speech and debate

felix schwenzel, , in wirres.net    

als austauschschüler in amerika, habe ich 1986 an der highschool als englisch-kurs „speech and debate“ gewählt. eine motivation dafür war sicherlich, dass ich als 17jähriger meinem schriftenglisch nicht allzuviel zugetraut habe. offenbar war dieser gedankengang auch den anderen drei austauschschülern an der schule nicht fremd, so dass in „speech and debate“ bei mrs. davis neben ein paar amerikanern zwei deutsche, eine schwedin und eine französin sassen. an den genauen unterrichtsablauf damals kann ich mich leider nicht mehr erinnern, ausser dass wir regelmässig stark formalisierte (schein-) debatten führten und reden halten mussten. die formalisierten debatten kennen wir aus dem amerikanischen präsidentschaftswahlkampf; es gibt einen moderator und jeder debattant hat genau festgelegte zeiträume in denen er thesen formulieren kann. darauf folgt dann eine erwiderung des gegners, auf die man bei manchen debattenarten auch nochmal kurz antworten kann — oder eben auch nicht. die formalien hab ich alle vergessen. wichtig war allerdings, dass wir die positionen die wir in der debatte vertraten vorher gut recherchieren und vorbereiten mussten. unter anderem gab es dafür eine für die grösse der schule hervorragend ausgestattete schulbibliothek, komplett mit bibliothekarin und abonnierten zeitschriften. noch wichtiger: mrs. davis legte wert darauf, dass wir in den debatten auch positionen vertreten sollten, von denen wir gerade nicht überzeugt waren.

dieses konzept war mir als deutschem schüler damals völlig neu. bis zur 10ten klasse wurde von uns eigentlich in jedem fach verlangt, einfach das richtige zu schreiben oder, alternativ, ein bisschen rumzumeinen, also zum beispiel texte zu interpretieren. aber auch beim interpretieren ging es weniger um das begründen, als darum, die richtige interpretation zu liefern. auch wenn ich damals nicht wirklich viel gelernt habe, ich bin immer noch ein miserabler, öffentlicher redner, fasziniert mich das konzept bis heute. statt einfach nur rumzumeinen, rumzubehaupten oder argumente abzuschmettern, zu versuchen die argumente des gegner wirklich zu verstehen und nachzuvollziehen, am besten so gut, dass man sie selbst vertreten könnte.

diese haltung hat mich dazu veranlasst, das buch von susanne gaschke zu lesen. ich wollte ihre argumente verstehen und nachvollziehen, warum sie das internet so scheisse findet. ich muss sagen, ich bin ein bisschen enttäuscht. viele ihrer argumente sind schwach und inkonsistent und beinahe durchgehend widersprüchlich. ausserdem hat sie sich offenbar extrem wenig mit dem internet selbst beschäftigt, sondern vornehmlich mit ihren vorurteilen und ihren vermeintlichen gegnern, den „internet-apologeten“ oder „digitalisten“ wie sie sie nennt. das ist in etwa so sinnvoll wie der versuch den vegetarismus, seine sinnhaftigkeit, nützlichkeit oder seine vor- und nachteile danach zu beurteilen, was vegetarier über vegetarismus erzählen. hätte susanne gaschke ein buch mit dem titel „friss, strategien gegen fleischlose ernährung“ geschrieben, wäre eine ihrer hauptthesen, dass der vegetarismus eine quasi-religiöse bewegung sei, weil einige vegetarier behaupten, vegetarismus sei ein weg die welt zu retten.

und ich habe einen weiteren verdacht. ich glaube es wäre sinnvoller gewesen, ich hätte ein oder zwei bücher von nicholas carr gelesen. gaschkes buch ist voll mit carr-zitaten, ich habe in den knapp 200 seiten allein 15 erwähungen und zitate von nicholas carr gezählt. gaschke nennt carr übrigens bewundernd und mit kreativen schreibvariationen mal den „bedeutensten Internet-Kritiker Amerikas“, „Internetskeptiker“ oder „Internetkritiker“. immerhin sind gaschke und ich in einem punkt seelenverwandt. auch ich verwende wenig sorgfalt darauf worte und namen richtig zu schreiben, auch ich setze kommata und bindestriche frei schnauze und schreibe „apple“ ebenfalls stets klein.

zur vertiefung meiner kleinen forschungsreihe, warum finden leute das internet scheisse, was ist an ihrer kritik nachvollziehbar und welche argumente bringen sie vor, werde ich mich demnächst definitiv nicholas carr zuwenden (hat jemand empfehlungen mit was ich da anfangen könnte?). ausserdem habe ich mich selbst unter druck gesetzt und den republica-organisatoren einen vortrag mit dem titel „warum ich das internet scheisse finde“ vorgeschlagen. bleibt also zu hoffen, dass ich bis zum april noch ein paar stichhaltige argumente finde, um das internet endlich mal ein bisschen kritischer zu sehen.

[die gaschke-rezension folgt in den nächsten tagen.]