ei­ne mi­mo­se, ein gauck und das in­ter­net

felix schwenzel

kürz­lich hat sich tho­mas knü­wer „ge­är­gert“. weil je­mand ge­sagt hat, knü­wer hät­te et­was ge­sagt, was er aber so gar nicht ge­sagt habe. sein zi­tat wur­de ge­kürzt und da­mit sinn­ent­stellt — oder wie knü­wer es un­ver­gleich­lich aus­drückt: „Das ist mal ge­schmei­dig die ganz an­de­re Rich­tung. Und des­halb habe ich mich ge­är­gert.“

sinn­ent­stel­lend zi­tie­ren scheint aber auch ein hob­by von tho­mas knü­wer zu sein. aus die­sen sät­zen von joa­chim gauck

Das welt­wei­te In­ter­net bie­tet alle Vor­aus­set­zun­gen, um die in den ers­ten zehn Ar­ti­keln un­se­rer Ver­fas­sung ver­an­ker­ten Grund­rech­te al­ler Bür­ger in die­sem Land aus­zu­höh­len. Dies gilt ins­be­son­de­re für das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Pres­se­frei­heit in Ar­ti­kel Fünf – eine we­sent­li­che Grund­la­ge un­se­rer funk­tio­nie­ren­den De­mo­kra­tie – und es gilt letzt­lich auch für den Kern­satz un­se­rer Ver­fas­sung, den Ar­ti­kel Eins des Grund­ge­set­zes: Die Wür­de des Men­schen ist un­an­tast­bar.

Um sol­che Ge­fah­ren für un­ser al­ler Frei­heit künf­tig rich­tig ein­schät­zen und Ver­trau­en in das Me­di­um för­dern zu kön­nen, müs­sen wir dem In­ter­net und sei­nen Nut­zern mehr Sen­si­bi­li­tät, mehr Auf­merk­sam­keit und For­schung wid­men. Dazu ver­hilft uns eine In­sti­tu­ti­on wie das „Deut­sche In­sti­tut für Ver­trau­en und Si­cher­heit im In­ter­net“ – und des­halb un­ter­stüt­ze ich die Ar­beit die­ses In­sti­tuts.*

die er im vor­wort ir­gend­ei­ner ver­öf­fent­li­chung (PDF-kurz­ver­si­on) von ir­gend­wem ge­fun­den hat, klöp­pel­te er die­se über­schrift:

Das In­ter­net höhlt die Ver­fas­sung aus, glaubt Joa­chim Gauck

hm. trägt das was gauck ge­sagt hat knü­wers über­schrift? so wie ich gauck ver­ste­he, sagt gauck, dass das in­ter­net das po­ten­zi­al in sich trägt un­ser grund­ge­setz aus­zu­hölen — und nicht, dass es das tue. das hört sich an wie haar­spal­te­rei, ist es aber nicht. der un­ter­schied zwi­schen dem be­stehen ei­ner ge­fahr und dem ein­tre­ten ei­ner ge­fahr ist emi­nent.

man kann zum bei­spiel durch­aus be­haup­ten, dass die vor­rats­da­ten­spei­che­rung die vor­aus­set­zun­gen für eine um­fas­sen­de und an­lass­lo­se über­wa­chung al­ler bür­ger schaf­fe (und da­mit eine po­ten­zi­el­le ge­fahr be­schrei­ben). wenn knü­wer dann aber schrö­be

deutsch­land ist ein über­wa­chungs­staat, glaubt ir­gend­je­mand

dann ist das ge­nau­so ver­dreht und un­red­lich wie das was tho­mas knü­wer hier macht.


ich fin­de den oben zi­tier­ten ab­satz von joa­chim gaucks vor­wort un­nö­tig. denn ge­nau be­trach­tet ist das was er schrob ei­ner auf­ge­bla­se­ne selbst­ver­ständ­lich­keit. ja, die welt, die po­li­tik, die wirt­schaft, die men­schen, das in­ter­net sind po­ten­zi­ell ge­fähr­lich, un­be­re­chen­bar, ego­is­tisch, gie­rig oder ge­mein — und des­halb ist es ganz gut, in ei­ner de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­ten form des rechts­staats zu le­ben, der die­se ge­fah­ren ab­fe­dert, de­nen uns die welt aus­setzt. und die­ser rechts­staat muss sich selbst­ver­städn­lich neu­en ge­fah­ren und be­dro­hun­gen stel­len und ja, es lohnt sich ihn ver­tei­di­gen. das war aber be­reits vor dem in­ter­net ge­nau­so. des­halb gibt es das grund­ge­setz und den rechts­staat — um uns grund­rech­te zu ga­ran­tie­ren und uns vor den ge­fah­ren der welt zu schüt­zen — so gut es geht. und die ge­fahr, dass die­se rech­te aus­ge­höhlt wer­den ist nun wirk­lich nichts neu­es oder spe­zi­ell in­ter­net­ti­ges.

kurz: das in­ter­net ist scheis­se, weil die welt scheis­se ist (nicht etwa um­ge­kehrt). und wenn man die­ser lo­gik fol­gend gaucks zi­tat ein­mal än­dert und die Wor­te „In­ter­net“ und „Welt“ tauscht, er­kennt man ei­ner­seits die harm­lo­sig­keit und an­de­rer­seits auch die pla­ti­tü­den­haf­tig­keit sei­nes vor­wor­tes:

Die welt­wei­te Welt bie­tet alle Vor­aus­set­zun­gen, um die in den ers­ten zehn Ar­ti­keln un­se­rer Ver­fas­sung ver­an­ker­ten Grund­rech­te al­ler Bür­ger in die­sem Land aus­zu­höh­len. Dies gilt ins­be­son­de­re für das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Pres­se­frei­heit in Ar­ti­kel Fünf – eine we­sent­li­che Grund­la­ge un­se­rer funk­tio­nie­ren­den De­mo­kra­tie – und es gilt letzt­lich auch für den Kern­satz un­se­rer Ver­fas­sung, den Ar­ti­kel Eins des Grund­ge­set­zes: Die Wür­de des Men­schen ist un­an­tast­bar.

