mög­li­che fol­gen von blog-pro­fes­sio­na­li­sie­rung: hal­tungs­schä­den und merk­be­frei­ung

felix schwenzel

ich habe lan­ge über die­sen ar­ti­kel nach­ge­dacht und ver­su­che wei­ter un­ten auch, so weit wie mir mög­lich ist, zu dif­fe­ren­zie­ren. in al­ler kür­ze möch­te ich aber vor­aus­schi­cken, dass ich das ver­hal­ten von tei­len der deut­schen blogo­sphä­re, für die ich einst durch­aus sym­pa­thie auf­brin­gen konn­te, ex­trem zum kot­zen fin­de.

Das Ver­bre­chen der Ac­count­cra­cker mit Ur­he­ber­recht oder an­de­ren da­ten­ver­wand­ten recht­li­chen Kon­struk­ten zu be­wer­ten igno­riert völ­lig den Scha­den an der Per­son, der hier ganz be­wußt wenn nicht in­ten­diert, dann doch bös­wil­lig in Kauf ge­nom­men wur­de. Die Da­ten la­gen hin­ter di­ver­sen Si­cher­heits­schran­ken und wa­ren of­fen­sicht­lich nicht für die Öf­fent­lich­keit oder ei­nen Teil die­ser vor­ge­se­hen. Alle die­se Schran­ken, alle die­se ex­pli­zi­ten „Neins“ wur­den igno­riert. Das Ver­bre­chen, mit dem man die­se „Hacks“ ver­glei­chen kann ist die Kör­per­ver­let­zung und - in die­sem Fal­le in dem es um Nackt­bil­der ging - der se­xu­el­le Über­griff.

war­um ver­öf­fent­lich­te ma­thi­as winks nun die­se bil­der, die nicht nur nach jür­gen ge­uters mei­nung ei­nen se­xu­el­len über­griff dar­stel­len und die pri­vat­s­hä­re die­ser frau­en ver­let­zen?

Das Fap­pe­ning wird ganz si­cher nicht an Euch vor­bei­ge­gan­gen sein, hier [link ent­fernt] hat­te ich be­reits drü­ber ge­spro­chen. Seit ein paar Ta­gen gibt es nun ei­nen Grund, das In­ter­net noch mehr zu lie­ben: un­ter­schied­li­che Künst­ler ha­ben die Ce­le­bri­ty Nackt­pics jetzt nicht nur ent­schärft, sie ha­ben Kunst­wer­ke aus ih­nen ge­macht und sam­meln die­se im Un­fap­pe­ning-tumb­lr. Wer die Ori­gi­nal-Bil­der bis jetzt noch nicht ge­se­hen hat, der soll­te auch nicht wei­ter re­cher­chie­ren – das hier ist way­y­y­yy bet­ter:

The fap­pe­ning hap­pen­ed. We can’t ch­an­ge that. But we can co­ver it up. It’s the least we can do. Here we show the works of ar­tists who did so.

(mir hat man in köln mal mein auto auf­ge­bro­chen und mei­ne da­ma­li­gen hab­se­lig­kei­ten in der um­ge­bung dra­piert: auf bäu­me und in ma­schen­draht­zäu­ne ge­hängt. ma­thi­as winks hät­te die klei­nen kunst-in­stal­la­tio­nen der köl­ner si­cher ge­liebt und das viel, viel bes­ser ge­fun­den als wenn die ty­pen mei­ne kla­mot­ten ein­fach selbst be­nutzt hät­ten.)

Il­lus­tra­to­ren ma­len auf den ge­le­ak­ten Na­cke­dei­bil­dern rum. Groß­ar­tig! Und ich fin­de, es soll­te viel mehr bunt an­ge­mal­te Hacks ge­ben. Wenn bei dem gan­zen Dra­ma am Ende dann noch Kunst bei raus­kommt, dann hat­te das gan­ze im­mer­hin ir­gend­was gu­tes.

The fap­pe­ning hap­pen­ed. We can’t ch­an­ge that. But we can co­ver it up. It’s the least we can do. Here we show the works of ar­tists who did so.

es ist also die kunst, die es die­sen (und vie­len an­de­ren) blog­gern und wahr­schein­lich auch an­de­ren me­di­en jetzt (ver­meint­lich) er­mög­licht in­ti­me und pri­va­te bil­der pro­mi­nen­ter frau­en zu zei­gen, wei­ter­zu­ver­brei­ten und jo­vi­al zu kom­men­tie­ren?

Nun wer­den un­ter dem Schlag­wort „un­fap­pe­ning“ von Künst­lern ver­än­der­te Ver­sio­nen die­ser Bil­der ver­brei­tet: Über die nack­ten Kör­per der Frau­en sind ama­teur­haft Klei­dungs­stü­cke ge­pin­selt. Ich hal­te die Ver­öf­fent­li­chung die­ser ver­än­der­ten Bil­der für ähn­lich wi­der­lich, wie die Pu­bli­ka­ti­on der Ori­gi­nal­ver­sio­nen.

