der feu­er­zeug­mann

felix schwenzel

vor un­ge­fähr ei­nem jahr sprach mich ein typ am bvg-fahr­kar­ten­au­to­ma­ten am kott­bus­ser tor an. er sag­te ir­gend­was von „fahr­kar­te“ und ich dach­te er wol­le mir eine ge­brauch­te fahr­kar­te ver­kau­fen. der üb­li­che preis für „ge­brauch­te“ fahr­kar­ten den ich be­reit war zu zah­len, lag im­mer so um ei­nen euro. ich gab ihm ei­nen euro. er woll­te mir al­ler­dings gar kei­ne kar­te ver­kau­fen, son­dern le­dig­lich fra­gen, ob ich eine ge­brauch­te für ihn üb­rig habe. als er das miss­ver­ständ­nis be­merk­te woll­te er mir mei­nen euro wie­der­ge­ben. ich wink­te ab und kauf­te mir eine fahr­kar­te am au­to­ma­ten. das fand er of­fen­bar ganz nett von mir, denn im­mer wenn wir uns jetzt am kott­bus­ser tor sa­hen, be­grüss­te er mich freund­lich, frag­te mich wie es mir gehe und teil­te mir mit wie es ihm gehe (nicht so gut, „die dro­gen“). er er­zähl­te mir, dass er nun­mehr kei­ne fahr­kar­ten mehr ver­kau­fe, son­dern ir­gend­wo bil­lig feu­er­zeu­ge kau­fe und die­se dann ein­zeln wei­ter­ver­kau­fe, mit ein biss­chen mar­ge.

„aha“ ant­wor­te­te ich ihm meist oder „ahja“.

heu­te früh sah ich ihn mal wie­der, in der ubahn­li­nie acht, um neun uhr mor­gens. er trug in der ei­nen hand eine klei­ne pa­let­te feu­er­zeu­ge, in der an­de­ren eine dose bier (wer­nes­grü­ner?). wie im­mer, be­grüss­te er mich mit hand­schlag. wie es mir gehe. wo ich hin­fah­re.

im­mer wenn sich bei mir be­son­ders vie­le un­be­zahl­te rech­nun­gen tür­men, kun­den säu­mig sind, ich auf spen­den und leih­ga­ben an­ge­wie­sen bin, also seit ei­ni­ger zeit, füh­le ich mich be­son­ders be­müs­sigt men­schen die mich freund­lich und ohne mit­leid­e­re­gungs­hund oder jam­mer­r­he­to­rik da­nach fra­gen et­was geld zu ge­ben. bar­geld-man­gel-so­li­da­ri­tät wahr­schein­lich. in sol­chen si­tua­tio­nen schaf­fe ich es mei­nen an­ge­bo­re­nen geiz zu über­win­den.

ich gab dem feu­er­zeug­mann zwei euro. ich gab sie ihm auch, weil dazu bock hat­te, weil ich mich freu­te ihn wie­der­zu­se­hen, weil ich von mei­nen ex­or­bi­tan­ten ein­nah­men aus dem t-shirt-ver­kauf (40 euro seit no­vem­ber 2004) noch et­was üb­rig hat­te. er hielt mir sei­ne feu­er­zeu­ge-pa­let­te un­ter die nase. es roch nach bier. ich nahm mir ein feu­er­zeug. ich sol­le drei neh­men, weil das glück bräch­te. er be­stand da­r­uf, dass ich drei näh­me. also nahm ich drei.

zur be­loh­nung be­glei­te­ten er und sei­ne fah­ne mich noch am kott­bus­ser tor aus der ubahn. er er­klär­te mir, dass das mit dem geld ja ei­gent­lich scheis­se sei, brin­ge ja eh nix. ges­tern habe er 40 euro ver­dient. da kön­ne man nicht viel mit reis­sen. dro­gen sei­en scheis­se. die dose bier steck­te in sei­ner ja­cken­brust­ta­sche. er wün­sche mir ei­nen schö­nen tag und all­les gute. bis bald mal wie­der. ich sol­le es mir gut ge­hen las­sen.

die roll­trep­pe fuhr ich dann ohne ihn und sei­ne fah­ne und mei­ner mei­nung nach un­pas­send emo­tio­na­li­siert nach oben. ich habe kei­ne ah­nung vom le­ben die­ses men­schen. ich habe kei­ne ah­nung was er ne­ben al­ko­hol für dro­gen nimmt. ich habe kei­ne ah­nung für wen drei feu­er­zeu­ge ge­gen zwei euro der bes­se­re deal wa­ren. und trotz­dem fuhr ich die roll­trep­pe nach oben als ob ich ge­ra­de aus dem film 21 gramm ge­kom­men wäre, mit kloss im hals und über­mäs­sig emo­tio­na­li­siert.

hel­fen ist so­et­was ähn­li­ches wie wich­sen wi­xen. es tut gut, es er­leich­tert. das habe ich un­ter an­de­rem wäh­rend des zi­vil­diens­tes er­lebt und be­ob­ach­tet. es be­ru­higt das ge­wis­sen. es macht es ei­nem leich­ter zu glau­ben, man sei ein gu­ter mensch. es er­hellt ei­nem die see­le, weil man da­bei ab und zu ein lä­cheln, manch­mal auch ein un­sicht­ba­res, ern­ten kann. und man kann über das hel­fen schrei­ben und sich selbst mit güte über­gies­sen. si­cher­lich könn­te man auch sei­nen en­keln da­von er­zäh­len, woll­ten sie es hö­ren. vor al­lem aber be­frie­digt hel­fen.

un­be­schei­den und be­rech­nend wie ich nun aber mal bin, er­hof­fe ich mir im stil­len aber auch eine ge­gen­leis­tung beim ge­ben. ich er­hof­fe mir bei­spiels­wei­se im­mer so eine art stern­ta­leref­fekt. gib und du wirst ge­ge­ben.

das fürch­ter­lichs­te aber ist, die­ses prin­zip scheint zu funk­tio­nie­ren; im­mer wenn ich ei­nem pen­ner, ei­nem pun­ker, ei­nen feu­er­zeug­ver­käu­fer et­was zu­viel geld gebe, muss­te ich abends mein bier nicht be­zah­len. das könn­te dar­an lie­gen, dass ich mich abends manch­mal mit net­ten men­schen tref­fe, aber auch am stern­ta­ler­ef­fekt.

mich wür­de jetzt mal in­ter­es­sie­ren ob es an­de­ren bier­trin­kern ähn­lich er­geht und for­de­re hier­mit alle bier­trin­ker dazu auf dem nächs­ten freund­lich fra­gen­den men­schen zwei euro (oder mehr) zu ge­ben und mir in den kom­men­ta­ren da­von zu be­rich­ten, wie­vie­le bier am abend da­für raus­spran­gen.