sind adblock-benutzer „pack“?

felix schwenzel in artikel

ich fin­de es völ­lig OK be­nut­zer von ad­blo­ckern auf wer­be­fi­nan­zier­ten sei­ten aus­zu­schlies­sen. zu­min­dest ist das blo­ckie­ren von ad­blo­ckern fol­ge­rich­tig, wenn man sich als au­tor oder in­hal­te-pro­du­zent von ad­block-nut­zern „be­klaut“ fühlt. so wie ste­phan gold­mann:

Das Miese an Adblockern ist aus meiner Sicht, dass sie dem Leser erlauben, dass er meine Dienste (Inhalte) in Anspruch nimmt, ohne mir dabei eine Finanzierung dieser Inhalte zu ermöglichen.

Kurz: Alles nehmen, nichts da lassen – eine solche Haltung bezeichnete Kollege Jan Gleitsmann wiederholt als asozial.

ich fin­de es eine fai­re lö­sung tech­ni­sche mass­nah­men zu tref­fen um in­halts­be­trach­tung nur ge­gen das an­neh­men von tra­ckern und wer­bung zu er­mög­li­chen.

die fol­ge da­von ist dann ge­nau die, die sich die sei­ten­be­trei­ber wün­schen: leu­te die kei­ne wer­bung se­hen möch­ten, be­su­chen die sei­te dann nicht mehr. laut ei­ner un­ter­su­chung von gold­me­dia ver­lässt die mehr­heit der ad­block-nut­zer ab­block-ge­block­te sei­ten wie­der (via).

jetzt könn­ten ei­gent­lich alle zu­frie­den sein. aus­ser ste­phan gold­mann viel­leicht, der es dann viel­leicht auch wie­der „mies“ fin­det, dass plötz­lich we­ni­ger leu­te sei­ne diens­te in an­spruch neh­men und es ihm da­mit schwer ma­chen, sei­ne in­hal­te zu fi­nan­zie­ren.

noch­mal ste­phan gold­mann:

Finden Sie es richtig, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, ohne dem Dienstleister etwas dazulassen?

kei­ne scherz­fra­ge: hat schon­mal je­mand dar­über nach­ge­dacht, für auf­merk­sam­keit zu be­zah­len? die wer­be­trei­ben­den ma­chen das. sie zah­len viel geld da­für, um an auf­merk­sam­keit zu kom­men, sie ken­nen den wert von auf­merk­sam­keit. bis­her zah­len sie eher auf­merk­sam­keits­er­re­ger, als auf­merk­sam­keits­ge­ber. aber auf­merk­sam­keit zu ge­ben, sich zeit und kon­zen­tra­ti­on aus dem all­tag ab­zu­zwa­cken, um sie je­man­dem zu ge­ben, ist doch auch eine leis­tung die me­di­en­schaf­fen­de in an­spruch neh­men. ok, ok, sie ge­ben da­für et­was: un­ter­hal­tung, oder, wie con­stan­tin seibt das nennt: kom­pri­mier­te zeit:

Das Konzept von komprimierter Zeit ist auch das der Grund, warum Leute gern lesen: Sie machen ein blendendes Geschäft. In einer Minute haben sie eine Stunde fremde Denkarbeit oder mehr gewonnen.

zu­ge­ge­ben: die auf­merk­sam­keit der le­ser/nut­zer wird also in ei­ni­gen fäl­len gross­zü­gig kom­pen­siert, durch kom­pri­mier­te zeit oder un­ter­hal­tung, für de­ren er­stel­lung der her­stel­ler ent­lohnt wer­den möch­ten, zum bei­spiel per auf­merk­sam­keits­ab­zwa­ckung durch wer­bung.

also ein fai­rer deal?

ja­mes wil­liams fin­det das nicht. er warnt in ei­nem et­was aben­teu­er­li­chen ar­ti­kel da­vor, die sys­te­ma­ti­sche aus­rich­tung von vie­len web­sei­ten auf wer­bung und auf­merk­sam­keits­er­re­gung als ge­ge­ben hin­zu­neh­men.

Think about the websites, apps, or communications platforms you use most. What behavioral metric do you think they’re trying to maximize in their design of your attentional environment? I mean, what do you think is actually on the dashboards in their weekly product design meetings?

Whatever metric you think they’re nudging you toward—how do you know? Wouldn’t you like to know? Why shouldn’t you know? Isn’t there an entire realm of transparency and corporate responsibility going undemanded here?

I’ll give you a hint, though: it’s probably not any of the goals you have for yourself. Your goals are things like “spend more time with the kids,” “learn to play the zither,” “lose twenty pounds by summer,” “finish my degree,” etc. Your time is scarce, and you know it.

Your technologies, on the other hand, are trying to maximize goals like “Time on Site,” “Number of Video Views,” “Number of Pageviews,” and so on. Hence clickbait, hence auto-playing videos, hence avalanches of notifications. Your time is scarce, and your technologies know it.

