alles nur geklaut

felix schwenzel, , in wirres.net    

ich hab mir gestern das neo magazin royale angeguckt. auf dem handy, am frühen abend.

auf dem fernseher und spät nachts, habe ich mir „late night fernsehen“ zuletzt, glaube ich, zu harald-schmidt-zeiten angesehen. das hört sich zunächst mal vollkommen egal an, zeigt aber eine ungereimtheit mit der sich alle late night shows rumplagen: sie werden spät nachts ausgestrahlt, david letterman, jimmy fallon oder jimmy kimmel zum beispiel gegen halb zwölf. im anschluss, gegen halb eins laufen dann noch later shows, wie die von craig ferguson (bis ende 2014) oder seth meyers. die shows werden aber alle am nachmittag aufgezeichnet (auch jimmy kimmel live). craig ferguson hat auch mitunter an einem tag gleich zwei shows aufgezeichnet, die dann an verschiedenen tagen versendet wurden. angesehen werden die shows dann aber nicht nur zur sendezeit, sondern dank sendungs-mediatheken, hulu, youtube oder anderer anbieter eben irgendwann.

man kann also sagen: late night talk shows sind nachmittagssendungen, die spät abends ausgestrahlt werden und irgendwann gesehen werden.

die amerikanischen late night shows dauern ungefähr eine stunde. allerdings ist jeweils ungefähr eine viertel stunde davon werbung. bleibt also jeweils ne knappe dreiviertel stunde sendezeit. die meisten late night shows sind identisch strukturiert: am anfang ein standup, in dem der moderator ein paar witze erzählt oder sich mit seinem sidekick unterhält, oft unterbrochen von kleinen einspielfilmen. danach, nach einer werbepause, ein bisschen plauderei am schreibtisch, oft mit gags oder spielchen, die nicht im stehen funktionieren, wie leserpost vorlesen oder schreiben oder kleinen inszenierungen oder sketchen. danach, wieder nach einer werbepause, der erste gast, nach einer weiteren werbepause der zweite gast, und wenn nach der letzten werbepause noch zeit ist, manchmal noch live-musik. böhmermann hat das ein bisschen gestrafft und zeigt nur ein segment mit gästen, so dass er gut mit einer halben stunde auskommt. die harald schmidt show in der ARD war zwischenzeitlich mal auf vierzig minuten angesetzt, was mir immer viel zu lang vorkam. die 30 minuten die böhmermann für seine sendung hat, kommen mir sehr adäquat vor.

das format von late night shows ist (in amerika) im prinzip total ausgelutscht. late night shows laufen seit vielen jahrzehnten im amerikanischen fernsehen, auf manchen sendern zwei pro abend, die meisten grossen networks haben eigene, pro wochentag laufen derzeit zehn bis zwanzig late night shows. jimmy carson fing mit seiner tonight show 1962 an, seitdem dürften im amerikanischen fernsehen insgesamt so um die hundertausend late night showausgaben produziert worden sein (offenlegung: ich kann nicht besonders gut rechnen, aber okay schätzen). neue late-night-formate wird man heutzutage also eher schwer erfinden können, die amerikaner dürften schon so ziemlich alles ausprobiert haben was geht. so hat auch harald schmidt, als er in SAT1 mit seiner harald schmidt show anfing, erstmal bewährtes übernommen. im prinzip war die harald schmidt show eine gekonnte kopie von david lettermans late show. harald schmidt hat das natürlich nie verheimlicht, sondern ist im gegenteil sogar darauf rumgeritten. in fast jeder sendung war der letterman gast und brachte briefe vorbei, die schmidt dann vorlas. bei böhmermann heisst der letterman jetzt beefträger. das wortspiel erklärt doris akrap in ihrer böhmermanngutfindung auf zeit online. nachdem böhmermann das „beef“ vorgelesen bekommen hat, antwortet er in der sendung natürlich auch, mit exaltierten schreibgesten, und kuschelig-romatischer musik. das wiederum erinnert mich an jimmy fallons (ebenfalls urkomische) thank you notes, hier zum beispiel an academy president cheryl boone isaacs, paddington den bär und benedict cumberbatch, dankenswerterweise mit einer grossen portion fäkalwitzeleien.

