gute gründe

felix schwenzel, , in wirres.net    

es gibt immer vermeintlich gute gründe böses zu tun:

  • rock and roll musik verbieten, um die jugend zu schützen.
  • nutella mit dem finger essen, um hungerattacken zu bekämpfen.
  • musikfans in grund und boden klagen, um „die kreativen“ zu schützen.
  • anti-personen-minen bauen, um deutsche arbeitsplätze zu schaffen.
  • atombomben über zwei japanischen städten abwerfen um einen krieg zu beenden.
  • belgrad bombardieren, um die serben davon abzubringen, albaner zu vertreiben und das Kosovo „ethnisch zu säubern“.
  • einen korrupten und folternden monarchen zu unterstützen und eine demokratisch gewählte regierung zu stürzen, um für stabilität im nahen osten zu sorgen.
  • terror-verdächtige foltern, um menschen zu retten.
  • zur denunziation aufrufen, um die nation zu retten.

und so dienen auch die rasterfahndung, das BKA-gesetz, die vorratsdatenspeicherung, der grosse lauschangriff, der „bundestrojaner“ oder der biometrische reisepass vordergründig etwas gutem, nämlich der „sicherheit“ aller bürger. es werden bürgerrechte eingeschränkt, um den eindruck zu erwecken den terrorismus entschlossen zu bekämpfen und jetzt wird eine zensurinfrastruktur aufgebaut, um den eindruck zu erwecken, etwas gegen kindesmissbrauch zu tun.

sprüche wie „datenschutz darf kein täterschutz sein“ und „das internet ist eben kein rechtsfreier raum“, die ich unlängst in der emma las [via], sind deshalb so gefährlich, weil sie suggestiv, hysterisch und unverhältnismässig sind. sie stellen ein vermeintlich grösseres wohl über die die rechte der einzelnen. eine vermeintlich „gute sache“ über die würde, die freiheit und die rechte der menschen zu stellen, ist fast immer ein kristallklares zeichen dafür, dass etwas nicht in ordnung ist und dass derjenige der soetwas fordert, zur selbstgerechtigkeit neigt.

datenschutz ist kein täterschutz, sondern ein bürgerrecht. so wie ein ordentliches gerichtsverfahren kein täterschutz ist, sondern ein verbrieftes bürgerrecht, das — soweit ich weiss — selbst die CDU-muttis und „bild“-zeitungs-freundInnen der emma nicht in frage stellen.

das internet ist kein rechtfreier raum, genausowenig wie es die emma ist. eine straftat ist und bleibt dieselbe, ob sie auf papier, in einer stadt oder im internet begangen wird und sie wird entsprechend geahndet.

die frage ist: sind wir bereit, die rechte aller menschen zu schwächen, um einige wenige straftäter einfacher, mit kürzeren prozessen oder einfacheren polizeilichen ermittlungen zu fall zu bringen? natürlich würde es unzählige kinder schützen, alle pädophilen einfach ohne prozess lebenslang einzuschliessen oder gleich zu erschiessen, aber möchte jemand in einer gesellschaft leben, in der das BKA bestimmt wer straftäter oder kinderschänder ist? oder wollen wir in einem staat leben, in dem sogar kinderschänder einen fairen prozess bekommen, in dem gerichte entscheiden was kriminell und verboten ist, statt einer polizeibehörde? möchten wir in einem staat leben, in dem das BKA entscheiden darf, was die bürger sehen und lesen dürfen und nicht die gerichte?

natürlich ist es einfacher täter zu fassen, wenn niemand geheimnisse oder eine privatshäre hat (und nichts zu verbergen hat). aber wollen wir in einem staat leben, in dem das BKA alles über die intimshäre von freaks wie alice schwarzer weiss?

so wie die frauenbewegung einmal zu recht formulierte, „mein bauch gehört mir“, gehören meine daten mir. „informationelle selbstbestimmung“ ist ein scheiss-wort, aber ein zentrales grundrecht — nicht aus einer laune heraus oder weil internetcommunitybenutzer besonders anarchisch veranlagt sind, sondern weil bürgerrechte die essenz unseres staates und unserer gemeinschaft sind. ja, noch immer. es geht nicht um freifahrscheine oder rechtsfreiheit, es geht um den schutz jedes einzelnen vor dem zugriff des staates — und um rechtsstaatlichkeit.

ich habe es schonmal aufgesagt und es bleibt richtig:

ja, das grundgesetz spricht von einem grundrecht auf freiheit und sicherheit. damit begründeten die letzten beiden innenminister immer wieder ihre initiativen zur stärkung des staates. allerdings ist damit eine ganz andere sicherheit gemeint als die die schily und schäuble im sinn haben. das grundgesetz meint die sicherheit der bürger vor dem staat. gesetze, die regeln denen wir uns unterwerfen sind in erster linie zum schutz der bürger vor dem staat gedacht! es wird höchste zeit, dass wir dem staat ein wenig luft ablassen und uns unsere rechte wiederholen. der staat ist kein selbstzweck, er braucht schranken. starke schranken.

frei nach benjamin franklin: politiker die uns nicht vor dem staat schützen wollen oder können, haben es nicht verdient gewählt zu werden. [original: „Those Who Sacrifice Liberty For Security Deserve Neither.“]

[eigentlich habe ich den artikel angefangen zu schreiben, als ich (via twiter) im wall street journal und bei der BBC las, dass siemens-nokia technologie für eine zensurinfrastruktur an den iran verkauft hat. siemens-nokia widerspricht diesen berichten zwar, irgendwie, aber denjenigen die nicht erkennen, dass zensurmassnahmen, mit welchem guten zweck auch immer begründet, ein grösseres übel sind, wollte ich zumindest das bejamin franklin zitat entgegenhalten.]

[nachtrag 23.06.2009]
die CDU hat wirklich „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“ in ihr wahlprogramm geschrieben.