stell dir vor shift happens und keiner geht hin

felix schwenzel, , in wirres.net    

was während der republica durchgehend nervte, war die immer wieder durchscheinende haltung, dass die organisatoren der republica dieses oder jenes nicht richtig gemacht hätten, diese oder jene gruppe benachteiligt hätten, diese oder jenes zu viel oder zu wenig betont hätten. ich hab ja nix gegen kritik, auch gegen kritik unter der gürtellinie, aber dieses diffuse, pauschale rumnörgeln nervt.

natürlich hätte man vieles auf der republica besser, anders, eleganter, pointierter, pünktlicher machen können, vor allem aber hätte man selbst etwas machen können. die aufrufe mitzumachen, hallen mir seit monaten in den ohren.

die republica war zu oberflächlich, zu belanglos, zu labertaschig? schlagt bessere themen und referenten vor, setzt euch selbst auf die podien. schreibt überzeugende blogs mit guten argumenten, ruft zu kampagnen auf, redet mit den politikern, geht in den bundestag oder auf ausschusssitzungen — und berichtet drüber. immer nur zu sagen „macht doch mal was“, „macht das mal besser“, nervt auf dauer.

das problem sind nicht nur „die da oben“, sondern dass von unten, von rechts, von links nix kommt, dass kaum einer bereit ist selbst was zu machen, selbst zu reden, selbst zu schreiben, sich hinzustellen und stellung oder prügel zu beziehen. ein klassiker unter bloggern ist ja, den journalisten (zu recht) mangelnde recherche, oberflächlichkeit oder die falschen themen vorzuwerfen. selbst zu telefonieren, selbst nachzufragen oder selbst recherchieren, dazu hat aber auch keiner bock. blogger weisen dann gerne darauf hin, dass man ohne presseausweis ja eh nix machen könne als von anderen seiten zu zitieren. was natürlich quark ist wer o-töne haben, mit politikern reden, auf einen parteitag oder in den bundestag will, bekommt das auch so hin — wenn er will.

politikern ahnungslosigkeit vom internet vorzuwerfen ist einfach, mach ich auch gerne, aber mit ihnen reden, dazu reichts dann meistens nicht. bei mir spielt oft die angst mit, dass es auffallen könnte, dass ich in bezug auf politik völlig ahnungslos bin. nur: ist das nicht auch genau der grund (neben zeitknappheit) mit dem sich die politiker vor dem internet drücken?

ich merke schon, das entwickelt sich hier zu einem rant gegen mich selbst, gegen meine eigene lahmarschigkeit. und tatsächlich bin ich frustriert, dass ich selbst ständig in dem chor derjenigen mitsinge, der das lied singt, wie scheisse alles ist, wie ahnungslos alle sind, wie dumm und verbohrt politiker sind. noch frustierter bin ich aber, wenn ich mit politikern rede, über politik nachdenke oder diskutiere und sehe, dass es keine einfache lösungen gibt, dass politik irre komplex ist und wohl auch sein muss und eben nicht vom „gesunden menschenverstand“ bestimmt wird. sondern von mehrheiten, stimmungen, polemik, strategie, kompromissen und menschen. und noch frustrierender: der einzige weg etwas zu verbessern ist es selbst zu versuchen, selbst etwas zu machen.

im mäandertal stehts so ähnlich:

Es wird verflucht noch mal Zeit, dass die Akteure des Web 2.0, die Social Networker, Twitterer und vor allem die Blogger, von sich ablassen, die selbstbeschworene Macht ausüben und ihren Fokus auf die Probleme unserer Zeit richten! Vom Pathos hingerissen, möchte ich sagen: Nehmt die Zügel in die Hand, macht Stimmung im Land, reißt die Grenzen ein und zeigt der Politik wo der Hase läuft. Die Lippenbekenntnisse der großen Politik in Richtung Einigkeit im internationalen Handeln, und sei es nur auf europäischer Ebene, reichen erfahrungsgemäß bis zu dem Moment, wo es ernst wird. Jetzt ist die Lage ernst! Es ist genau der richtige Moment, in dem die Blogosphäre beweisen könnte, dass sie sich nicht dem politischen Verhalten anpasst. Welcher Rahmen böte sich hier besser an, als eine re:publica in diesen Tagen? Das Programm lässt leider anderes vermuten. Hübsch verklausuliertes Stochern um den heißen Brei herum. Nicht mehr tun das! Shift happens? Veränderung passiert nicht von alleine! What are you doing? At the moment I do democracy. Cause it’s my fucking job!

in der aktuellen brandeins (04/2009) witzigerweise auch:

Barbara Kellermann: Wir sehen Proteste in Island und Russland, aber die Leute hier wissen nicht einmal mehr, wie man Widerstand organisiert. Es herrscht unglaublich viel Wut und Zorn in der Blogosphäre — aber sich im Internet zu beklagen ist kein wirklicher Protest. Es kann gut sein, dass der Ärger einer handfesten Protestbewegung die Kraft entzieht. Es kann auch gut sein, dass die Menschen ihre Energien in die Fantasievorstellung kanalisiert haben, dass Obama sie auf wundersame Weise retten wird.

Damit sind wir wieder bei der Frage nach der Leadership-Industrie: Wir starren wie gebannt auf den Ritter in der strahlenden Rüstung.