auch jan böhmermanns standup kann man als parodie auf die unzähligen grossen und kleinen vorbilder sehen. hände in den hosentaschen, mit gespielter lockerheit und plauderton ein paar vorformulierte gags raushauen, mit dem sidekick reden und am ende mit gespielter euphorie die grossartigen gäste und die tolle show ausrufen. richard weber fand das im tagesspiegel unsouverän:

Wie bei jeder Late-Night-Show kommt jetzt der Stand-Up. Tagesaktualitäten witzig präsentiert. Da zeigt sich, das Böhmermann nicht mal der ganz ganz ganz ganz kleine Bruder von Harald Schmidt ist. Eher der Bruder von Anke Engelke. Stand-Up ist nicht seine Welt. Das Gag-Niveau, höhenmäßig nicht Alpen sondern Berg & Tal. Viel Tal.

ich fand den standup ok, da habe ich schon viel schlimmeres gesehen. böhmermann mit schmidt zu vergleichen ist natürlich unfair, weil schmidt in seiner guten zeit sogar seine amerikanischen vorbilder überflügelt hat und zudem über jahrzehnte überhaupt der einzige deutsche moderator zu sein schien, der vorgefertigte gags vor einer kamera gleichzeitig witzig, lakonisch, distanziert und ungekünstelt abliefern konnte. böhmermann parodiert schmidterman einfach und ist damit auf der sicheren seite. jay lenos standups fand ich übrigens immer grässlich. jeder zweite gag fing mit „hey, have you heard about that …“ und die aufgepumpte jovialität und gute-laune-gymnastik, waren auch nach zwanzig jahren übung und routine unerträglich. böhmermann hat, wie bei fast allem was er tut, bei seinem standup den weg der metaebene gewählt. von dort oben kann man auch mal zwei, drei grottenschlechte gags machen, weil es im prinzip zitate sind. deshalb, wegen der metaebenen, konnte harald schmidt auch polen-witze machen, ohne fremdschäm-attacken zu triggern. und deshalb kann böhmermann auch blöde pädophilen-witze machen.

die einzige amerikanische late night show in der konsequent improvisiert wurde, war craig fergusons late late night show. das funktionierte allerdings auch vor allem deshalb, weil sein sidekick, ein skelett namens geoff peterson, das von josh robert thompson animiert und gesprochen wurde, teilweise noch witziger und spontaner als ferguson selbst war. und wo spontanität und improvisationsgabe fehlen, muss halt gescriptet werden, was völlig ok ist und manchmal auch besser, stringenter und unterhaltsamer. gemeinsam haben böhmermann und ferguson aber offensichtlich ihre tiefe abneigung gegenüber gesprächen mit prominenten. ferguson war stets bemüht, seine gespräche ins absurde abgleiten zu lassen und zu sehen, was passiert. auf den alten showbusiness-deal, ich erzähle ein zwei lustige geschichten und darf dafür werbung für meinen neuen film/buch/sendung machen, wollte sich ferguson nie einlassen. das führte bei nicht wenigen seiner gästen zu offen zur schau gestellter fassungslosigkeit. auf der anderen seite konnte ferguson, wenn ihn sein gegenüber wirklich interessierte, auch die grossartigsten gespräche führen, zum beispiel mit stephen fry oder ricky gervais.

wegen fergusons anarcho-gesprächsführung habe ich auch hoffnung, dass böhmermanns unfähigkeit „wenigstens einmal mit seinen Gästen ein sinnvolles Gespräch aufzubauen“, die christoph behrens in der süddeutschen diagnostizierte, eine ausbaufähige stärke und keine schwäche ist.

im sinne der überschrift hoffe ich, dass böhmermann sich weiter fleissig aus dem late-night-fundus der grossen bedient, zitiert und sich nur in ausnahmefällen von der metaebene entfernt. von mir aus kann das so weitergehen.