But these design goals are petty and perverse. They don’t recognize our humanity because they don’t bother to ask about it in the first place. In fact, these goals often clash with the mission statements and marketing claims that technology companies craft for themselves.

ge­ra­de die zie­le der gros­sen web­sei­ten und platt­for­men rich­ten sich im kern nicht nach mensch­li­chen be­dürf­nis­sen, son­dern nach der lo­gik der auf­merk­sam­keits­ver­mark­tung. ja­mes wil­liams sieht wer­bung nicht als or­na­ment oder über­ge­stülp­te mo­ne­ta­ri­sie­rungs­form, son­dern als trei­ben­de und ma­ni­pu­la­ti­ve kraft hin­ter den in­hal­ten. aben­teu­er­lich bis ge­wöh­nungs­be­dürf­tig ist sein be­griff der auf­merk­sam­keits­frei­heit (free­dom of at­ten­ti­on), den man si­cher­lich noch be­klopp­ter als at­ten­tio­na­le selbst­be­stim­mung über­set­zen könn­te. sei­ne schluss­fol­ge­rung lau­tet, dass man sich nicht nur fra­gen soll­te, ob es in ord­nung sei wer­bung zu blo­ckie­ren, son­dern ob es nicht auch eine mo­ra­li­sche pflicht sei.

Given all this, the question should not be whether ad blocking is ethical, but whether it is a moral obligation. The burden of proof falls squarely on advertising to justify its intrusions into users’ attentional spaces—not on users to justify exercising their freedom of attention.

ganz so ab­surd wie sich ja­mes wil­liams the­se denkauf­for­de­rung auf den ers­ten blick an­hört, ist sie aber viel­leicht doch nicht. ge­ra­de die gros­sen platt­for­men tun wirk­lich al­les um ihre be­nut­zer so­lan­ge wie mög­lich auf der platt­form zu hal­ten. vor­der­grün­dig, in­dem sie mensch­li­che be­dürf­nis­se, vor al­lem das nach kom­mu­ni­ka­ti­on und aus­tausch mit freun­den und be­kann­ten er­mög­li­chen. im hin­ter­grund und als ge­stal­tungs-ma­xi­me der platt­for­men gilt aber die steue­rung, ma­xi­mie­rung und aus­beu­tung der auf­merk­sam­keit.

aber auch die gros­sen platt­for­men bie­ten, wie klei­ne­re wer­be­fi­nan­zier­te in­hal­te­pro­du­zen­ten, ei­nen deal an: un­ter­hal­tung, op­ti­mier­te kom­mu­ni­ka­ti­on über die gan­ze welt, be­weg­te bil­der, emo­tio­nen und emo­ti­cons oder „kom­pri­mier­te zeit“ ge­gen auf­merk­sam­keit.

ob der deal wirk­lich so gut ist, ob wir ei­nen an­ge­mes­se­nen preis für un­se­re auf­merk­sam­keit zu­rück­be­kom­men, dar­über soll­ten wir alle mal nach­den­ken. ich glau­be ja, aber ich irre mich ger­ne.


noch­mal zu­rück zu ste­phan gold­mann, der be­haup­tet, ad­block-be­nut­zer wür­den „Al­les neh­men, nichts da las­sen“. ist das wirk­lich so? erst­mal las­sen gold­manns le­ser, egal ob mit oder ohne ad­blo­cker, zeit zu­rück. viel zeit. man­che hin­ter­las­sen auch kom­men­ta­re, an­re­gun­gen, fra­gen, wo­für sie nicht be­zahlt wer­den, aber gold­mann als sei­ten­be­schrei­ber und -be­trei­ber sich auch nichts kau­fen kann. aber was ist, wenn ein ad­block-be­nut­zer eine sei­te von ste­phan gold­mann sei­nen freun­den und be­kann­ten emp­fiehlt? per email oder auf ei­ner (so­cial me­dia) platt­form? oder per link in ei­nem blog, wie hier. was ist mit goog­le, das die web­sei­te in­de­xiert und in sei­nen such­ergeb­nis­sen auf­lis­tet ohne den sei­ten­be­trei­ber da­für zur kas­se zu bit­ten? was ist mit den le­sern, die zwar an­zei­gen und tra­cker blo­cken, aber gold­manns vg-wort-pi­xel durch­las­sen? nicht nur sei­nen vg-wort-zäh­ler in­kre­men­tie­ren ad­block-nut­zer, sie tau­chen auch in der be­nut­zer­zäh­lung auf, mit der es un­ter um­stän­den ein­fa­cher wird, neue wer­be­kun­den zu ak­qui­rie­ren. selbst „aso­zia­le“ ad­block-nut­zer hin­ter­las­sen also durch­aus et­was.

es ist üb­ri­gens auch bei jour­na­lis­ten gang und gäbe, zu neh­men ohne da­für eine ge­gen­leis­tung zu ge­ben. in in­ter­views mit fach­leu­ten wird de­ren wis­sen und ex­per­ti­se ab­ge­saugt, ein biss­chen auf­be­rei­tet und dann mo­ne­ta­ri­siert. jour­na­lis­ten neh­men al­les, las­sen dem in­ter­view­part­ner aber nie et­was da, aus­ser ein paar krü­mel­chen auf­merk­sam­keit, von dem sich ein in­ter­view­ter aber eben­falls nichts kau­fen kann.

