„geistiges eigentum“ als kampfbegriff

felix schwenzel, , in wirres.net    

ich mag den begriff des geistigen eigentums nicht. ein grund dafür ist, dass er die vielen aspekte die eine schöpfung hat auf den aspekt der verwertung reduziert, also auf den aspekt, der aus einer schöpfung geld macht. wenn ich ein buch von hermann hesse lese, nehme ich die ideen in diesem buch vollkommen in mich auf. so ist mir das vor 20 oder 25 jahren mehrfach passiert (weil ich damals mehrere bücher von ihm las). die gedanken von hermann hesse habe ich beim lesen verinnerlicht und trage sie seitdem in mir herum. und ich gebe sie fleissig weiter, sie sind teil von mir. die frage nach dem eigentum von ideen, schöpfungen, gedanken stellt sich hier erstmal gar nicht, im gegenteil. gedanken, schöpfungen, wissen, ideen können nur leben, wenn sie geteilt werden, wenn sie (weiter) erzählt werden, wenn sie verstanden oder angeeignet werden können. ich sortiere die ideen von hermann hesse im geiste nicht in schubladen ein auf denen hermann hesse steht, ich mache damit, im wahrsten sinne des wortes, was ich will.

eigentum lebt davon, dass man es für sich behält. ideen, geschichten, schöpfungen leben davon, dass man sie weggibt. anders funktioniert eigentum nicht, aber anders funktioniert kultur auch nicht. oder um eine idee von erich fromm aufzugreifen, es geht um haben oder sein.

wenn wir aber nur die haben-seite von ideen oder schöpfungen betonen, indem wir schöpfungen als geistiges eigentum bezeichnen und so einer art neo-materialismus fröhnen, verlieren wir unseren idealismus und damit unsere fähigkeit kultur zu schätzen und zu schaffen.

das mag sich pathetisch anhören, aber wie pathetisch der begriff des „geistigen eigentums“ an sich ist, erkennt man wenn man sich vorstellt, dass ein schüler der in einer mathearbeit abschreibt und von seinem lehrer der ihn dabei erwischt, des diebstahls geistigen eigentums bezichtigt wird. reicht es nicht die tat des schülers als betrug zu bezeichnen, als unfairness, als unfein oder meinetwegen charakterlos oder faul zu bezeichnen? mir fallen enorm viele adjektive ein um abschreiben oder pfuschen verbal zu verurteilen, aber „diebstahl geistigen eigentums“ fiele mir nicht im traum ein.

der journalistin sonja volkmann-schluck fällt das wort in einem interview und einer vergleichbaren situation hingegen ein. bei ihr hat karl-theodor zu guttenberg abgeschrieben und sie sagt im spiegel:

SPIEGEL ONLINE: Die Behörde begründet das Ende der Ermittlungen damit, dass der wirtschaftliche Schaden der Urheber, also Ihrer, nur marginal sei.

Volkmann-Schluck: Diese übermäßige Gewichtung wirtschaftlicher Aspekte halte ich für falsch. In der Wissenschaft geht es meist nicht um ökonomische Belange, sondern um den Schutz geistigen Eigentums und auch um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Urheber. Guttenberg hat nach den Recherchen von Guttenplag etwa acht Prozent seiner Arbeit von mir übernommen. Auf 56 Seiten finden sich demnach meine Textstellen, darunter Teile meiner Gliederung und Schlussfolgerungen. Ich fühle mich auch ohne hohen wirtschaftlichen Schaden ausgebeutet und bestohlen.

dass das quatsch ist hat der surfguard bereits sehr schlüssig erklärt:

Das sogenannte „geistige Eigentum“ anderer zu zitieren ist in der Wissenschaft nämlich nicht nur erlaubt, es ist heutzutage sogar regelmäßig unabdingbar, um Wissenschaft überhaupt betreiben zu können. Es kann und muss ja nicht jede Veröffentlichung ein Solitär zur Elektrodynamik bewegter Körper sein.