Denn na­tür­lich wird die nack­te Ver­si­on im­mer mit­ge­dacht. Man pro­fi­tiert so also noch ein wei­te­res mal vom Leid der Op­fer des Über­grif­fes und jazzt sei­ne Click­zah­len hoch. Des Wei­te­ren sind die Bil­der im­mer noch nicht – auch nicht in ih­rer ver­än­der­ten Form – von den Frau­en zur Pu­bli­ka­ti­on frei­ge­ge­ben. Sie wer­den also wei­ter­hin als Ob­jekt be­han­delt, ohne Agen­cy und Rech­te.

er fin­det die ver­öf­fent­li­chung der bil­der „wi­der­lich“ — wie ich fin­de, zu recht.

Il­lus­tra­to­ren ma­len auf den Face­book­pro­fil­bil­dern der Ab­sturz­op­fer von Air France Flug 447 rum. Groß­ar­tig! Es soll­te so­wie­so und über­haupt viel mehr bunt an­ge­mal­te Op­fer­bil­der ge­ben. Wenn bei dem gan­zen Dra­ma am Ende dann noch Kunst bei raus­kommt, dann hat­te das gan­ze im­mer­hin ir­gend­was gu­tes.

das leid der op­fer und die wür­de der ab­ge­bil­de­ten ha­ben sich nach die­ser lo­gik der kunst un­ter­zu­ord­nen. das dach­te sich vor ei­ner wei­le auch ein ame­ri­ka­ni­scher wur­zel­sepp, der kurz nach dem #ce­le­bleak an­kün­dig­te, eine aus­stel­lung der ent­wen­de­ten nackt­bil­der zu or­ga­ni­se­ren. das wur­de mitl­ler­wei­le wie­der ab­ge­bla­sen, zeigt aber die hal­tung die hin­ter ei­nem sol­chen kunst­ver­ständ­nis steckt: kunst als ge­leb­te rück­sichts­lo­sig­keit und selbst­dar­stel­lungs­zwang auf kos­ten an­de­rer.


ich weiss nicht ob die­ser ar­ti­kel jetzt wirk­lich dif­fe­ren­ziert ge­wor­den ist. wahr­schein­lich eher nicht. ich könn­te den blog­gern, die die #un­fap­pe­ning-bil­der ver­öf­fent­licht ha­ben, auch, statt pro­fit­gier und auf­merk­sam­keits­sucht, gu­ten wil­len un­ter­stel­len. mir ge­lingt es aber ein­fach nicht zu ver­ste­hen, wie man bil­der zei­gen kann, die die dar­auf ab­ge­bil­de­ten nicht ver­öf­fent­licht se­hen wol­len. mir ge­lingt es auch nicht das mit ver­schie­de­nen „scham­gren­zen“ zu er­klä­ren, da es bei der in­tims­hä­re von men­schen nicht aus­schliess­lich um pri­mä­re oder se­kun­dä­re ge­schlechts­merk­ma­le geht. ich ver­ste­he ein­fach nicht, war­um eine über­mal­te per­sön­lich­keits­rechts­ver­let­zung bes­ser als das ori­gi­nal sein soll — oder war­um das „groß­ar­tig!“ sein soll. aber viel­leicht kann mir das ja je­mand er­klä­ren.


1) wer das wort „leaks“ für die­se an­grif­fe be­nutzt müss­te über sein ge­stoh­le­nes fahr­rad ei­gent­lich auch als ge­le­ak­ten be­sitz re­den.


[nach­trag 28.09.2014, kurz vor eins]
sa­scha lobo fin­det mei­ne ver­mu­tung, dass das „arschi­ge“ ver­hal­ten von ei­ni­gen blog­gern mit der pro­fes­sio­na­li­sie­rung zu tun ha­ben könn­te ab­we­gig. mög­li­cher­wei­se hat er da recht, un­ter an­de­rem weil er lei­der meis­ten recht hat, wenn wir ver­schie­de­ner mei­nung sind. un­ter an­de­rem sagt er:

Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung macht nie­man­dem zum Arsch, der nicht schon vor­her ei­ner war. Sie macht es bloß ein­fa­cher sicht­bar.

dass man bei der pro­fes­sio­na­li­sie­rung ge­nau­ge­nom­men dif­fe­ren­zie­ren muss, näm­lich ei­ner­seits dass man als pro­fi je­man­den be­zeich­net der be­son­ders gute ar­beit lie­fert und an­de­re­seits auch je­man­den be­zeich­net, der von sei­ner ar­beit lebt, dar­auf weist chris­toph boe­cken im glei­chen strang hin.


[nach­trag 12.10.2014]
heu­te nacht hat mir ma­thi­as winks auf face­book eine nach­richt ge­schickt, in der er mir mit­teil­te, dass er den ar­ti­kel zum „un­fap­pe­ning“ „raus­ge­nom­men“ hät­te.