politiker und so

felix schwenzel

sued­wild.de hat mir ein paar fra­gen ge­stellt und ich habe sie be­ant­wor­tet:

1. wie wür­dest du den ty­pi­schen blog­ger be­schrei­ben?

ty­pisch an blog­gern ist vor­nehm­lich, dass sie nicht ty­pisch sind. blog­ger sind ge­nau­so he­te­ro­gen wie die men­schen auf ei­nem markt­platz. je­der kann blog­gen. wie und war­um sie das tun ist nicht auf ei­nen nen­ner zu brin­gen. kurz: blog­ger sind ein enorm he­te­ro­ge­ner hau­fen.

2. was un­ter­schei­det ihn vom ty­pi­schen po­li­ti­ker?

der un­ter­schied zwi­schen blog­gern und po­li­ti­kern ist in etwa ver­gleich­bar mit dem un­ter­schied zwi­schen wäh­lern und po­li­ti­kern. bei­de teil­men­gen über­schnei­den sich mit­un­ter, un­ter­schei­den sich aber auch an vie­len stel­len. des­halb wür­de ich lie­ber die fra­ge be­ant­wor­ten, wel­che mo­ti­ve po­li­ti­ker ha­ben, zu blog­gen, zu twit­tern oder — all­ge­mei­ner — das in­ter­net zu nut­zen. da ist die ant­wort näm­lich re­la­tiv ein­fach: po­li­ti­ker nut­zen das in­ter­net mei­nem ein­druck nach eher um wahl­kampf zu ma­chen als zu kom­mu­ni­zie­ren. so wie man schau­spie­ler in talk­shows nur dann sieht, wenn sie ge­ra­de für et­was wer­bung ma­chen kön­nen, sieht man po­li­ti­ker eher auf dem markt­platz oder im in­ter­net, wenn sie ge­ra­de wahl­kampf ma­chen. an­de­rer­seits: po­li­ti­ker ma­chen ja ei­gent­lich im­mer wahl­kampf.

3. soll­ten po­li­ti­ker ih­ren wahl­kampf in blogs, bei twit­ter, you­tube & Co füh­ren?

na klar. po­li­ti­ker soll­ten wahl­kampf dort füh­ren, wo sie die men­schen er­rei­chen. ob das nun auf markt­plät­zen, im fern­se­her, auf you­tube, twit­ter oder auf ab­ge­ord­ne­ten­watch.de statt­fin­det ist nicht das ent­schei­den­de. ent­schei­dend ist nach mei­nem po­li­tik­ver­ständ­nis, dass sie glaub­haft ver­ständ­lich ma­chen, für was sie ste­hen, was sie vor­ha­ben und dass sie für ihre ent­schei­dun­gen öf­fent­lich rede und ant­wort ste­hen und ver­ant­wor­tung über­neh­men.

4. Glaub­wür­dig­keit von Po­li­ti­kern: Steigt oder sinkt sie im Web?

rein theor­he­tisch ist das in­ter­net ein pri­ma werk­zeug um sich zu pro­fi­lie­ren, schwie­ri­ge sach­ver­hal­te und ent­schei­dungs­pro­zes­se trans­pa­rent dar­zu­stel­len und gros­se men­schen­mas­sen zu er­rei­chen. so, wie das im prin­zip, bei al­len mas­sen­me­di­en der fall ist. ein un­ter­schied zu klas­si­schen mas­sen­me­di­en ist al­ler­dings, dass man im web mit re­la­tiv ge­rin­gem auf­wand gros­se men­schen­mas­sen di­rekt und un­ge­fil­tert er­rei­chen kann. das ist ei­ner­seits eine gros­se chan­ce um un­fass­bar vie­le men­schen zu er­rei­chen und zu über­zeu­gen, an­de­rer­seits wird die­se chan­ce meist nur dazu ge­nutzt, um un­fass­bar vie­le men­schen un­glaub­lich zu lang­wei­len und in ih­rem vor­ur­teil zu be­stär­ken, dass po­li­ti­ker von ei­nem an­de­ren stern sind.