ich will hier na­tür­lich nicht vor­schla­gen, dass in­ter­views be­zahlt wer­den müss­ten, es ist nur fas­zi­nie­rend zu be­ob­ach­ten, wie jour­na­lis­ten pam­pig wer­den, wenn sie sich mit auf­merk­sam­keit ab­spei­sen las­sen sol­len und ihre an­zei­gen ge­blockt wer­den, bei an­de­ren aber dar­auf be­stehen, sich doch bit­te aus grün­den™ mit ein biss­chen auf­merk­sam­keit zu­frie­den zu ge­ben. ich will auch nicht be­haup­ten, dass an­zei­gen-blo­ckie­rung eine mo­ra­li­sche ver­pflich­tung sei, aber ge­nau­so we­nig kann ich eine mo­ra­li­sche ver­pflich­tung se­hen, sich den scheiss an­zu­gu­cken.

wenn man sei­ne tex­te und bil­der schützt, kann man in­ter­es­sier­ten re­geln vor­schrei­ben: ei­nen kauf­preis, abo­ge­büh­ren, wer­bung, eine be­stimm­te kör­per­hal­tung beim le­sen, wha­te­ver. wenn man sein werk aber frei zu­gäng­lich und ma­schi­nen­les­bar in die öf­fent­lich­keit stellt, soll­te man da­mit le­ben kön­nen, dass die leu­te es igno­rie­ren, blo­ckie­ren, le­sen wie und wo sie es le­sen möch­ten, es tei­len, kom­men­tie­ren, es nach be­lie­ben um­for­ma­tie­ren, in­de­xie­ren, durch­such­bar ma­chen, ver­lin­ken oder es gar aus­dru­cken und ab­hef­ten.

wal­dorf und stat­ler tho­mas stad­ler weist üb­ri­gens noch­mal dar­auf hin, dass die dis­kus­si­on für oder ge­gen wer­be­aus­blen­dung recht­lich völ­lig un­er­he­bich ist. nie­mand kann per ge­setz dazu ge­zwun­gen wer­den sich frei zu­gäng­li­che web­sei­ten nur mit ei­ner be­stimm­ten tech­ni­schen kon­fi­gu­ra­ti­on an­zu­se­hen. wem das nicht passt, kann eben­falls nicht dar­an ge­hin­dert wer­den tech­ni­sche (oder ab­sur­de ju­ris­ti­sche) ge­gen­mass­nah­men ein­zu­lei­ten, wenn er das für rich­tig hält.

wor­auf ich aber un­be­dingt noch hin­wei­sen woll­te: das ge­ben und neh­men im netz, wie in der welt, ist et­was kom­ple­xer als „et­was da las­sen“, in­dem man sich wer­bung an­sieht. das er­zeu­gen und len­ken von auf­merk­sam­keit ist tief in un­se­rer ge­sell­schaft ver­an­kert und wer­bung rei­tet da le­dig­lich pa­ra­si­tär mit. wie weit wir die­sem auf­merk­sam­keits­pa­ra­si­ten ge­stal­tungs­ho­heit über die welt ge­ben wol­len, soll­ten wir uns even­tu­ell öf­ter fra­gen.

und: wer den cha­rak­ter von men­schen da­nach be­ur­teilt, ob sie be­reit sind sich wer­bung an­zu­se­hen, dürf­te noch ganz an­de­re pro­ble­me als die fi­nan­zie­rung sei­ner web­sei­te ha­ben.


ich be­nut­ze kei­nen ad­blo­cker. bis vor ein paar mo­na­ten habe ich ghos­tery be­nutzt (ar­ti­kel dazu von vor zwei jah­ren), das tra­cker de­ak­ti­viert und da­mit auch di­ver­se wer­be­for­ma­te aus­blen­det, vor al­lem die, die von drit­ten aus­ge­lie­fert wer­den. für re­cher­che­zwe­cke und aus neu­gier, habe ich den blo­cker seit ein paar wo­chen de­ak­ti­viert — und sehe nun mehr von al­lem — und bin gleich­zei­tig bes­ser sicht­bar. hier auf wir­res.net blen­de ich ge­le­gent­lich auch wer­bung ein, die ich als we­nig stö­rend emp­fin­de, aber de­ren blo­ckie­rung mir auch ziem­lich egal ist. ich bie­te mei­nen le­sern be­reits seit 10 jah­ren die mög­lich­keit, die­se ge­le­gent­lich ein­ge­blen­de­te wer­bung dau­er­haft aus­zu­blen­den. ich fin­de das aus­blen­den auch nicht „aso­zi­al“, son­dern freue mich über je­den der mir oder mei­nen tex­ten auf­merk­sam­keit schenkt.