„blattkritik“

felix schwenzel, , in wirres.net    

der zugang zur zeit online-redaktion ist auf gewisse weise abenteuerlich. zuerst geht man am speersort nummer eins an einem wahrlich majestätischem „die zeit“-logo vorbei in einen aufzug, findet sich im dritten stock an einem ziemlich okeyen empfangstresen wieder, läuft durch ein paar flure der print-redaktion, öffnet nach ungefähr einem kilometer redaktionflur eine dicke feuerschutztüre die in ein abgeranztes, staubiges treppenhaus führt, geht an abblätternden putz und heraushängenden kabeln eine etage tiefer und voilá, schon befindet man sich in der zeit online-redaktion. kein empfang, nur ein selbstausgedrucktes blatt mit der aufschrift „zeit.de“ hängt am eingang. obwohl „eingang“ übertrieben ist. feuerschutztüre nennt man sowas.

in der (sehr) grossen redaktions-teeküche durfte ich heute mittag vor ein paar redakteuren ein stündchen über die zeit.de plaudern. blattkritik nennen journalisten das.

ich gehe zwar davon aus, dass es ausserhalb der zeit online-redaktion niemanden interessiert wie ich die zeit.de finde (möglicherweise interessiert es innerhalb der redaktion auch niemanden), aber ich fasse trotzdem nochmal ein paar gedanken dazu zusammen.

mein hauptproblem mit zeit.de ist, dass ich die seite furchtbar gelayoutet finde. nichts von der grosszügigkeit der print-titelseite findet sich auf der homepage. wo die printausgabe die obere hälfte fast ausschliesslich und enorm verschwenderisch mit einem grossen aufmacherfoto und einem riesigem logo füllt, ist die titelseite im internet kleinteilig, zerfasert, gequetscht, zu verspielt und überladen, auch ohne werbung.

ich bin im prinzip mit der zeit aufgewachsen (also eigentlich mit der „die zeit“ aufgewachsen). deutsch habe ich quasi in der zeit gelernt. und ich habe immer schon die entschleunigten, hintergründigen und fundierten artikel der zeit geschätzt, die sich schon ende der achtziger jahre wohltuend vom gehetzten nachrichtengeschrei im fernsehen und manchen tageszeitungen abhoben. und das layout! irgendwann anfang (oder mitte) der neunziger jahre wurde die zeit komplett entrümpelt, typografisch aufgeräumt und mit enorm viel weissraum ausgestattet. dieser zeit-relaunch hat mein ästhetisches empfinden und mein stilempfinden entscheidend geprägt.

online kann ich diesen stil nicht finden. neben meinem subjektiven rumgemäkel an der grafik, was sicher sehr ungerecht ist, habe ich bei der online-zeit vor allem ein problem mit der zugänglichkeit. anderes gesagt: ich finde mich nicht zurecht auf der seite (obwohl — es geht auch ne spur übersichtlicher — hier für blinde).

trotzdem, manche recherchen google führte mich immer wieder zu guten, hintergründigen artikeln auf zeit.de. nur über die zeit.de-seiten finde ich selten artikel auf zeit.de. das kann daran liegen, dass ich zeit.de ausserhalb der vorbereitung von blattkritiken eher selten besuche und vor allem in der regel auch gar nicht auf die idee komme die seite zu besuchen. aber vieleicht ist es auch gar nicht so sehr am mangelnden profil von zeit.de oder der mangelhaften zugänglichkeit oder übersichtlichkeit, vielleicht interessiert sich einfach keiner für die zeit.de. bei den rivva leitmedien steht die zeit.de heute auf platz 110. auch kaum eins der vielen (teilweise gar nicht mal so schlechten) zeit.de-blogs findet, laut rivva, in der blogwelt ein echo. warum?

die zeit.de ist voller erbsen die man zählen kann. ich hatte mir vor der blattkritik drei DIN-A4-seiten mit erbsen ausgedruckt. eine exemplarische beispielerbse davon ist die kreativität, bzw. wuscheligkeit mit der man auf zeit.de ressorts und kategorien einfach nach gutdünken benennt:

mal heisst es auf der startseite „KURZMELDUNGEN“, zweihundert pixel weiter unten steht „weitere Kurznachrichten“, klick man auf den link, werden einem „News“ (vor allem vom tagesspiegel) präsentiert die unterteilt sind in „LETZTE MELDUNGEN“, „TOP NEWS“ und ein paar ressorts. ganz unten kann man dann auf „WEITERE NACHRICHTEN“ klicken, die sich dann in der URL „/news/leben/“ nennen.

ebenfalls auffällig fand ich wie lieblos die eigentlich famosen autoren-seiten gepflegt werden. auf der startseite findet man neben helmut schmidt und joschka fischer harald martenstein angeteasert. seine fürs blatt geschriebenen kolummen sind tatsächlich komplett aufgelistet (allerdings ohne veröffentlichungsdatum), die aktuellste vom 13. märz steht ganz oben. nur die videokolummnen von martenstein sind offenbar seit august letzten jahres nicht mehr aktualisiert worden. warum? kann man das nicht automatisieren? die „normalen“ kolumnen sind identisch mit dem material aus dem archiv und wahrscheinlich per rss eingebunden? achso, nee. der rss-feed funktioniert seit dem 21.02.2008 nicht mehr. komplett leer.

das ist exemplarisch: gute ansätze, gute ideen werden umgesetzt und dann auf halben wege liegen gelassen, sich selbst überlassen und vergessen. ob jemals ein zeit-redakteur einen blick in die auf jeder zeit.de-seite angeteaserten mobile zeit.de-seite geworfen hat? hier wird behauptet, der „neue Service“ würde eine „aktuelle Auswahl der Inhalte von ZEIT online zur Verfügung“ stellen. stimmt. das funktioniert aber nur wenn der artikel kein video und keine bildergalerie ist. dann landet man nämlich, beispielsweise wenn man auf die überschrift „Martenstein:Schuldenfrei durch Dauerstreik“ klickt, auf einer leeren seite. ebenso leer sind die ressorts. guckt sich das echt niemand an? und was ist mit m.zeit.de (hab ix schonmal vor nem jahr gefragt)?

vieles ist gut auf zeit.de, aber vieles ist auch im argen. ob und was sich mit dem neuen online-chefredakteur wolfgang blau ändern wird, werde ich hoffentlich in meinem feedreader, bzw. hier lesen können. oder?