grube und schmidt über sekundärtugenden

felix schwenzel, , in wirres.net    

mobil, september 2010

ich verstehe dieses bahn-magazin was in den zügen ausliegt nicht. heute lag eine ausgabe mit helmut schmidt auf dem cover im zug, auf der (gar nicht mal so leicht zu findenden) website ist aber noch die einen monat alte august-ausgabe aktuell. das heft ist also offenbar schneller zu drucken und in deutschen zügen zu verteilen, als es auf die website zu packen.

helmut schmidt ist auf dem cover, weil bahnchef rüdiger grube (oder wie die angeheuerte redaktion von gruner und jahr es devot ausdrückt: „Dr. Rüdiger Grube“) für das heft mit helmut schmidt geplaudert hat. das vermeldet gruner und jahr auch stolz per pressemitteilung, nicht jedoch die bahn, die findet das auf ihrer seite keiner erwähnung wert. grubes gespräch mit schmidt ist gar nicht mal schlecht, auch wenn ich mich immer ein bisschen fremdschäme, wenn erwachsene menschen mit respektablen positionen darauf bestehen bei namensnennung im editorial, impressum oder am anfang des interviews mit ihrem akademischen titel genannt zu werden. helmut schmidt mit seinen ungefähr dreissig ehrendoktorwürden hat sich die nennung offenbar verbeten (mit „herr bundeskanzler“ möchte er auch nicht angesprochen werden), dr. rüdiger grube, „der vorstandsvorsitzende der deutschen bahn ag“ und dr. antje lüssenhop, „Leiterin PR und interne Kommunikation der DB“ bestanden anscheinend auf nennung ihrer akademischen würde.

lüssenhop hatte bei dem gespräch anscheinend keine andere aufgabe als die fotos etwas aufzublonden, „mitzuarbeiten“ und eine kleine breitseite von schmidt gegen PR-arbeit einzustecken, als der sagte:

Vertrauen kann man nur herstellen, indem man sich selber anständig, durchsichtig und ehrlich benimmt. Vertrauen gewinnt man nicht durch Public Relations und auch nicht durch Schaffung einer Marke. Es geht um das Vertrauen von Menschen. Und dafür gibt's seit Jahrtausenden dieselben Rezepte, nämlich: Sei Beispiel und Vorbild!“

sekundärtugenden sind überhaupt, neben politik, das hauptthema des gesprächs. grube meint durch seinen lebensweg werte wie „Glaubwürdigkeit, Respekt, Loyalität, Fleiß und Begeisterungsfähigkeit“ verinnerlicht zu haben und meint, dass „die schule“ diese werte heute nur noch begrenzt vermitteln könne. schmidt ergänzt, dass man diese werte auf der harvard business school in st. gallen und in oestrich-winkel auch nicht mehr lerne.

später macht grube neben der schule und den schlechten zeiten auch noch die „neuen Medien“ verantwortlich für die verkümmerung der werte die er einst verinnerlicht hat:

Ich befürchte, die Nutzung der neuen Medien könnte dazu führen, dass Kommunikation oberflächlicher wird. Mehr noch, dass Werte wie Respekt und kooperatives Handeln verkümmern, was eine Verrohung des Umgangs unterstützt.

dankenswerterweise springt schmidt nicht auf diese saublöde früher-war-alles-besser-nummer an, obwohl er ja auch bekanntermassen kein freund „neuer“ medien wie fernsehen und internet ist:

Die Gefahr ist real. Ob der Medienkonsum aber auch notwendigerweise einen Verlust an Moralität unterstützen muss, da würde ich zögern mit der Antwort. Denn es hat ja auch im alten Griechenland, im alten Rom, in Mittelitalien, in Venedig, in Gent, in Sienna nicht immer nur den ehrbaren Kaufmann gegeben, sondern auch ganz üble Geschäftemacher.

in der pressemitteilung von gruner und jahr heisst es, dass grube im übernächsten monat den anderen schmidt zum thema sekundärtugenden interviewen wird. bin mal gespannt, was der zum thema pünktlichkeit zu sagen hat.