qualitätsheulsusenismus

felix schwenzel, , in wirres.net    

in einem unfassbar selbstmitleidigen artikel auf spiegel online schreibt frank patalong, dass die weigerung von „immer mehr“ konsumenten von „online-medien“ sowohl für inhalte zu bezahlen, als auch werbung zu „akzeptieren“, „den Fortbestand kostenloser Angebote im Netz“ gefährde.

er behauptet:

Der inzwischen 16 Jahre alte Deal zwischen Online-Medien und Mediennutzern lautet eigentlich so: Wir liefern Ihnen kostenfrei Inhalte, und Sie sehen sich dafür im Umfeld Werbung an.

ich hab von dem deal noch nichts gehört. ich glaube frank patalong verwechselt da was. er verwechselt toleranz mit zustimmung. der deal lautet anders: solange die werbung auf online-medien nicht nervt oder versucht die nutzer zu täuschen, tolerieren „mediennutzer“ werbung. vor allem frage ich mich, wie patalong darauf kommt, er hätte einen deal mit spiegel-online lesern, der dazu führt, dass sich die leser die werbung „ansehen“ würden? in was für einer welt lebt patalong?

glaubt patalong vielleicht auch, dass ich während ich auf die bahn oder den bus warte, fleissig die werbung an der haltestelle studiere, weil die werbung ja schliesslich die pflege der haltestelle finanziert? hab ich auch einen deal mit jc deceaux oder wall?
glaubt er auch, dass fernsehzuschauer einen deal mit dem privatsendern haben und in den werbepausen sitzenbleiben und während des hauptfilms pinkeln gehen um den fortbestand des privatfernsehens nicht zu gefährden?

ich will ja nicht ungerecht sein. vielleicht glaubt und lebt patalong ja wirklich den quatsch den er schreibt und trifft sich abends mit seinen kumpels an litfasssäulen oder plakaten, um werbung zu betrachten und zu diskutieren und seinen deal mit der deutschen volkswirschaft einzuhalten. vielleicht erklärt er seinen kindern tatsächlich, dass sie die fernsehwerbung immer ganz genau betrachten müssten, weil sie sonst den fortbestand des (privaten) kinderfernsehens gefährdeten.

aber mal im ernst. wenn es überhaupt einen deal gibt lautet der wie folgt:

wen du willst dass deine leser dich ernstnehmen und unterstützen, musst du sie auch ernst nehmen.

ein einfacher satz, der aber ein paar konsequenzen nach sich zieht.

  • aufrichtigkeit. lesern werbung unterzuschmuggeln, sie nicht ordentlich zu kennzeichnen suggeriert dem leser, dass er verarscht werden soll. das schlimmste beispiel für unaufrichtigkeit sind postwurfsendungen von grossen verlagen, in denen behauptet wird „ihre meinung ist uns wichtig“, es aber eigentlich darum geht, die leser in eine mindestens einjährige abo-falle zu locken. das geht soweit, dass die verleger gegen verbraucherschutz-gesetze, die den adresshandel eindämmen sollten, vorgehen und jammern, damit würde ihre geschäftsgrundlage zerstört. leserverarschung als geschäftsgrundlage: doofe idee.
  • benutzerfreundlichkeit. ich sag ja immer, wer ficken will muss freundlich sein. oder anders gesagt, wer benutzerunfreundlich zu seinen lesern ist, nimmt ihn nicht ernst. ich persönlich finde es ziemlich unfreundlich längere artikel zum klickschinden auf mehrere seiten oder eigentümliche bildergalerien zu verteilen. oder RSS-feeds zu kürzen.
  • mass halten. wenn ich einen text lesen will, aber gleichzeitig 10 flash-anzeigen laden muss, die meinen laptop und meine leitung aufheizen hab ich das gefühl, dass jemand meine grenzen und geduld ausreizen will oder mich nerven will. was ich nicht habe, ist das gefühl ernst genommen zu werden.
  • transparenz. transparenz sehen verleger meist sehr einseitig. sie möchten gerne jedes detail ihrer leser erfahren, machen umfragen, setzen cookies und analyse-software ein, dass es kracht. umgekehrt, wenn es um umsätze, einnahmen, profite oder ihre geschäftsgrundlage geht, sind sie meist ziemlich verschwiegen. auch patalong argumentiert mit gezinkten (oder zumindest faulen) argumenten.

das jämmerlich an patalongs text ist ja nicht die forderung nach einem deal zwischen produzenten und konsumenten, sondern die einseitigkeit seiner forderungen. er fragt fordernd:

Wann schalten Sie Ihren Werbeblocker ab?

fragt aber nicht: was können wir besser machen? wie können wir uns verändern? schuld haben, wie immer, die anderen. statt darüber zu klagen, dass „42 Prozent der weltweiten Online-Werbeumsätze fließen allein Google“ zufliessen, könnte er ja auch mal fragen warum das so ist. vielleicht ist ein grund dafür, dass die werbung bei google nicht nervt. erstaunlicherweise zeigen meine adblock-plugin-optionen folgendes an:

adblock optionen
adblock bietet mir die möglichkeit text-anzeigen explizit anzuzeigen.

erstaunlich, oder?

andere haben zu diesem thema bereits viel klügeres als ich (oder patalong) geschrieben. giesbert damaschke beispielsweise bereits vor 11 jahren, auch auf spiegel online. oder maurice sand, vor einem tag, der patalongs pseudo-argumente auseinandernimmt. mehr dazu auch auf rivva.

* * *

ich glaube ja, dass es der falsche weg ist, die frage danach, wie man im internet geld verdienen könnte, mit der suche nach schuldigen zu beantworten (adblocker, werbekrise, renitente leser). die frage ist ja durchaus brennend und wird beispielsweise auch von leuten gestellt, die sich sorgen um ihre ganz persönliche zukunft machen. und die art wie jens weinreich die frage stellt und antworten sucht, finde ich persönlich ungefähr achthundert mal sympathischer als die von patalong. jens weinreich schreibt:

Wie lässt sich Qualitätsjournalismus finanzieren?
Antworten darauf muss jeder selber finden. Oder sich einen anderen Job suchen.

das ist der entscheidende punkt. wer leser beschuldigt an der misere des qualitätsjournalismus schuld zu sein, hat ungefähr gar nichts verstanden (oder mag nicht zugeben, dass er selbst auf dem schlauch steht). ich kenne auch keine lösung. aber von einem bin ich fest überzeugt: geld verdienen im internet geht nicht gegen die leser, sondern nur mit ihnen. und ich bin der festen überzeugung, dass leser bereit sind sich finanziell zu beteiligen, wenn man sie ernstnimmt, offen, ehrlich und transparent erklärt für was man geld braucht — und es ihnen leicht macht geld oder aufmerksamkeit zu geben.