vielfalt, chaos, freiheit

felix schwenzel

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ich in be­geis­tert! hier könn­te der ar­ti­kel auf­hö­ren und ich bin nor­ma­ler­wei­se nach dem ers­ten aus­ru­fe­zei­chen schon er­schöpft. aber ich will dann doch, be­vor ich auf­hö­re noch ein we­nig aus­ho­len und er­klä­ren war­um. ganz weit aus­ho­len.

erst­mal: ich bin fas­zi­niert vom cha­os. von sys­te­men die ohne oder mit mi­ni­ma­ler zen­tra­ler steue­rung schöp­fe­risch oder ir­gend­wie tä­tig sind und le­ben. des­halb mag ich gross­städ­te, das in­ter­net, das blog­dings und ir­gend­wie auch die na­tur. die prot­ago­nis­ten in die­sen sys­te­men agie­ren zu­al­ler­erst ei­gen­nüt­zig und mehr oder we­ni­ger selbst­be­stimmt. trotz­dem bil­den sie, wenn es ih­nen zweck­mäs­sig oder für ihr ziel (ei­gen­nutz) hilf­reich er­scheint grup­pen, zweck­ge­mein­schaf­ten, rin­ge oder sym­bio­sen und von aus­sen be­trach­tet ein öko­sys­tem in dem al­les von­ein­an­der ab­hängt und trotz­dem, schluss­end­lich, je­der für sich al­lein steht. eine stadt, die na­tur oder das in­ter­net schei­nen auf den ers­ten blick chao­tisch und un­kon­trol­lier­bar, schaf­fen aber lau­ter ni­schen in de­nen sich vor­treff­lich le­ben lässt. die sys­te­me als gan­zes sind nicht wirk­lich kon­trol­lier­bar oder steu­er­bar, ein­zel­ne ni­schen sind aber durch­aus über­schau­bar und in ge­wis­sem mas­se auch steu­er­bar. wenn man sich mit den ni­schen, mit aus­schnit­ten be­fasst kann man sie teil­wei­se so­gar ver­ste­hen, ihre funk­ti­ons­wei­se, die ab­hän­gig­kei­ten, die ih­nen zu­grun­de lie­gen­den me­cha­nis­men.

aber um sie zu ver­ste­hen braucht man ge­duld, be­ob­ach­tungs­ga­be und -wil­len und werk­zeu­ge. werk­zeu­ge, die ei­nem hel­fen sich zu ori­en­tie­ren. werk­zeu­ge, die un­sicht­ba­res zu­ta­ge för­dern. in ei­ner stadt sind das stadt­plä­ne, stadt­ma­ga­zi­ne, kar­ten, an­de­re men­schen, also so­zia­le be­zie­hun­gen und eben er­fah­rung und be­ob­ach­tungs­ga­be, ex­pe­ri­men­tier­freu­de, neu­gier.

im in­ter­net ist das nicht an­ders. ohne such­ma­schi­nen oder ver­zeich­nis­se, emp­feh­lun­gen von an­de­ren, ge­duld, be­ob­ach­tungs­ga­be, er­fah­rung und neu­gier scheint das in­ter­net wie ein chao­ti­scher hau­fen. mit den richt­gen werk­zeu­gen aber er­kennt man struk­tu­ren, ni­schen, lernt nütz­li­ches und über­flüs­si­ges zu un­ter­schei­den, fin­det sei­nen weg und mög­lich­kei­ten teil­zu­neh­men.

ei­gent­lich ganz ein­fach und lo­gisch: men­schen brau­chen werk­zeu­ge um sich in der welt zu­recht­zu­fin­den. seit­dem ich 1994 zum ers­te­mal das in­ter­net be­trat ist das so. das ers­te was ich tat, war eine sei­te zu bau­en die nichts an­de­res aus­drü­cken woll­te als „hier bin ich“, „ich bin ich“ oder ge­nau­er: „hal­lo welt“ — frü­her nann­te man das ei­nen cla­im ab­ste­cken, da­mals nann­te man es „home­page“. das zwei­te was ich tat war ei­nen weg durch das cha­os zu fin­den und ihn zu kar­to­gra­fie­ren: link­lis­ten und ver­zeich­nis­se er­stel­len, in­for­ma­tio­nen zu bün­deln und an­de­ren zur ver­fü­gung zu stel­len. ya­hoo hat da­mals nichts an­de­res ge­tan als alle an­de­ren im in­ter­net. das cha­os kar­to­gra­fie­ren. ya­hoo hat das da­mals ein biss­chen bes­ser als alle an­de­ren ge­tan und war des­halb auch ein biss­chen er­folg­rei­cher als alle an­de­ren. ya­hoo war ein enorm nütz­li­ches werk­zeug.