ob al­ler­dings ein po­li­ti­ker nun im fern­se­hen blöd­sinn re­det, in ei­nem in­ter­view un­glaub­wür­di­ges, un­ver­ständ­li­ches oder pein­li­ches zeug von sich gibt, ist un­term strich ja ei­gent­lich egal. an­de­rer­seits ist ein tweet oder ein blog­ein­trag, der im ei­fer des ge­fechts ver­öf­fent­licht wur­de, nicht so leicht zu­rück­zu­zie­hen wie das bei ei­nem in­ter­view zu ma­chen ist. bei klas­si­schen in­ter­views kann man durch sei­nen mit­ar­bei­ter­stab bei der au­to­ri­sier­sie­rung alle spit­zen raus­neh­men las­sen, spä­ter al­les auf „miss­ver­ständ­nis­se“ schie­ben und leug­nen oder sich aus dem zu­sam­men­hang zi­tiert se­hen. ein­mal ins in­ter­net ge­schrie­be­nes je­doch bleibt dort in der re­gel lan­ge er­hal­ten, selbst wenn es gleich ge­löscht wie­der ge­löscht wird. sie­he dazu bei­spiels­wei­se die­ses klei­ne tsg-miss­ge­schick.

kurz: die glaub­wür­dig­keit von po­li­ti­kern hängt nicht vom me­di­um ab, über dass kom­mu­ni­ziert wird, son­dern vor al­lem da­von, wie glaub­wür­dig dies ge­schieht. es ist aber durch­aus mög­lich, dass sich po­li­ti­ker in ei­nem für sie neu­en me­di­um so un­be­hol­fen be­we­gen, dass sie sich da­mit bla­mie­ren.

5. ge­hen po­li­ti­sche in­hal­te beim wahl­kampf im web ver­lo­ren?

ich glau­be, po­li­ti­sche in­hal­te ge­hen im wahl­kampf so­wie­so ver­lo­ren. oder an­ders ge­sagt: po­li­ti­sche in­hal­te wer­den seit je­her im wahl­kampf auf wort­hül­sen, knap­pe sprü­che und lee­re for­meln re­du­ziert.
die fra­ge könn­te aber auch lau­ten, ob durch das fern­se­hen po­li­ti­sche in­hal­te ver­lo­ren gin­gen und durch die kon­zen­tra­ti­on auf die ver­meint­li­che per­sön­lich­keit, die aus­strah­lung, das cha­ris­ma oder den teint nicht be­reits al­les sub­stan­zi­el­le aus der po­li­tik ent­weicht. im web zu­min­dest ist das po­ten­zi­al vor­han­den, dass wie­der po­li­ti­sche in­hal­te in den vor­der­grund ge­rückt wer­den und sich ech­te dia­lo­ge ent­wi­ckeln. ob die­se po­ten­zia­le al­ler­dings ge­nutzt wer­den ist, wie ge­sagt, we­ni­ger eine fra­ge des me­di­ums, als des wahl­kampf- oder po­li­ti­schen stils.

6. wahl­kampf im web als zu­kunft?

das in­ter­net ist si­cher­lich ei­nes der wich­ti­gen mas­sen­me­di­en der zu­kunft. des­halb wird sich kein po­li­ti­ker, der eine brei­te mas­se von men­schen er­rei­chen möch­te, leis­ten kön­nen, dem in­ter­net fern zu blei­ben.

7. ist oba­ma eine aus­nah­me? gibt es eine ver­gleich­ba­re per­son in deutsch­land?

oba­ma ist si­cher­lich eine aus­nah­me. al­ler­dings nicht nur des­halb, weil er frü­her und vor al­lem bes­ser als sei­ne kon­kur­ren­ten be­grif­fen hat, dass man sich im in­ter­net nicht nur wahl­kampf­spen­den be­sor­gen kann, son­dern auch sei­ne wahl­kampf­hel­fer bes­ser und ef­fek­ti­ver als je zu­vor bei ei­nem wahl­kampf or­ga­ni­sie­ren kann. er hat an­ders als mc­cain be­grif­fen, dass er im netz mehr men­schen di­rekt er­rei­chen kann als mit klas­si­schen „dia­log­me­di­en“ (post­wurf­sen­dun­gen, au­to­ma­ti­sier­te oder durch call­cen­ter durch­ge­führ­te te­le­fon­an­ru­fe), dass er ein­sei­ti­ge me­di­en­be­rich­te und kam­pa­gnen im netz ein­fa­cher ab­fe­dern konn­te als durch die klas­si­schen mas­sen­me­di­en und vor al­lem hat er er­kannt, dass man im in­ter­net tol­le fo­tos und fil­me von sich selbst ver­öf­fent­li­chen kann. nur: ohne oba­mas fä­hig­keit men­schen zu be­ein­dru­cken, zu eu­pho­ri­sie­ren und dazu zu in­spi­rie­ren, sich für ihn ein­zu­set­zen, ohne sei­ne fä­hig­keit sich glaub­wür­dig dar­zu­stel­len und vor al­lem ohne sein un­glaub­lich pro­fes­sio­nell und dis­zi­pli­niert or­ga­ni­sier­tes und agie­ren­des wahl­kampf­team, hät­te ihm das gan­ze in­ter­net-web2.0-brim­bo­ri­um auch nichts ge­hol­fen.

