to be an arschloch or not to be an arschloch

felix schwenzel, , in wirres.net    

robert basic versuchte vor ein paar tagen den eindruck zu erwecken, dass er ein arschloch sei und will auch mal seine „miesen Seiten“ zeigen:

… glaubt Ihr, dass ich immer nur der nette, liebe tolle Schüler war? Klar habe ich Scheidungskinder in der Grundschule in die Mitte unseren “netten” Gruppe gestellt, gehänselt, bis das Gegenüber geflennt hat. Klar habe ich es sogar mal geschafft, dass eine Schülerin nie wieder in unser ach so tolles humanistisches Gymnasium zurückkehrte, weil ich ein Mobbingspacko war. Klar komme ich nicht in den Himmel, was meinen Atomteilchen herzlich egal ist. Klar habe ich gelernt, wie deppert wir Menschen zueinander sein können.
[…]
Doch eines habe ich gelernt: Man wächst, indem man den Mut und die Stärke entdeckt, auch eigene, unangenehme Seiten zu zeigen. Wem das zu wackelig ist, auch vielleicht, weil man doch nur ein beruflicher Schönwetterschlaublogger ist, der sollte die Finger davon lassen. Es gibt auch andere Wege, anstatt in der Öffentlichkeit seinen eigenen Pranger zu bauen.

schwer lesbar (basic: „Wie ich das zu bloggen pflege? Eigentlich easy: Ich rotze es heraus.“), aber sehr lobenswert das robert basic sein inneres arschloch ein bisschen herausstellt und dazu aufruft, nicht immer nur seine guten seiten darzustellen, sondern auch die dunklen.

ich habe in den paar jahren in denen ich ins internet schreibe einiges gelernt. über mich, über andere, über das öffentliche schreiben und darüber, dass es sich immer lohnt harte kritik in der sache zu üben oder streitlustig zu sein, aber noch mehr lohnt auch zu versuchen seine (vermeintlichen) gegner zu verstehen oder für ihre stärken zu schätzen (und sie dann trotzdem zu kritisieren).

das hat alles noch nichts mit „miesen Seiten“ zu tun. denn öffentliche, harte oder gar gemeine kritik muss gar nicht mit boshaftigkeit oder arschloch-sein zu tun haben. im gegenteil. kritik ist mein liebster arschlochfilter. viele leute zeigen unter kritik-druck ihr wahres gesicht, und das kann mitunter sehr freundlich oder sogar souverän sein. einige meiner erfreulichsten freundschaften sind aus phasen einseitiger oder gegenseitiger kritik (oder beschimpfungen) entstanden.

dass stärke und überlegenheit auszuspielen meistens viel mehr über einen selbst aussagt, als über den schwächeren, ist natürlich eine beinahe unerträgliche binsenweisheit. noch binsiger ist der spruch, dass sich wahre stärke erst zeigt, wenn man überlegene angreift. was aber leider nur zu einem kleinen teil stimmt, ist der glaube, schwächen zu zeigen sei ein zeichen von stärke. die eigenen schwächen und fehler oder „miesen Seiten“ zu offenbaren, kann und wird meistens strategisch oder berechnend eingesetzt. mit dieser strategie kann man mitunter pflastersteine in der hand des gegners in daunenkissen wandeln und gleichzeitig sein eigenes image stärken. schwäche zeigen ist oft nichts anderes als angeberei und imagepolitur.

über das eigene versagen zu schreiben kann aber auch eine (selbst) reinigende wirkung haben. so hat mich ein blackout bei einem wortbeitrag auf einer öffentlichen veranstaltung von der hybris, bzw. dem glauben befreit, ich könne unvorbereitet frei und flüssig vorträge halten. ganz besonders reinigend wirkt es, wenn man sich mit einer sache gemein macht und dann über das nicht vorhandene interesse an dieser sache berichtet. reinigend wirkt es auch sich geschlagen zu geben, wenn eine anderer die besseren argumente hat:

ix gebe mich geschlagen. @ hat mich per kommentar niedergerungen. polemik kann er viel subtiler & besser als ix. wirres.net/article/articl…
@diplix
felix schwenzel

(es geht um diesen kommentar von martin oetting.)

was ich sagen möchte ist natürlich, dass auch das aufzeigen der eigenen „miesen Seiten“ oft keinem anderen zweck als der selbstbeweihräucherung dient; schaut her ich bin ein arschloch, aber weil ich dazu stehe bin ich kein besonders schlimmes arschloch. und voll ehrlich.

insgesamt lohnt es sich aber nicht besonders ein arschloch zu sein. ich habe die erfahrung gemacht, dass man mit freundlichkeit und hilfsbereitschaft meistens weiter kommt. das schliesst natürlich nicht aus, anderen leuten, auch freunden, ständig ans bein zu pinkeln — wenn man einen guten grund dazu hat. das schliesst auch nicht aus, andere zu provozieren, zu ärgern und zu nerven. solange man auch beim provozieren freundlich wirkt.