statt die mumpitzworte „geistiges eigentum“ und „diebstahl“ zu benutzen, hätte sonja volkmann-schluck auch einfach ross und reiter benennen können, nämlich dass guttenberg gelogen und betrogen hätte, weil er abgeschrieben hat (was OK ist) aber die quelle nicht angegben hat (was nicht OK ist). absurderweise sagt sie selbst, dass sie die „übermäßige Gewichtung wirtschaftlicher Aspekte“ für falsch hält, benutzt dann aber ein neo-materialistisches BWL- und verwerter-vokabular.

noch absurder wird ihre ausdrucksweise, wenn man ihre behauptungen zuende denkt: sie fühlt sich durch die weggelassene quellenangabe „ausgebeutet und bestohlen“. demnach wäre die angemessene bezahlung für geistiges eigentum also attributierung. hätte guttenberg sie als quelle angegeben, fühlte sie sich jetzt nicht „ausgebeutet und bestohlen“.

nur darum geht es den leuten, die den kapfbegriff des „geistigen eigentums“ geprägt haben ja gerade nicht. leute die diesen begriff benutzen meinen immer die verwertung, also die monetarisierung — nicht die attributierung.

oder nochmal anders gesagt: wenn ich ein MP3 des neuesten eminem-songs in mein blog stelle und als quellenangabe „aktuelles eminem-album“ hinzufüge, fühlen sich eminem und seine plattenfirma dann nicht „ausgebeutet und bestohlen“? im gegenteil. dann fühlen sie sich auch noch verhöhnt, mahnen mich ab und bezichtigen mich erst recht des diebstahls. nämlich des diebstahls einer weiteren chance den eminem-song zu verwerten, zu geld zu machen.

malte lehming schrieb heute im tagesspiegel:

Sicher, da ist die Sache mit dem Plagiat. Das allein aber kann es kaum sein. Würde dem Volk der Dichter und Denker tatsächlich so viel am Wert des geistigen Eigentums liegen, wie es in diesem Fall behauptet, hätte der Erfolg der Piratenpartei zum nationalen Aufstand führen müssen. Denn für Piraten ist „geistiges Eigentum“ nur ein „Kampfbegriff der Verwertungsindustrie“. Jeder greife immer auf Vorhandenes zurück, sagen sie, die Schöpfungsidee sei eine Illusion, jedes Werk ein kulturelles Gemeingut.

natürlich ist der begriff des „geistigen eigentums“ ein „Kampfbegriff der Verwertungsindustrie“, der verschleiern soll, dass es nicht um den schutz von schöfpungen geht, sondern um deren verwertung. es hört sich eben für flachdenkende journalisten weniger sexy an von „verwertungsrechten“ als von „geistigem eigentum“ zu sprechen.

wie daneben lehming liegt und was er alles zu einer bunten unheberrechtssuppe durcheinanderwürfelt, zeigt sich auch daran, dass der begriff des plagiats im urheberrecht gar nicht vorkommt.

das urheberrecht ist offenbar viel zu kompliziert um von einfachen journalistenhirnen erfasst zu werden — was den vorteil hat, dass sie dann umso standfestere meinungen vertreten können, sich nonchalant über politische bemühungen das urheberrecht verständlicher zu machen lustig machen können, ohne dabei rot zu werden vor scham über ihre eigene beschränktheit. ehrlichgesagt ist das urheberrecht auch für kleine bloggergehirne zu kompliziert — eigentlich für jeden normalen menschen — ausser juristen.

was ich aber eigentlich sagen wollte: ich finde der begriff des „geistigen eigentums“ hat die nominierung zum unwort des jahrzehnts verdient. und wer so denkfaul und gedankenlos ist, mit dem kampfbegriff „geistiges eigentum“ herumzujonglierien, der muss mit der gefahr leben können, dass ich ihn für doof halte.