„denkzettel“

felix schwenzel, , in wirres.net    

in der wikipedia steht:

Im 16. Jahrhundert hängte man Schülern in den Klosterschulen und anderen Ausbildungsstätten bei mehrmaligen Vergehen gegen die Ordnung des jeweiligen Instituts sogenannte Schandzettel an einer Schnur um den Hals, auf denen die Vergehen gelistet waren. Je nach Art der Verfehlung hatten die Schüler diese Denkzettel mehrere Tage bei ihren Freigängen und während des Unterrichts zum Gespött der Mitschüler (auf dem Rücken) zu tragen. Daraus leitet sich der heutige Sinn des Begriffs Denkzettel, eine (auch körperliche) Strafe zur Erinnerung, ab.

in der taz steht:

Und im Fall des Privatbloggers Philipp gegen die Journalistin? Schweitzer sagt, sie dränge jetzt darauf, dass der Student eine Spende an einen Verein wie Amnesty International zahlt: "Die soll ihn natürlich nicht umbringen, aber zumindest ein Denkzettel sein."

abgesehen davon, das die taz-geschichte mit den fakten recht frei umgeht, scheint die von geschichte eva c. schweitzer und philipp „den privatblogger“ gerade wieder hochzukochen und eine interessante wendung nzu nehmen (jörg-olaf schäfers fasst das gerade auf netzpolitik nochmal knapp zusammen). was mich betrifft, wundere ich mich doch sehr über die haltung von eva c. schweitzer. in mehrfacher hinsicht.

einerseits finde ich es verständlich, dass sie die unautorisierte nutzung ihrer texte im internet unterbinden möchte und (wie sie sagt) zum aufspüren „geklauter“ artikel eine „Organisation“ beauftragt, so nach dem motto, macht ihr das mal weg, dann brauch ich mich nicht damit rumzuärgern. sie spricht davon, dass die „organisation“ eine „Schleppnetzfahndung“ durchführt und ihr anwalt „ein paar Drohbriefe“ losgeschickt hätte. an dieser stelle würde ich bereits ein paar haltungspunkte abziehen. mit persönlich ist die wortwahl ein bisschen zu martialisch. bereits hier kommen mir eher tony-soprano-assoziationen als gedanken an bob woodward in den kopf.

trotzdem, man muss eva c. schweitzer zugute halten, dass sie sich entscheidet, als sie gewahr wird, dass bei „der Schleppnetzfahndung“ auch ein „paar Blogger hängengeblieben sind, die nicht kommerziell sind“, die forderung gegen philipp fallen zu lassen. hier könnte die geschichte zuende sein. philipp hat einen ordentlichen 2155 euro-schrecken eingejagt bekommen und die von frau schweitzer beauftragte „organisation“ könnte weiter fahnden und nach dicken, bösen brocken fischen.

frau schweitzer überlegt es sich aber anders: weil ihr philipps „freunde“ dauernd emails schreiben, will sie ihn nicht mehr „vom haken“ lassen. er soll jetzt was an eine „gemeinnützige Organisation“ ihrer wahl spenden. das sagt sie hier und, siehe oben, gegenüber der taz. weil sie genervt davon ist, dass „philpp“ unterstützer findet die ihr emails schreiben oder sie kritisieren, ohne sie vorher selbst zu befragen („Wenn Sie über jemanden etwas schreiben, insbesondere, wenn es etwas Kritisches ist, müssen Sie sich mit der Person vorher in Verbindung setzen“), soll er nun doch nicht „vom haken“?

soll philipp jetzt für den angeblichen textklau büssen oder für seine freunde? so oder so: eigenartige haltung. ebenso eigenartig wie die haltung, dass man meint, man müsse sich mit jemandem den man „kritisiert“ vorher in verbindung setzten, das in-verbindung-setzten aber nicht für nötig erachtet, wenn man meint, jemand habe einen fehler gemacht und die kontaktaufnahme dann einem anwalt, samt saftiger kostennote, überlässt.

dass ich mich über diese haltung wundere hat nichts damit zu tun, dass eva c. schweitzer sich „journalistin“ nennt und philipp sich blogger nennt, oder dass ich blogger für grundsätzlich bessere menschen hielte als journalisten, sondern einzig und allein mit meinem verständnis für fairness und anstand. selbst wenn ich der meinung wäre philipp hätte mit dem zitieren von drei absätzen von frau schweitzers text unanständig gehandelt oder ihr schaden zugefügt (was ich nicht tue, was aber auch nichts zur sache tut), selbst wenn die kritik von johnny haeusler oder philipps „freunden“ frau schweitzer schlaflose nächte bereiten sollte, würde ich frau schweitzers blogtexte, äusserungen und ankündigungen als überzogen, unfair und ansatzweise selbstherrlich empfinden.

ich finde diese übergeigte absicht philipp unter allen umständen einen „denkzettel“ zu verpassen umso unverständlicher, weil beide im prinzip das gleiche problem haben, nämlich geld, bzw. wirtschaftlichen schaden. frau schweitzer hat die „organisation“ mit der „schleppnetzfahndung“ beauftragt, weil sie versuchte wirtschaftlichen schaden wiedergutzumachen, philipp hat sich an johnny und andere gewandt, weil er den „drohbrief“ von schweitzers anwalt ernst nahm und schiss hatte über zweitausend euro zahlen zu müssen. jeder der schonmal eine abmahnung samt kostennote geschickt bekommen hat, weiss was das für ein mieses gefühl ist und welche verzweiflung sich in einem breit macht, wenn man die abmahnung nicht an eine rechtabteilung weiterleiten kann oder die streitsumme auf der rechten arschbacke absitzen kann. dass philipp seinen „denkzettel“ schon längst um den hals trägt, erkennt frau schweitzer vor lauter wut über philipps „freunde“ und kritik von dritten an ihr offenbar nicht.

das ist genau das, was ich an der haltung von eva c. schweitzer nicht verstehe, jemanden den sie nach eigenen worten „am haken“ hat nicht vom „haken“ lassen zu wollen um ein bisschen mit ihm weiterzuspielen oder weil er doofe freunde hat und dabei oberlehrerhaft mit denkzetteln zu wedeln. was verspricht sie sich davon? satisfaktion? vergnügen? eine bessere und gerechtere welt?

und jetzt kommen sicher die taz-haltungsexperten gürtler und bouhs und sagen: aber sie hat doch das recht auf ihrer seite, „philipps“ zitat sei keinesfalls vom zitatrecht gedeckt und wer drei absätze ungefragt zitiert, müsse halt mit harter bestrafung rechnen, so sei das nunmal mit dem recht. aber genau da wirds dann wieder interessant, wenn man liest, wie die rechtsanwälte thomas stadler oder udo vetter die rechtliche lage um die abmahnung einschätzen. und da gehts dann von haltungsfragen plötzlich ganz schnell wieder zu rechtsfragen.

was ich aber eigentlich nur sagen wollte: ich halte menschen die anderen „denkzettel“ verpassen wollen für äusserst unangenehm.