kontrollfreaks

felix schwenzel, , in wirres.net    

die verleger jammern mal wieder.

der satz oben ist nicht ganz korrekt, denn die verlage jammern seit jahren pausenlos. mal ist es die kostenloskultur, die die zeitungs-kultur zerstört (wegen irgendeines geburtsfehlers), mal die suchmaschinen die sich parasitär an den von verlegern geschaffenen inhalten bereichern, dann ist es der staat, der droht die privatsphäre seiner bürger besser zu schützen und beispielsweise den adresshandel einschränken will und damit die pressefreiheit bedroht, dann mal wieder das internet als ganzes, dass es hinz und kunz erlaubt sachen anzubieten und zu kaufen ohne auf die dienstleistungen von zeitungen zurückgreifen zu müssen. es ist, als ob die ganze welt sich gegen die verleger verschworen hätte.

doch dann, vor nicht einmal einem jahr, leuchtete ein hoffnungsschimmer auf. steve jobs erfindet das ipad, ein tablet das erstaunlicherweise einfach mal so funktioniert und eng mit dem apple-eigenen app-ökosystem verbunden ist, das bereits vom iphone her bekannt ist, gewissen qualitätsstandards folgt und das viele menschen lieben, weil es eben einfach funktioniert, mit betonung auf „einfach“.

die verleger sehen eine chance. ein geschlossenes, kontrolliertes system in dem nicht wie im www relative anarchie herrscht, wo jeder anbieten kann was er will, sondern wo, wie in anständigen redaktionen, auf die qualität geachtet wird. kontrolle! darauf fahren verleger ab!

dass das mit der kontrolle bei apple, genau wie in den meisten redaktionen, nicht immer so toll funktioniert, dass manchmal auch schrott durchrutscht, manchmal ganz tolle sachen aus unerfindlichen gründen ausgesperrt werden und eben vor allem nicht einfach hinz und kunz mitmachen können, sondern nur leute die eintritt zahlen und sich an bestimmte regeln halten, auf ihr äusseres achten und titten und ärsche zensieren, damit können sich die verleger arrangieren. sie finden das geschlossene, kontrollierte system toll, vor allem weil man offensichtlich richtig viel geld damit verdienen kann.

mathias döpfner, der chef des springer-verlags, möchte gar niederknien vor dem schöpfer dieses geschlossenen systems, so begeistert ist er vom konzept:

Jeder Verleger der Welt sollte sich einmal am Tag hinsetzen, um zu beten und Steve Jobs dafür zu danken, dass er die Verlagsbranche rettet", sagte der Springer-CEO in einem Fernsehinterview mit dem US-Journalisten Charlie Rose. "Das iPad bringt das, auf das wir alle gewartet haben."
[…]
Das "coole Gerät" sei "einfach zu benutzen" und der Preis sei massenmarkttauglich. Aus Verlegersicht besonders wichtig ist das einfache und bereits etablierte Bezahlmodell.

toll. nix wie rein da, mal eben ein paar millionen reininvestieren. das war vor nicht mal einem jahr.

jetzt sagt VDZ-geschäftsführer wolfgang fürstner, das sprachrohr der deutschen verleger, dass apple die spielregeln ändere und plötzlich keine stabilen vertragsbedingungen für die verleger anbiete. wohlgemerkt, es geht um das ipad, ein gerät, dass noch kein jahr auf dem markt ist und das nicht wie ein blatt papier so ist wie es ist, sondern ständig weiterentwickelt und verbessert wird.

im september letzten jahres, also vor etwa vier monaten, hat apple mit dem 4er iOS-betriebssystem die möglichkeit geschaffen, dass ipad oder iphone-benutzer in dafür angepassten apps einkäufe durchführen können. so können besitzer einer kostenlosen zeitschriften-app in der app eine neue ausgabe kaufen. oder spieler können sich neue level oder werkzeuge freischalten. oder was weiss ich. von anfang an hiess es dazu in den AGBs:

Apps utilizing a system other than the In App Purchase API (IAP) to purchase content, functionality, or services in an app will be rejected.

mit anderen worten, im vertrag den jeder app-entwickler mit apple abschliesst steht drin, dass der entwickler ausserhalb der app keine inhalte für die app verkaufen darf, sofern er diese möglichkeit nicht auch in der app bietet. dass apple diese vertragsklausel in den letzten letzten 4 monaten nicht durchgesetzt hat, ist eine andere sache. im vertrag stehts drin.

jetzt jammern die verleger, dass apple auf seinen eigenen regeln besteht und diese künftig durchsetzen will. „instabile vertragsbedingunegen“, man fühlt sich betrogen und die pressfreiheit ist plötzlich wieder in gefahr.

ich frage mich, lesen verleger die verträge die sie abschliessen vor dem abschluss nicht durch? investieren verleger millionen in systeme, ohne die verträge wasserdicht zu machen? reden die überhaupt mit ihren geschäftspartnern? und vor allem, verstehen verleger nicht den sinn von geschlossenen, kontrollierten, fremdbestimmten systemen?