erst sehr viel spä­ter ka­men such­ma­schi­nen auf. such­ma­schi­nen und ver­zeich­nis­se wa­ren von an­fang an nütz­li­che werk­zeu­ge um sich im cha­os des in­ter­nets zu­recht­zu­fin­den. nicht zu ver­ges­sen, auch schon in den neun­zi­ger jah­ren gab es un­zäh­li­ge sei­ten auf de­nen men­schen an­de­ren men­schen emp­feh­lun­gen für an­de­re web­sei­ten ga­ben. sie nann­ten sich da­mals noch nicht web­logs, son­dern „cool site of the day“, „wo­hin.heu­te.de“, „the dai­ly muse“ und was weiss ich (hab ix al­les ver­ges­sen).

wo war ich? ach­ja. werk­zeu­ge. heu­te heis­sen mei­ne werk­zeu­ge goog­le, feed­rea­der, twit­ter, fri­end­feed, tech­no­ra­ti, rankings, riv­va, blogs, usw. — sie hel­fen mir das zu fin­den was mich in­ter­es­siert oder in­ter­es­sie­ren könn­te, was ich zur ar­beit oder zum ver­gnü­gen, zum in­for­mie­ren oder zum schrei­ben brau­che.

mo­ment mal — riv­va? die­ser dienst von dem man hört, dass er nur noch blog-müll zu tage för­dert, seo-schrott und blog­pa­ra­den-kack? das ding von dem ei­ni­ge be­haup­ten. dass es mit­ver­ant­wort­lich für den an­geb­lich de­sas­trö­sen ruf des blog­dings in der „welt das draus­sen“? selbst­re­fern­zeil­le na­bel­schau, tech­nik-ge­brab­bel und aus­ge­leb­tes nerd­tum, al­les ver­seucht durch seo- und wer­be­fuz­zis?

ge­nau das ding. ich lie­be riv­va. es zeigt mir wo dis­kus­sio­nen en­ste­hen, wie sie zu­sam­men­hän­gen, wel­che the­men ge­ra­de dis­ku­tiert wer­den. das rau­schen, den schrott der dort hin und wie­der auf­taucht kann ich aus­blen­den und igno­rie­ren wie hu­pen­de au­to­fah­rer auf der stras­se oder schrei­en­de kin­der im prenz­lau­er berg. ich muss mich nicht (mehr) über je­den scheiss­hau­fen auf dem bür­ger­steig auf­re­gen, über al­les was mir nicht passt in die­ser stadt. ich blen­de be­sof­fe­ne, pro­le­ten, schmutz und ka­put­te au­to­ma­ten so­weit ich kann aus. ich mag das cha­os, den schmutz, die viel­falt — auch weil ich die­se din­ge — so­weit nö­tig — ign­ori­en kann. oder an­ders ge­sagt: nichts ist mir frem­der als die hal­tung mei­nes nach­barns in stutt­gart der manch­mal mon­tags bei mir klin­gel­te und mich wut­ent­brannt dar­auf hin­wies, dass ich mei­ne kehr­wo­che nicht er­le­digt hät­te, dass das trep­pen­haus jetzt „schmut­zig“ sei und — das war sein top-ar­gu­ment — was denn „die leu­te“ den­ken soll­ten?

was sol­len denn die leu­te den­ken?

sie sol­len den­ken was sie wol­len, so­lan­ge sie mich in ruhe las­sen mit ih­ren kru­den an­sich­ten — und vor al­lem sol­len sie mir mei­ne werk­zeu­ge, mei­ne art mich zu­recht­zu­fin­den nicht schlecht­re­den. ich mag mei­ne ni­sche und ni­schen sind nicht zum ver­tei­di­gen, son­dern zum dar­in le­ben ge­dacht.

was ich ei­gent­lich sa­gen woll­te: ich fin­de riv­va klas­se und seit heu­te, mit dem neu­en geo-ge­döns und der irre ge­nau­en und vol­len deutsch­land-blog­kar­te fin­de ich riv­va noch klas­ser. durch die blog-kar­te zu blät­tern zeigt wel­che un­ge­heu­re viel­falt an blogs in deutsch­land rum­liegt, auch wenn sie erst ei­nen klei­nen teil der blogs in riv­vas in­dex (der wie­der­rum nur ein klei­ner teil al­ler deut­schen blogs ist) zeigt.

viel­falt ist gut. sie ist ein aus­druck von frei­heit und das ge­gen­teil von re­gu­lie­rung. trotz­dem, ein biss­chen ord­nung, ein biss­chen struk­tur in die­se viel­falt zu brin­gen, mir werk­zeu­ge ein­fach so zur ver­fü­gung zu stel­len, für die­sen ver­such bin ix frank west­phal dank­bar.