zeit­ma­ga­zin 2.0

felix schwenzel

ich hab mir zum ers­ten mal seit lan­ger zeit die zeit ge­kauft. am ki­osk. weil man ja über­all hört, da sol­le wie­der das zeit ma­ga­zin drin sein. das zeit ma­ga­zin war tat­säch­lich drin, denn die zeit liess sich ex­trem schlecht fal­ten. die um­ver­pa­ckung hab ich dann ganz schnell weg­ge­wor­fen und das ma­ga­zin ge­le­sen. der ers­te ein­druck: toll! tol­les ti­tel­bild von gün­ter wall­raff mit tol­ler pe­rü­cke. auch das le­sen war sehr an­ge­nehm. nach ei­ner stun­de rum­sit­zen und rum­le­sen im zeit ma­ga­zin in der knei­pe wo ich sonst im in­ter­net lese such­te ich erst­mals die akku-an­zei­ge. toll! das zeit ma­ga­zin kann man ohne wlan und ohne akku le­sen. ein klei­nes wun­der­werk deut­scher in­ge­nieurs­kunst.

al­bern fand ich das edi­to­ri­al von chris­toph amend, der in fra­ter­na­li­sie­ren­dem ton­fall schwa­dro­nier­te wie er mit der zeit gross ge­wor­den ist. ich bin mit lei­tungs­was­ser gross­ge­wor­den, aber da­mit be­läss­ti­ge ich doch nicht mei­ne le­ser! könn­te das edi­to­ri­al bit­te von mat­thi­as kal­le ver­fasst wer­den? der kann das bes­ser und zeit hat er ne­ben sei­ner tä­tig­keit als zit­ty-chef auch, wie man an sei­ner kolumm­ne über fern­seh­ärz­te sieht.

er­grei­fend die klei­ne, la­ko­nisch und ru­hig ge­schrie­be­ne re­por­ta­ge von gün­ter wall­raff. war­um, frag­te ich mich al­ler­dings, war­um muss wall­raff das sel­ber ma­chen? gan­ze ge­ne­ra­tio­nen von jour­na­lis­ten sind mit sei­nen bü­chern auf­ge­wach­sen und der ein­zi­ge der sol­che re­por­ta­gen schreibt ist wall­raff selbst. war­um macht nie­mand an­ders so­was?

mar­ten­stein heult in sei­ner ko­lum­ne un­er­träg­lich dar­über rum, dass ihm art­di­rek­to­ren sei­ne tex­te kür­zen. er tut so als leb­ten wir im jah­re 1940 als es das in­ter­net, in dem man be­kannt­lich be­lie­big lan­ge tex­te ver­fas­sen kann und selbst art­di­rek­tor spie­len kann, noch nicht gab. heul nicht, schreib ins in­ter­net, wenn der platz nicht reicht, rief ich beim le­sen laut aus.

das in­ter­view mit acker­mann ist ein glanz­stück in per­sön­li­cher PR. das wo­für an­de­re jah­re­lang ins in­ter­net schrei­ben, schafft acker­mann in ei­nem in­ter­view: sei­ner frat­ze ein mensch­li­ches, bei­na­he sym­pa­thi­sches ant­litz auf­ma­len. bei­na­he wär ich schwach ge­wor­den und hät­te ge­dacht, „fei­ner kerl, die­ser acker­mann“. die pr-agen­tur die ihn da ge­coacht hat möch­te ich mal kenn­nen­ler­nen. wirk­lich.

hel­mut schmidt ist ja ei­ner der men­schen, we­gen de­rer man nicht nur lan­ge le­ben möch­te, son­dern sich auch vor­stel­len kann alt zu wer­den. nicht nur we­gen der fri­sur, son­dern we­gen dem was er sagt:

Gio­va­ni Di Lo­ren­zo: Was sa­gen sie den Hun­dert­tau­sen­den Ju­gend­li­chen die be­haup­ten, die In­dus­trie­na­tio­nen be­wahr­ten ih­ren Wohl­stand auf Kos­ten der ar­men Län­der?
Hel­mut Schmidt: Der Vor­wurf ist ge­recht­fer­tigt. An­de­rer­seits bleibt un­klar, wie man die­sem Vor­wurf ent­spre­chen könn­te. Wenn den Ent­wick­lungs­län­dern in Asi­en, La­tein­ame­ri­ka und Afri­ka durch­grei­fend ge­hol­fen wer­den soll, dann müss­te das zu­las­ten des Le­bens­stan­dards in den wohl­ha­ben­den Län­dern ge­hen. Aber hier wür­den die Re­gie­run­gen ab­ge­wählt, wenn sie eine we­sent­li­che Ver­rin­ge­rung des Le­bens­stan­dards in Kauf neh­men soll­ten. Des­we­gen tun sie es nicht. Hier liegt ei­ner der ein­ge­bo­re­nen Feh­ler der De­mo­kra­tie.

mei­ne wor­te: ge­rech­tig­keit be­deu­tet nicht ge­gen ir­gend­was zu sein oder die gi­tar­re raus­zu­ho­len und von schul­den­er­lass zu sin­gen, son­dern „ver­zicht, rote bee­te statt man­gos [und] ein ende der un­glaub­li­chen ver­schwen­dung“.

ich freu mich dass das ma­ga­zin wie­der da ist. der pop­kul­tur­jun­kie hat ziem­lich viel drü­ber ge­schrie­ben, hai­ko he­big fin­det es ist ein gros­sen wurf ge­wor­den, netz­aus­fall ver­steht es nicht auf an­hieb, clap reisst wit­ze und lau­tes grund­rau­schen gibts jede men­ge.

ans bein pis­sen möch­te ich noch mal kurz der zeit on­line re­dak­ti­on. herr ran­dow ist ja ganz stolz und twit­tert dass er dort le­sen wür­de: mo­bil.zeit.de. nur was soll das? um die wall­raff re­por­ta­ge zu le­sen soll ich 29 mal blät­tern? was bit­te ist der un­ter­schied zu nur­text.zeit.de wo ich für den wall­raff-text nur 5 mal blät­tern muss? und war­um soll ich auf dem han­dy sie­ben oder fünf buch­sta­ben tip­pen, wenn es ei­ner auch täte: m.zeit.de? frag ja nur. war­um nicht mehr vom zeit­ma­ga­zin on­line steht frag ich gar nicht erst. die kron­ju­we­len ver­schenkt mag man bei der zeit eben nicht mit bann­nern ver­schan­deln.