po­li­ti­kern die sich (heim­lich) als kom­men­den oba­ma se­hen, nur weil sie twit­tern, eine ei­ge­ne home­page mit ab­ge­run­de­ten ecken ha­ben oder „yes we can“ sa­gen kön­nen, wür­de ich sa­gen: wenn man ei­nen weis­sen kit­tel und gum­mi­hand­schu­he an­zieht ist man noch lan­ge kein chir­urg.

ob­wohl wil­li brandt be­reits tot ist, glau­be ich, dass es in deutsch­land min­des­tens eine ver­gleich­ba­re per­son gibt. da bin ich ganz si­cher. nur hat sie bis­her kei­ner ge­fun­den. die­se per­son müss­te vie­le ei­gen­schaf­ten in sich ver­ei­nen, mit de­nen sich po­li­ti­ker der­zeit eher schwer tun. hu­mor zum bei­spiel oder die fä­hig­keit sich über sich selbst lus­tig zu ma­chen [sie­he ba­rack oba­mas auf­tritt bei jay leno oder da­vid let­ter­man] oder die fä­hig­keit nicht nur zu re­den, son­dern zur ab­wechs­lung auch et­was zu sa­gen.

8. was hälst du von durch­ge­plan­ten wahl­kampf-stra­te­gien im netz, be­son­ders in „web 2.0“-an­wen­dun­gen (so wie oba­mas wahl­kampf)?

ich habe es ja oben schon an­ge­deu­tet. wer glaubt, ein­fach die werk­zeu­ge von oba­ma zu be­nut­zen ohne sie auch nur an­satz­wei­se ver­stan­den zu ha­ben, wird den er­folg von oba­ma nicht wie­der­ho­len kön­nen und sich eine blu­ti­ge nase ho­len. zu­mal der ame­ri­ka­ni­sche wahl­kampf schwer mit dem deut­schen zu ver­glei­chen ist und es sehr frag­lich ist, ob man mit ame­ri­ka­ni­schen wahl­kampf­stra­te­gien in deutsch­land er­folg ha­ben wird.

an­de­rer­seits ist es na­tür­lich toll, wenn deut­sche po­li­ti­ker das po­ten­ti­al des in­ter­nets er­ken­nen und sich da­mit aus­ein­an­der­set­zen. wenn sie dann er­ken­nen, dass das in­ter­net nicht nur für por­no­gra­fie, ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen oder na­zi­pro­pa­gan­da ge­nutzt wird. je mehr sich po­li­ti­ker mit dem in­ter­net be­schäf­ti­gen, des­to we­ni­ger po­li­ti­ker wer­den sich künf­tig ihre emails noch aus­dru­cken las­sen, PDF-da­tei­en fa­xen oder ver­su­chen das in­ter­net „sper­ren“ zu las­sen.

und ge­gen ei­nen pro­fes­sio­nell or­ga­ni­sier­ten wahl­kampf, eine über­zeu­gend um­ge­setz­te wahl­kampf-stra­te­gie, zur not auch mit web 2.0-ge­döns ist auch nichts ein­zu­wen­den. im ge­gen­teil, ich wäre be­geis­tert. doch selbst wenn die par­tei­en es schaf­fen soll­ten, im netz gute ar­beit zu leis­ten (was ich stark be­zweif­le), gibt es noch ein an­de­res, viel grös­se­res pro­blem: der gross­teil des po­li­ti­schen es­tab­lish­ments, quer durch alle par­tei­en, hat in den letz­ten jah­ren und mo­na­ten je­den fun­ken glaub­wür­dig­keit, kom­pen­tenz und sym­pa­thie beim wäh­ler ver­spielt – fast ganz ohne web 2.0 und in­ter­net.

[das in­ter­view kann man jetzt auch auf sued­wild.de le­sen, kräf­tig of­fent­lich-recht­lich re­di­giert (dan­ke!) und mit gross- und klein­schrei­bung.]