Um sol­che Ge­fah­ren für un­ser al­ler Frei­heit künf­tig rich­tig ein­schät­zen und Ver­trau­en in die Welt för­dern zu kön­nen, müs­sen wir der Welt und ih­ren Nut­zern mehr Sen­si­bi­li­tät, mehr Auf­merk­sam­keit und For­schung wid­men. Dazu ver­hilft uns eine In­sti­tu­ti­on wie das „Deut­sche In­sti­tut für Ver­trau­en und Si­cher­heit in die Welt“ – und des­halb un­ter­stüt­ze ich die Ar­beit die­ses In­sti­tuts.

OK, das wirkt jetzt al­bern.

aber die ge­fah­ren die in die­ser welt und ge­ra­de in deutsch­land zum bei­spiel für die men­schen­wür­de lau­ern, sind nicht zu über­se­hen. wenn bei­spiels­wei­se men­schen die hier auf­ge­wach­sen sind, ein­fach in ihre an­geb­li­chen hei­mat­län­der „ab­ge­scho­ben“ wer­den kön­nen, wenn man mal mit harz IV-emp­fän­gern über ihre er­fah­run­gen mit den ar­beits­agen­tu­ren re­det oder mal den fern­se­her an­macht, dann wäre mein ers­ter im­puls jetzt nicht dar­über nach­zu­den­ken wie man im in­ter­net die men­schen­wür­de schützt, son­dern wie man sie über­all schützt.

dass auch im in­ter­net ge­fah­ren lau­ern, weiss, zu­min­dest im in­ter­net, je­der: apps die per­sön­li­che adress­bü­cher nach hau­se schi­cken, such­ma­schi­nen die nut­zer­da­ten agg­re­giert aus­wer­ten, por­no- und web­sei­ten die nut­zer­da­ten nicht or­dent­lich schüt­zen, mo­no­pol­ge­fah­ren im ebook­sek­tor, bom­big gut aus­ge­bil­de­te ver­fas­sungs­schüt­zer die emails mit­le­sen, kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men und com­pu­ter­her­stel­ler die kei­ne tit­ten­bil­der auf ih­ren platt­for­men se­hen wol­len — die ge­fah­ren — oder bes­ser pro­ble­me — die joa­chim gauck be­schreibt sind doch vor­han­den? wir be­schäf­ti­gen und dis­ku­tie­ren sie täg­lich.

aber wenn ein tech­nisch et­was hilf­los wir­ken­der, al­ter mann auf die­se ge­fah­ren hin­weist, dann fin­det tho­mas knü­wer das „un­fass­bar“ und „zum kot­zen“? tho­mas knü­wer:

Ich hal­te Gaucks Aus­sa­gen für un­fass­bar, erst recht, weil es nicht ir­gend­wel­che frei ge­spro­che­nen Aus­sa­gen sind – sie sind schrift­lich fest­ge­hal­ten. Ver­zei­hen Sie die For­mu­lie­rung: Ich fin­de die­se Sät­ze zum kot­zen.

weil tho­mas knü­wer ja ganz ger­ne aus­teilt, bei kri­tik an ihm selbst aber leicht in den em­pör­ten mi­mo­sen-mo­dus schal­tet, be­schimp­fe ich tho­mas knü­wer heu­te mal, auch wenn das et­was un­ent­spannt wirkt, in sei­nen ei­ge­nen wor­ten:
Ich hal­te Knü­wers Blog­ar­ti­kel für un­fass­bar, erst recht, weil es nicht ir­gend­wel­che frei ge­spro­che­nen Aus­sa­gen sind – sie sind schrift­lich fest­ge­hal­ten. Ver­zei­hen Sie die For­mu­lie­rung: Ich fin­de die­sen Ar­ti­kel zum kot­zen.

oder um es (dann doch lie­ber) in mei­nen wor­ten zu sa­gen: ich fin­de es scha­de, dass thi­mas knü­wer lie­ber kotzt, als ar­gu­men­tiert oder strei­tet. ich ahne aber wor­an das liegt, knü­wer deu­tet es be­reits selbst an. er fin­det die aus­sa­gen gaucks „un­fass­bar“. mit an­de­ren wor­ten: er ver­steht sie nicht.


auch die­se wor­te von joa­chim gauck wir­ken auf mich wie pla­ti­tü­den, ich schaf­fe es aber auch mit ge­walt nicht, mich drü­ber auf­zu­re­gen, drü­ber zu „kot­zen“ oder be­le­ge da­für zu fin­den, dass gauck fän­de, dass das in­ter­net die vert­fas­sung aus­höh­le.


*) der zwei­te ab­satz steht in gaucks vor­wort, wur­de aber nicht di­rekt von knü­wer zi­tiert. ich fand ihn aber wich­tig um den zu­sam­men­hang zu er­ken­nen.