egozentrische offenlegung

felix schwenzel, , in wirres.net    

cem fragt „Hat sich euer Sozialverhalten durch das Bloggen nachhaltig verändert?“.

ich versuche mal hier zu antworten, vielleicht wird meine antwort ja ein bisschen länger. die spontane antwort lautet nein. mein verhalten hat sich eigentlich nicht geändert, aber mein umfeld. wenn ich nachdenke muss ich das dann doch einschränken. denn das umfeld verändert einen ja auch. die grösste veränderung ist, dass ich jetzt teil einer patchworkfamilie geworden bin, was sich doof anhört, aber wunderbar ist. ich habe durch das bloggen nicht nur eine beifahrerin gewonnen, sondern habe jetzt quasi ein kind, was wunderbar ist und — das ist das beste — auch schon mit seinen 12 jahren aus dem gröbsten heraus ist. auch meine verwandschaft ist gewachsen, die neuen mitglieder rekrutieren sich teilweise aus bloggern. am aufälligsten ist mein adressbuch gewachsen. in den mittlerweile über 10 jahren in denen ich ins internet schreibe habe ich wahnsinnig viele leute kennengelernt. viele von diesen bekanntschaften sind gute freunde geworden, manche auftraggeber oder geschäftspartner, auch meine letzten festen angestellungen habe ich indirekt dem ins internet schreiben, bzw. den beziehungen die dadurch entstanden, zu verdanken. zu behaupten, täglich stundenlang auf den bildschirm zu glotzen würde die menschen die das tun vereinsamen lassen, ist so ziemlich der grösste humbug den man sagen kann. vielleicht ruiniert man sich die augen dabei, aber nicht das sozialleben.

mein sozialleben hat sich also doch etwas verändert, es ist vor allem reicher geworden und ich habe leute kennengelernt die ich sonst nie kennengelernt hätte. viele habe ich auch kennengelernt, die ich sonst nie hätte kennenlernen wollen.

was ich bemerke, menschen die digital, also per email oder instant messanging nicht gut zu erreichen sind, sehe ich seltener. dieser elektronische quatsch schafft wirklich auch nähe, auch über grosse geografische distanzen. freundschaften die eher offline-affin sind, leiden darunter ein wenig, das hängt allerdings auch damit zusamen, dass ich vollzeit arbeite und nicht mehr einfach durch deutschland kurven kann um leute zu besuchen. das ist eher der fluch des alltages, des erwachsenenlebens, das zu führen ich manchmal gezwungen bin. arbeit, familie, ins internet schreiben, da fallen dann leider doch einige durch die schablonen die einem der alltag aufdrückt. früher hatte ich viel zeit, aber keine kohle, jetzt habe ich ein bisschen kohle aber wahnsinnig wenig zeit. obwohl, wenn ich recht bedenke, seit dem abi hatte ich eigentlch immer enorm wenig zeit.

trotzdem. ich bemühe mich auch mein beziehungsgeflecht ausserhalb der arbeit, des internets und der familie zu pflegen. fundamental durch das ins internet schreiben hat sich da nicht viel verändert.

was sich vielleicht ein wenig verändert hat ist wie ich leute kennenlerne. mir fällt das mittlerweile sehr viel leichter als früher. es ist mitunter leichter leute im echten leben kennen und schätzen zu lernen die man schon online kennt und schätzt. oder anders ausgedrückt, online menschen kennenzulernen ist einfacher als offline. freundschaften zu halten und zu pflegen ist aber genauso komplex und zeitweise schwierig wie auch sonst.

auch mein lebensstil hat sich durch das bloggen einerseits überhaupt nicht verändert, andererseits dann doch massiv. einerseits lebe ich in berlin weiterhin in einer einzimmerwohnung mit matraze und sofa, ohne kühl- und kleiderschrank, ohne küchengeräte und ohne einen stuhl. andererseits bin ich am wochende in einer voll ausgestatteten wohnung, mit kühlschrank, wlan, frau und kind. das ist durchaus eine veränderung, die sich im nächsten jahr konsolidieren wird. allerdings nur indirekt durch das blogdings.

im letzten jahr habe ich relativ gut mit dem ins internet schreiben und sprechen verdient. robert basic meint ja es sei „dumm und unpartizipativ“ nicht über solche einnahmen zu sprechen, also spreche ich hier mal drüber: durch werbung und honorare die mehr oder weniger mit meinem blogdings hier zu tun haben, habe ich in diesem jahr im durchschnitt im monat 1500 euro eingenommen. brutto. verändert hat das mein sozialverhalten wenig bis gar nicht. vielleicht gehe ich ein bisschn mehr essen und saufen. aber eigentlich hab ich das auch getan als ich kein festes gehalt und kein einkommen aus tätigkeiten im und ums blogdings hatte. und durch die einnahmen gebe ich mehr für das schreiben aus: sowohl zum dld, zur bambiverleihung und ein paar andere veranstaltungen bin ich auf eigene kosten gefahren um darüber zu schreiben. die hemmschwelle geld für teure apparate auszugeben oder um über veranstaltungen zu schreiben ist durch meine einnahmen etwas gesunken. wobei die hemmschwelle eigentlich vorher auch nicht sonderlich hoch war.

ich bin im letzten jahr zwar hin und wieder auf der strasse oder im h+m von mir fremden leuten erkannt und angesprochen worden, ein paarmal von profis fotografiert und gefilmt und geinterviewt worden, aber auch deshalb hat sich nichts verändert. ich verhalte mich nicht anders, ich kleide mich nicht anders und meine frisur sieht auch immer noch gleich bescheuert aus.

jetzt aber mal die kurze antwort: durch das ins internet schreiben und sprechen hat sich alles verändert, aber eigentlich auch nichts. ich möchte allerdings nichts was ich durch das bloggen erfahren und kennengelernt habe missen.