schwitzen mit journalisten 2

felix schwenzel, , in wirres.net    

ich weiss nicht was gestern anstrengender war, die hitze oder die ermüdende diskussion. am ende war ich zumindest komplett feucht und leer. unfassbar wie einem journalisten die birne weich reden können. die diskussion der berliner-journalisten.de fand im berliner taz-café statt und hatte den spackigen titel „Bürgerjournalismus - Was bringt’s den Tageszeitungen?“. anwesend waren sebastian basedow vom hauptstadtblog.de, christoph keese, chefredakteur von welt.de, matthias urbach, leiter taz.de, mercedes bunz, onlinechefin vom tagesspiegel.de und andreas k. bittner der zur einführung einen kurzen vortrag hielt. den vortrag fand ich facettenreicher und intelligenter als ich vorher erwartet hatte, aber bittner fuhr später schwere rüffel vom podium ein. nach dem vortrag, der im schnelldurchgang alles vom onlinejournalismus, reichweiten, web2.0 zeug wie youtube, flickr und mydings, meinungsplattformen und blogs hin zum lokaljournalismus streifte (links zum vortrag im hauptstadtblog), verbrachte das podium erst mal 40 minuten damit sich gegenseitig zu versichern, dass das was die grossen tageszeitungen machen, online wie offline, total knorke sei. christoph keese, wiederholte fast wortgleich alle seine bekannten thesen die belegen sollten, dass print ja eigentlich viel toller als online ist, vor allem weil man nix runterladen müsse. ausserdem, das wisse ja wohl jeder, wollen die leser sich online-artikel immer ausdrucken. plötzlich entbrannte eine kreuzlangweilige diskussion darüber, was onlinejournalismus und printjournalismus eigentlich ausmache, was qualitätsjournalismus sei und wie toll die relaunches der eigenen blätter gelungen seien oder gelingen werden.

über bürgerjournalismus oder was das eigentlich sei oder was es den tageszeitungen bringe: kein wort. nicht dass ich mich dafür sonderlich interessiere was „bürgerjournalismus“ tageszeitungen bringe, ich muss ja mit tageszeitungen kein geld verdienen, aber man hätte die veranstaltung ja von anfang an „onlinejournalisten sind toll“ nennen können. ich formulierte diesen einwand als zwischenruf und versuchte die frage zu formulieren, wie sich denn nun tageszeitungen und ihre onlineauftritte und das was sich in den letzten jahren im interenet tue, befruchten könnten, bzw. ob die zeitungsmacher ideen hätten wie und ob sie davon, beispielsweise von bloggern, etwas lernen könnten. mercedes bunz beantwortete die frage in etwa so, dass sie ihrer redaktion (alle drei tage) sage, sie sollten zur informationsbeschaffung nicht nur „den ticker“ lesen, sondern auch blogs. blogs als zusätzliche informationsquelle, so wie ausländische oder andere zeitungen oder fernsehen. kommentare, fügte sie hinzu, seien übrigens nix neues, dass habe es online schon immer gegeben, damit könne man heute eigentlich keinen mehr beeindrucken.

matthias urbach, von der taz, sagte die taz selbst sei eigentlich ein produkt des bürgerjournalismus, wenn sie jetzt und nicht vor dreissig (?) jahren gegründet worden wäre, würde sie sicher ein online-projekt sein. wie bürgerjournalisten an der taz teilnehmen könnten? sie könnten artikel einschicken und wenn sie gut seien würden sie „gedruckt“ und bezahlt.

christoph keese wiederholte im wesentlichen das was er im sz-interview gesagt hat:

Gute Redaktionen lesen Texte in drei, vier oder fünf unterschiedlichen Stufen gegen, bevor diese veröffentlicht werden. Was am Ende in der Zeitung oder online erscheint, ist Teamarbeit. Genau das erwarten Leser von uns: ein sorgsam begründetes Urteil aufgrund sachlich korrekter Informationen. Blogs arbeiten völlig anders - es sind subjektive Tagebücher.

er stelllte die steile these auf, redaktionelle strukturen und hierarchien stellten sicher, dass das was am ende im blatt stehe richtig und wahr sei. ich kann mich an viele beispiele erinnern in denen völliger mumpitz in der welt oder welt.de stand. nicht nur dass der ipod keien mp3-dateien abspieln könne las ich in der welt, auch die falsch-meldung der dpa tickerte ungeprüft auf welt.de. auch den fall posener sprach keese an. er verteidigte vehement seine überzeugung, dass das was unter dem label „welt.de“ erscheine zumindest von ihm gegengelesen werden müsse und sich den redaktionallen grundsätzen beugen müsse. niemand kann keese daran hindern unter welt.de nur kalten kaffee zu servieren und so wie er seine überzeugung darlegte, wird ihn auch keiner daran hindern. ebenfalls beeindruckend an keese: er wirkte die ganze zeit leviert, von seinen überzeugungen und abneigung gegen online-gedöns so sehr getragen, dass er zwei bis drei zentimenter über dem podium zu schweben schien. ein klarer vorteil gegenüber den zweifelnden und unsicheren „68ern“ die ihn umgaben.

