zustossen, aber hier
versagte auch ich grandios. malou ertrank zwei jahre nach neles tod
unter etwas dubiosen umständen bei ihrem vater in der badewanne.
kurz darauf starb auch julchen, neles dackel. das einzig positive
was an dieser geschichte dran ist, die drei liegen gemeinsam in
einem grab, der hund illegalerweise.

ich sollte die drei mal wieder besuchen gehen.

   http://wirres.net/article/articleview/351/1/24/

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demnächst wieder weniger peinlich und mit links. und rechts.

gruss
:::ix

-- 
wer rechtschreibfehler findet darf sie behalten.