focus.de vs. spiegel.de

felix schwenzel, , in wirres.net    

am samstag in hamburg sah ich den chefredakteure von spiegel.de und focus.de dabei zu, wie sie sich bemühten ihren jeweiligen online-auftritten journalistische qualität, markt- und meinungsführerschaft zuzuschreiben. spiegel.de lese ich zwar sehr selten, würde der nachrichtensite aber attestieren lernfähig und, abgesehen von sporadischem abgleiten ins unerträglich boulevardesque oder tittenblattige, ziemlich informativ zu sein. focus.de zieht völlig unbeachtet an mir vorbei, lediglich sein chefredakteur inspieriert mich hin und wieder zu lobeshymnen.

also habe ich mir gedacht, schau dir die beiden sites doch mal zusammen an und vor allem, guck mal, ob focus.de vielleicht doch brauchbarer oder lesenswerter als das blatt selbst ist (das blatt werde ich nach einem testkauf vor vielen jahren, noch nicht einmal mehr mit der kneifzange oder beim friseur anfassen).

heute abend, nachdem ich den halben tag übernächtigt und erschöpft im bett verbracht habe und die andere hälfte kaffee-trinkend und fas-lesend im kaffee — also völlig ahnungslos von der aktuellen weltlage war — habe ich parallell beide seiten aufgerufen um mich auf den letzten stand der dinge zu bringen.

spiegel.de machte mit der meldung auf, dass colin powell barack obama unterstütze: „Powell zieht für Obama in den Wahlkampf“, focus mit der meldung, dass frank-walter steinmeier „bauchschmerzen“ (wegen hessen) habe. hessen und steinmeier interessierten mich heute abend nicht, der erste klick ging an spiegel.de. der artikel im spiegel.de über colin powell war informativ und ziemlich OK. auf focus.de ist die story an zweiter stelle und mit „Bushs Ex-Außenminister unterstützt Obama“ überschrieben. das ist etwas genauer als spons „Powell zieht für Obama in den Wahlkampf“, da, wie ich sowohl auf spiegel.de, als auch focus.de las, powell nur seine bereitschaft für obama in den wahlkampf zu ziehen erklärte. eigentümlich, dass ich nur auf focus.de lese, dass mccain in umfragen „gewaltig“ aufhole: „Obama dürfte sich über die Unterstützung freuen, zumal sein Kontrahent, der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain, nur noch drei Prozentpunkte zurück liegt. Das ergaben Umfragen, die im Auftrag der Nachrichtenagentur Reuters und C-Span erhoben wurden.“ auf spiegel.de keine silbe von diesen umfragen.

die ergebnisse des formel1-rennen heute früh interessierten mich auch, da ich das rennen komplett verpennt hatte. sowohl spiegel.de, als auch focus.de war das rennen keinen aufmacher mehr wert. artikel über das rennen waren auf beiden seiten an die zweite stelle der sport-teaser gerutscht, bei spiegel.de unter eine fussball-meldung, auf focus.de unter einen omninöse teaser auf denen man ameriaknische cheerleader erkennen kann die ihre ärsche in die kamera recken, was der teaser-textende focus-redakteur „Verwirrende Cheerleader-Posen“ nannte. mich machen solche arsch-und-titten-teaser wahnsinnig aggressiv. selbst wenn so ein aufgeilungs-schrott kräftig geklickt wird, wie kann sich ein chefredakteur ohne rot zu werden auf ein podium setzen und von qualität schwadronieren? spiegel.de ist da auch nicht so viel besser, verpackt seine arsch-und-titten-story aber feuilleton-artig als besprechung eines fotobandes.

der focus.de-formel1-artikel auf der homepage beschränkt sich leider auf die ferrari-stallorder („Formel 1: Übler Stallordergeruch“), nicht schlecht geschrieben, aber weder fand ich im artikel einen hinweis auf eien zusammenfassung des ganzen rennens, noch hatte ich lust mich durch die focus.de-ressortübersicht durchzuklicken um einen zu finden. ausserdem war der artikel auf zwei seiten verteilt, was mich nach dem aufgeil-arsch-teaser innerhalb von zwei minuten erneut voll aggro werden liess. die spiegel.de-rennzusammenfassung („Hamilton-Sieg in China: Silberpfeil zielt auf Gold“) war sauber geschrieben, informativ und am ende wusste ich alles was ich wissen wollte — im gegenteil zum focus.de, der mich nur partiell informierte.

was mich auch interessierte, auch wenn ich schon ein paar stunden vorher das original gesehen hatte, war der auftritt von sarah palin bei saturday night live. spiegel.de titelt „Saturday-Night-Live-Auftritt: Sarah Palin floppt in der Comedy-Show“, focus.de „Gute Miene zu böser TV-Parodie“. die überschriften zeigen deutlich, dass sowohl spiegel.de als auch focus.de windschief sind: spiegel.de neigt sich nach links, focus.de nach rechts. ich tendiere rein subjektiv zur spiegel.de-perspektive, zumal ich tina fey nicht böse, sondern urkomisch finde.

focus.de schreibt über den fernsehauftritt palins eine kurze zusammenfassung, die OK ist, aber keine sonderliche tiefe aufweist. vor allem gibts keinen link zur show oder zu einem video. bei spiegel.de schon. ausserdem schreibt sich marc pitzke aus „new york“ (warum muss man das betonen?) einen wolf, liefert sehr viele hintergrund- und nebeninformationen, so dass ich mich auch hier von spiegel.de ungefähr 34mal besser informiert fühle.

meine aufmerksamkeitsspanne ist bei spiegel.de nun erschöpft, ausser den oben beschriebenen artikeln erregt nichts weiter mein interesse. focus.de hat irgendwo am unteren ende der seite noch eine meldung die ich klicke: „Apple-Interview mit kuriosen Momenten“. auf der homepage wird angekündigt: „Apple gilt als höchst verschwiegenes Unternehmen ─ doch FOCUS-Redakteur Ulf Hanneman konnte mit Vertriebsvorstand Ron Johnson sprechen.“ nach dem klick wird schnell klar, dass focus.de mich hier erneut zu verarschen versucht. der artikel ist lediglich ein hohler teaser, diesmal nicht mit arsch und titten, sondern mit äpfeln. nach drei absätzen in denen lediglich über den unglaublichen, unfassbaren widrigen interview-bedingungen lamentiert wird, lese ich: „Das komplette Interview lesen Sie in der aktuellen FOCUS-Ausgabe auf Seite 130.“

nein, focus.de, spar dir deine werbe-imperative. ganz sicher lese ich das nicht.

vielleicht bin ich ja zu anspruchsvoll, zu erwarten, auf einer nachrichtenseite umfassend informiert zu werden, hinter teasern das zu erwarten was im teaser steht und von altmänner-titten-und-arsch-ködern verschont zu bleiben. fakt ist, ausser dem etwas besseren colin-powell-artikel hatte der focus.de keine chance gegen spiegel.de. im gegenteil, vom focus.de kam ich mir auch noch mehrfach verschauckelt vor. wenns um mein subjektives informationsbedürfnis geht, kommt mir spiegel.de sehr viel mehr entgegen. den ranzigen eindruck den ich vom focus auf papier habe, konnte die online-version nicht abschütteln. spiegel.de schafft das einigermassen.