* * *

  • ich hatte viele jahre meines lebens die tendenz zu arschigem verhalten. ich kann mich noch gut erinnern einen neuen insassen im kinderhort mit spiel-magneten durch das gebäude gejagt zu haben, weil ich ihm vorher mit meinem freund klargemacht hatte, dass diese magneten stark vergrössernde wirkung auf seine ohren haben würden.
  • ich habe mal ein wochenende bei freunden verbracht, ohne dass meine eltern wussten, dass ich das wochenende bei freunden verbringen würde. ich habe mit diesen freunden unter anderem grosses vergnügen dabei gehabt, in kaffeetassen zu pinkeln und den inhalt aus dem zweiten stock, mit der absicht passanten zu treffen, aus dem fenster zu kippen.
  • ich habe meine schwester, die ich oft gebabygesittet habe, regelmässig vor dem einschlafen zum weinen gebracht, weil sie dann besser und vor allem schneller einschlief (allerdings war sie auch sehr leicht zum weinen zu bringen).
  • ich habe regelmässig die stofftiere meiner schwester verprügelt (als sie eines tages ihren teddy selbst an die wand kreuzigte, habe ich damit aufgehört).
  • ich habe im zeltlager einen offensichtlich schwächeren mitbewohner mit brille so lange „gustl“ genannt, bis ihn alle gustl riefen und er auf diesen namen reagierte.
  • ich habe während des studiums meine fähigkeit entdeckt in betrunkenem zustand andere betrunkene so hinterhältig zu provozieren, dass sie sich vor publikum lächerlich machten.
  • ich habe mich wiederholt über robert basic schreibstil lustig gemacht, obwohl ich selbst vor allem legasthenisch begabt bin.
  • ich habe wiederholt [irgendeinen namen einsetzen] für sachen die er geschrieben oder gesagt hat kritisiert, obwohl ich weiss dass er sich dann stets mit seiner reaktion öffentlich lächerlich macht.
  • ich trinke nespresso-kaffee aus alu-kapseln und möchte nie mehr in meinem leben darauf verzichten.

* * *

[nachtrag 07.06.2013]

Aha @ und @ erklären ihren moralischen und menschlichen Bankrott. e13.de/2013/06/07/ars…
@Felicea
Mela Eckenfels

man kann vieles in das was ich gestern abend oben geschrieben habe reininterpretieren. so wie kiki in ihrem antworttext. ich war heute früh einigermassen überrascht, dass sich mein text als mobbing-verharmlosung oder als rumprotzerei interpretieren lässt:

Felix nutzt dann leider die Gelegenheit zu seiner eigenen Beichte der anderen Art; er protzt mit all seinen Verfehlungen die er gewillt ist zu teilen und also de facto nicht als soooo schlimm ansieht, darunter auch diverse Mobbingaktivitäten aus der Schulzeit und damit wirklich noch der letzte Trottel mitkriegt, daß das alles nur Spaß und nix zu drüber aufregen ist, zieht er die Liste noch ins Lächerliche indem er Dinge daraufsetzt wie „ich trinke Nespresso-Kaffee aus Alukapseln“.

ich fand meine distanzierung vom arschlochverhalten und handlungsempfehlung eigentlich unmissverständlich:

insgesamt lohnt es sich aber nicht besonders ein arschloch zu sein. ich habe die erfahrung gemacht, dass man mit freundlichkeit und hilfsbereitschaft meistens weiter kommt.

damit, dass meine texte interpretationsoffen sind und kiki (und die meisten ihrer kommentatoren dort) den text und meinen charakter so interpretieren wie sie es tun muss ich wohl leben. aber ich finde kiki (oder mela eckenfels oder thomas gigold oder willsagen) gehen mit ihrer interpretation etwas zu weit. ich schreibe über dinge die ich mit sechs oder zwölf jahren getan habe, also ist klar dass ich noch schlimmere „verfehlungen“ auf dem kerbholz habe? weil ich mich als kind oder jugendlicher auch mal wie ein arschloch verhalten habe, bin ich also auch selbst nie opfer gewesen, nie verletzt oder bedroht worden? wegen fehlender eindeutiger distanzierung von meinem verhalten als sechs oder zwölfjähriger und dem abschliessenden nespresso-gag verharmlose ich mobbing und ziehe die gefühle betroffener ins lächerliche? folglich bin ich jetzt genauso ein „armes würstchen“ und „arschloch“ (kikis worte) wie ich als kind und jugendlicher war? wenn es sich zwischen die zeilen projezieren lässt, muss es also stimmen?