mir kommt das so ein bisschen vor, als ob die verleger sich in einen zug nach hamburg setzen und auf halben weg, wenn sich zeigt dass der zug wirklich nach hamburg fährt, merken dass münchen auch ne schöne stadt ist. die verleger erinnern sich dann an ihren gesellschaftlichen auftrag und die pressefreiheit und schnauzen den zugchef an, bestehen darauf nach münchen zu fahren und in die lok wollen sie auch, wegen der pressefreiheit.

ist das denn so schwer zu begreifen? wer sich in ein geschlossenes, kontrolliertes system, wie ein flugzeug, einen zug oder den apple-app-store begibt (was ja durchaus vorteile haben kann, man kommt zuverlässig von a nach b, man kann für sachen geld verlangen, die sonst kein arsch bezahlen würde), ist man dazu verdammt nach den regeln dieses systems zu agieren — oder das system zu verlassen.

die verleger wollen (oder können) keine züge kaufen (zu teuer, zu wartungsintensiv, zu kompliziert, zu risikoreich), wollen aber trotzdem lokführer spielen. die verleger wollen dass alle anderen sich an die anweisungen des piloten halten, sie selbst wollen aber gerne die durchsagen schreiben und aufsagen und ausserdem die flugroute mitbestimmen.

der grösste witz an der ganzen sache ist ja, dass die verleger rumbehaupten dass alles im sinne ihrer leser zu tun. dass sie die interessen, adressen oder telefonnummern ihrer leser benötigten um ihnen ein adequates lesevergnügen zu bieten. sie behaupten, dass es im interesse des lesers ist, sich abos auf komplizierten, selbst zusammengedengelten verleger-webseiten zu kaufen, statt es sich mit einem klick in einer app zu besorgen. sie glauben, dass es im interesse der leser ist, sie nach der kündigung eines abos anzurufen oder sich per post an sie ranzuwanzen und zu fragen ob sie nicht vielleicht doch wieder ein abo abschliessen wollten. verleger tun so, als ob ihre leser es knorke fänden, wenn verlage mit ihren adressen handel betreiben und sie über interessante preisausschreiben informieren.

verleger stemmen sich mit aller kraft gegen drei hauptströmungen die das internet vorantreibt: einfachheit, offenheit und kundenorientierung.

sie leiden unter kontrollwahn und lieben es die fakten mit ihren krokodilstränen zu verwischen. interessanterweise verbietet apple den verlagen keinesfalls ihre abos auch über ihre eigenen systeme zu verkaufen. apple verpflichtet sie lediglich dazu, wenn sie das tun wollen, auch die in-app kauf-alternative anzubieten. dass sie mit ihrem datenhunger und hochkomplizierten bestellsytemen gegen die unkomplizierte einklick-abo-variante von apple nicht anstinken können ist den verlegern wohl klar. deshalb entscheiden sie sich wohl demnächst in eigener sache kräftig gegen apple zu trommeln und hier und da ein paar tatsachen zu verdrehen. es geht ja ums ganze, um pressefreiheit, adresshandel, und die eigene rendite. die verleger haben sich jetzt sogar überlegt, dass man mal mit apple reden könnte:

Wir stehen erst am Anfang des Dialogs mit Apple. Wir wollen daher nicht mit prozessualen Möglichkeiten drohen. Solange wir einen fairen Interessenausgleich erzielen können, stehen politische und rechtliche Möglichkeiten nicht auf der Tagesordnung. Das ist für uns klar. Wir befinden uns am Beginn einer neuen Wirtschaftsordnung, die auch mittelständischen Verlagen Beteiligung am Wettbewerb und Marktzugang ermöglichen muss. Wenn das nicht möglich ist, ist die Politik aufgerufen, einen neuen Ordnungsrahmen zu schaffen.

übersetzt steht da: wir haben bisher nicht mit apple geredet, weil wir davon ausgingen, dass apple auf uns zukommt und uns mit kleinen präsenten begrüsst. schliesslich wäre das ipad ohne die verleger nie zu einem solchen erfolg geworden. wir verleger sind unfassbar wichtig für das gemeinwohl. wenn apple jetzt allerdings nicht nach unserer pfeife tanzt, lassen wir unsere anwälte und unsere lobbyisten von der kette. wohin das führt, wenn wir unseren publizistischen und politischen einfluss spielen lassen, davon kann google ja schon ein lied singen.

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vieles was apple macht, mag ich nicht. ich habe kein iphone und kein ipad, unter anderem weil mir das konzept von geschlossenen systemen unwohlsein bereitet. ich habe zwar ein macbook, fühle mich aber mit dem teil nicht eingeschlossen oder in meinen optionen nicht eingeschränkt. ich kann kommandozeilen-tools benutzen, DVDs oder CDs rippen, wenn ich wollte und alles was je ein entwickler für os x entwickelt hat installieren und ausführen. genauso wie auf meinem pre. der liess sich mit einem einfachen konami-code rooten, wenn es genügend entwickler gäbe, könnte ich all deren software auf meinem pre installieren, ohne dass palm oder jetzt HP die software erst prüfen müsste.

ich mag es, mir einbilden zu können, dass ich machen kann was ich will. ich mag es weniger, in meinen optionen eingeschränkt zu sein.