ich hatte mir vor der veranstaltung zwei (eigentlich vier) thesen zurechtgelegt. die erste these war, dass institutionalisierter bürgerjournalismus (oder ins internet schreiben) nicht funktioniert. einerseits ist es viel zu einfach selbst zu publizieren — warum soll man sich dem technik- oder redaktionsstatut einer wie auch immer gearteten institution unterwerfen? wegen der reichweite? vielleicht, aber das ist dann auch nix neues: ich kann theoretisch jeder zeitung mein manustript schicken und hoffen dass sie es nehmen — oder eben nicht. nur warum ich all diese bürokratischen hürden nehmen soll, wenn ich selbst ohne hürden veröffentlichen kann, hat mir noch keiner erklärt. meine zweite these lautete, dass journalismus durchaus etwas von „learning by doing“ hat und keine exklusivveranstaltung ist. wenn ich regelmässig schreibe lege ich mir ein persönliches statut und stil zu, ich bilde mir meine regeln und grundsätze und unterscheide mich theoretisch nicht mehr von journalisten. meine beiden lieblingsarchitekten tadao and? und peter zumthor haben beide keinen universitäts-abschluss in architektur. durch ihr werk sind sie aber bei den etablierten, studierten architekten durchaus anerkannt. blogger, von a-z, müssen sich von vermeintlich professionellen journalisten immer noch ständig vorhalten lassen, sie seien tagebuchschreiber, subjektiv, ungenau und fehleranfällig. der präsident des bundesverbands deutscher zeitungsverleger (BDZV), helmut heinen meint pfründen gegen unausgebiildete schreiber verteidigen zu müssen und formuliert meiner meinung nach genau das was die meisten journalisten denken:

Relevante Inhalte generieren, strukturieren, aufbereiten und die Debatten in den verschiedenen Lebensbereichen moderieren, das sei ein kompliziertes Handwerk, welches nur von talentierten und gut ausgebildeten Journalisten erledigt werden könne. (quelle)

meine beiden thesen von der arroganz der etablierten medien und deren unvermögen das potenzial von eigenverlag, von blogs, vom selbermachenkönnen zu erkennen, lösten sich im laufe der diskussion in reinen schweiss auf. selbst christoph keese, der den bloggern ja gerne vorwirft ausschliesslich tagebuch zu schreiben, behauptete steif und fest, wer regelmässig schreibe sei damit automatisch journalist, zumal die berufsbezeichnung nicht geschützt sei. alle anderen anwesenden online-chefs billigen den „bürger“ als maximal-beteiligung leserbriefe oder kommentare zu und bestaunen das was sich im netz so tut als etwas völlig von ihnen losgelöstes, wenngleich auch faszinierendes.

ein etwas unrasierterer und noch fülligerer mann als ich warf folgendes in die diskussion: „es gibt leute die müssen jeden tag schreiben, auch wenn sie nichts zu sagen haben, das sind journalisten und es gibt leute die haben etwas zu sagen und schreiben es auf. das sind bürgerjournalisten.“ das hätte eine zustimmungswürdige these werden können, wenn der herr nicht noch fünf minuten esoterisches geschwafel hinterhergeworfen hätte.

am ende der diskussion in der begriffe wie „medienkompetenz“, „aufrichtigkeit“ oder „experiemtierfreude“ gar nicht fielen, dafür aber ständig von „reichweiten“, „pageimpressions“ und „redesigns“ geredet wurde, stand als fazit so etwas wie: alles ist gut, wir machen unser ding, aber keine experiente, ihr macht euer ding, aber das hat nix mit uns zu tun. schlimm ist das, bis auf die deutlich mitschwingende arroganz, nicht. aber ein bisschen traurig, wenn man zeitungen mag, ist es schon. starrköpfigkeit und furcht vor neuem führt nicht zwangsläufig ins grab, aber definitiv zu einem starren kopf.

[dieser artikel ist eine ergänzung zum beitrag „schwitzen mit journalisten“]

[nachtrag 23.06.2007]
es gibt auch ein video von der veranstaltung.