kikis hauptindiz dafür, dass ich mobbing verharmlose und gutheisse ist der nespresso schluss-gag. nach dieser interpretation würde ich es dann auch gutheissen oder harmlos finden passanten auf den kopf zu pinkeln und das minderjährige jugendliche ohne das wissen ihrer eltern ein paar tage verschwinden und sie in sorgensuppe kochen lassen.

ein fehler von mir war sicher zu glauben, dass niemand auf die völlig absurde idee kommen würde zu denken dass ich es als (angeheirateter) vater eines 17 jährigen toll finden würde, wenn der mal ein paar tage ohne ankündigung verschwinden würde. ich habe in der tat nicht antizipiert, dass man auf die idee kommen könnte, dass ich auf köpfe pinkeln oder schwächeren angst einzujagen toll, prahlenswert oder gar empfehlenswert finden würde. ich dachte darauf hinzuweisen dass sich arschlochsein meiner erfahrung nach nicht lohnt, sei ausreichend distanzierung oder einordnung (manchen leuten treibt sogar diese formulierung die zornesröte ins gesicht).

kiki fand in einer diskussion auf facebook, dass es für sie für eine bessere einschätzung meiner armes-würstchen- und arschlochigkeit wichtig gewesen sei zu wissen, dass ich auch mal auf der „der Empfängerseite von Mobbingaktionen“ (kikis worte) gestanden habe (eines dieser erlebnisse hab ich hier mal geschildert). echt? sollte man in jedem artikel immer alles erwähnen? sollte man unter jedem artikel sagen, dass die realität immer ein bisschen komplexer und komplizierter ist, als man sie möglicherweise nach 3 oder 4 absätzen interpretiert?

hätte ich lust darauf texte zu schreiben die jedermann und jedefrau mühelos verstehen und die nicht misszuverstehen sind, würde ich wohl in einer redaktion oder bei spreeblick arbeiten. meine weigerung durchdifferenzierte erklärbären-texte zu schreiben, oder mich beim schreiben von anderen gefühlen, assoziationen oder sensibilitäten als meinen eigenen leiten zu lassen mag dann in der konsequenz dazu führen, dass mich hinz und kunz als arschloch sehen und meine moralischen und menschlichen qualitäten ferndiagnostizieren. das ist unangenehm, aber auch lustig (siehe oben, mela eckenfels oder unten, lars fischer).

wen es interessiert: die farbe einer empörungswelle ist vornehmlich schwarz/weiss und sie riecht teilweise ein bisschen nach selbstgerechtigkeit.

* * *

lars fischer fordert dazu auf, beim schreiben von blogartikeln besser auf die sensibilitäten anderer zu achten:

Was für armselige Wichser! RT: @: Lesen! e13.de/2013/06/07/ars… #Arschloecher
@Fischblog
Lars Fischer

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volker göbbels kommentiert meinen nachtrag vom 7.6.2013:

Jett spielt @ den Unverstandenen in einer Welt infantiler Leser … you just reached Armes Würstchen Level 2.
@VolkerGoebbels
Volker Göbbels

sollte ich noch weitere relevante beiträge zur mobbing-debatte oder aufforderungen zum differenzierteren und sensibleren publizieren übersehen haben, freu ich mich über hinweise.

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[nachtrag 10.06.2013]

robert basic hat, wie ich finde, gestern einen verständlichen und nachvollziehbaren artikel zum thema geschrieben, in dem er sich unter anderem fragt, wie man auf die idee kommen könnte er sei stolz auf den mist den er als kind gebaut hat. ich hatte das heute früh schon kurz mal kommen- und zitiert. patricia cammarata weist in einem wunderbar differenzierten und rationalen artikel darauf hin, dass es manchmal unangenehm ist, teil einer gemeinschaft zu sein. und sie nimmt mich öffentlich in schutz, was mich auf sehr vielen ebenen freut. gegen 14:20 uhr veröffentlichete kiki thaerigen einen artikel auf facebook den sie mit „tl;dnr: Ich bitte um Entschuldigung“ überschrieb. den artikel hat sie nur mit ihren freunden geteilt, weshalb er vielleicht nicht von allen gelesen werden kann. wegen eines technischen defekts hat die den artikel noch nicht verbloggt. auch dieser artikel freut mich auf sehr vielen ebenen.