leidenschaftslos bis zum umfallen

felix schwenzel, , in wirres.net    

gestern war ix auf dem media coffee dings von news aktuell in berlin. das thema sollte angeblich lauten „Von der Edelfeder zum Contentlieferanten? - Printmedien im Wandel“. doch davon war eigentlich kaum die rede. was man auf dem podium sah und hörte waren beschwörungsformeln, ratlosigkeit und ein bisschen grossmannssucht.

media coffee berlin podium

auf dem podium sassen von links nach rechts stefan niggemeier, die ehemalige edelfeder der sz und der faz die jetzt so sachen im internet macht, holger stark, der büroleiter des spiegels in berlin der sich selbst vor allem als „rechercheur“ und „reporter“ sieht, ursula weidenfeld, stellvertretende chefredakteurin des tagesspiegels die klug genug ist ihre ratlosigkeit gegenüber den digitalen medien offen zuzugeben, christian jakubetz, der die veranstaltung mit fragen am leben zu erhalten versuchte, von den veranstaltern als moderator bezeichnet wurde und irgendwas an der deutschen journalistenschule in münchen macht und reiner metzger, der knuffige stellvertretende chefredakteur der taz der für bascha mika einsprang. bascha mika hatte offenbar keinen bock zu diskutieren, wobei ihre furcht unbegründet war, es wurde nämlich eh nur geplaudert. ganz rechts sass frank thomsen, der chefredakteur von stern.de der verzweifelt versuchte die rolle des agent provokateurs und obercheckers zu spielen.

ursula weidenfeld fand, dass gedruckte tageszeitungen durchaus noch potenziale haben, sie sei von print genauso begeistert wie von online. sie war hin und weg vom gerelaunchten tagesspiegel.de, vor allem weil der jetzt viel mehr aussehe wie ne gedruckte zeitung. bei online sei sie aber völlig überfordert, sie und ihre kollegen seien da plötzlich wieder auf der stufe von volontären. ursula weidenfeld und frank thomsen von stern.de empörten sich beide gehörig darüber, wieviel macht die technik und die techniker bei diesem ganzen online-gedöns hätten. da gebe es kaum eingehaltene deadlines, vorgaben würden aus technischen gründen nicht eingehalten, nix funktioniere so wie man das wolle. thomsen, hatte man den eindruck, findet das zum kotzen. reiner metzger stimmte in den klagegesang ein, es gebe einfach keine online redaktions-systeme die man einfach nehmen könnte und die funktionierten. stefan niggemeier sagte er mache genau die gegenteilige erfahrung: man nimmt sich einfach wordpress, bügelt das auf seinen server und legt los, schreibt, bindet videos ein, bilder. jaja, meinte metzger, die taz-blogs einzurchten das sei einfach gewesen, aber das redaktionssytem, der relaunch seien ein alptraum geworden.

nachdem man über die technik gejammmert hatte, fing man an über die kosten zu jammern. was das alles kosten würde, zumal man online ja derzeit viel weniger als mit print verdiene. eigene video-inhalte zu produzieren komme beispielsweise für die taz gar nicht in frage. zu teuer, zu aufwendig und wenn man video mache, dann wolle man das schon so richtig professionell machen und nicht rumdiletieren. ausserdem gebe es für sowas ja schliesslich „fernsehanstalten“. urks. ich musste mir nach dieser aussage vorstellen wie die gründer der taz 1978 zusammensassen und überlegten ne zeitung zu gründen und danach wieder tatenlos und resigniert zurück in ihre wgs gegangen wären: „och ne zeitung gründen? wieso denn? da gibts doch schon ganz viele, ganz viele die das auch total professionell machen. da können wir doch gar nicht mithalten.“ etwas mehr euphorie lief aus ursula weidenfels. sie sagte podcasts und so zu produzieren würde grossen spass machen, auch wenn das ergebniss oft ein alptraum, zumindest für die leser, sei. die produktion sei grossartig.

nachdem man also ausgiebig über technik und kosten gejammert hatte bemühte man sich gemeinsam das hohe lied des qualitätsjournalismus anzustimmen. das ist ein irres phänomen wenn pressfuzzis zusammensitzen liefern immer nur die anderen schlechtes zeug ab, man selbst produziere ausschliesslich und gegen alle widerstände verlässliche informationen, denen die menschen da draussen vertrauen würden. unabhängigkeit, qualität, professionalität, vertrauen - alle stiessen in das horn des qualitätsjournalismus. auf dem boden des podiums klapperten die leeren worthülsen, man verstand kaum noch ein wort und trotzdem schlief ich fast ein. ich fragte mich, warum sind diese menschen da oben journalisten geworden? um über umsatzzahlen und erlösmodelle zu reden, um rumzujammern wie schwer das alles geworden ist oder um schwanzvergleiche anzustellen? frank thomson holte am ende der diskussion seinen kleinen ivw-pimmel raus und tönte grossmäulig: in fünf jahren hat stern.de spiegel.de als führendes online-medium abgelöst! bloggs, behauptete er, würden sich nicht durchsetzen, google werde abgelöst von etwas besserem. klar dachte ix, der stern hat seine technik nicht im griff, aber das zeug zum weltmarktführer für alles zu werden.

kaum ein wort wurde verloren über die chancen der digitalen medien (wohl aber wurde das internet als „neues“ medium bezeichnet), kaum einer sprach darüber wie grossartig es ist, dass die informationsmonopole bröckeln und es immer einfacher wird sich zu informieren und sich eien meinung zu bilden, wie grossartig es ist die eigenen ideen, reportagen, bilder viel effektiver zu verteilen, die zielgruppen genauer zu bedienen, an sich zu binden, wissen und bildung zu verbreiten, aufzuklären und zu erklären und damit sogar geld verdienen zu können. es war nichts von euphorie, keine lust auf neues, nicht die leiseste spur einer aufbruchstimmung zu spüren.

auf dem podium sassen 5 gelangweilte verwalter verlegerischer besitzstände und einer der seine euphorie auf dem podium im saum hielt, weil er gestern abend keinen bock hatte der berufsprovokateur zu sein.

aber vielleicht muss journalismus auch leidenschaftslos, quasi klinisch tot sein. was weiss ich schon?