brand­eins ge­gen goog­le

felix schwenzel

ich mag die brand­eins und die brand­eins hat auch ei­gent­lich nix ge­gen goog­le*. trotz­dem fand ich den ar­ti­kel von slaven ma­ri­no­vic in der ak­tu­el­len brand­eins über goog­le, bzw. „über den Ver­such ei­nes Un­ter­neh­mens, die Welt auf den Kopf zu stel­len“, är­ger­lich und ten­den­zi­ös.

wo­hin der ar­ti­kel zielt, wird be­reits auf der ers­ten sei­te klar, auf der ma­ri­no­vic das ge­schäfts­mo­dell von goog­le er­klärt:

Goog­le macht frem­de In­for­ma­tio­nen und In­hal­te im In­ter­net zu­gäng­lich und schal­tet da­ne­ben Wer­bung. Als ty­pi­scher Ver­tre­ter der Ge­ne­ra­ti­on In­ter­net sind Brin und Page da­von über­zeugt, dass alle Da­ten kos­ten­los sind. Das gilt selbst­ver­ständ­lich auch für die Ver­öf­fent­li­chung von Links, ohne die eine Na­vi­ga­ti­on durch das In­ter­net nicht mög­lich wäre. Es gilt aber nicht für die Ver­öf­fent­li­chung von frem­den geis­ti­gem Ei­gen­tum. Was Goog­le al­ler­dings nicht son­der­lich in­ter­es­siert.

es fol­gen er­klä­run­gen über den kon­flikt zwi­schen au­toren-ver­ei­ni­gun­gen und goog­le über das scan­nen von bü­chern aus bi­blio­theks­be­stän­den, über das goog­le book sett­le­ment und über „Zei­tungs­ver­la­ge, Pres­se­agen­tu­ren und Jour­na­lis­ten“, die „seit Jah­ren“ ge­gen goog­le-news sturm lie­fen. ma­ri­no­vic schreibt:

Aus­ge­wer­tet wer­den [von Goog­le News] Hun­der­te von Nach­rich­ten­quel­len […], selbst­ver­ständ­lich ohne Ge­neh­mi­gung. […] Für Ro­bert Thom­son vom »Wall Street Jour­nal« sind Un­ter­neh­men, die frem­de In­hal­te nut­zen, ohne da­für zu zah­len, schlicht­weg Pa­ra­si­ten, die den Be­stand von Qua­li­täts­jour­na­lis­mus ge­fähr­den.

Das Ge­gen­ar­gu­ment: Durch die Sei­te wer­den vie­le zu­sätz­li­che Be­su­cher auf die Nach­rich­ten­sei­te ge­lenkt. Was der ame­ri­ka­ni­sche Me­di­en­be­ra­ter Ar­non Mish­kin be­zwei­felt: „Der Traf­fic bei Nach­rich­ten­ag­gre­ga­to­ren ist dop­pelt so hoch wie auf den ei­gent­li­chen Nach­rich­ten­sei­ten. Die meis­ten Nut­zer le­sen nur die Schlag­zei­len und kli­cken nicht wei­ter.“

Das ist ein er­staun­li­ches ar­gu­ment ge­gen goog­le news, das man na­tür­lich auch ge­gen zeit­schrif­ten-händ­ler oder ki­os­ke ver­wen­den könn­te: auch dort le­sen die meis­ten men­schen nur die ti­tel­blät­ter, ohne auch nur ein heft oder eine zei­tung zu kau­fen. nach die­ser denk­art wür­de auch das fern­se­hen den fern­seh­pro­du­zen­ten kaum zu­schau­er ver­schaf­fen, denn fern­seh­zu­schau­er gu­cken auch nur was sie in­ter­es­siert und im­mer nur ei­nen ein­zi­gen ka­nal statt alle 300 vor­han­de­nen. noch blöd­sin­ni­ger wird das pseu­do-ar­gu­ment ge­gen ag­gre­ga­to­ren, wenn man sich an­sieht was zei­tun­gen und zeit­schrif­ten, de­ren on­line­auf­trit­te oder ar­ti­kel in der brand­eins ei­gent­lich ma­chen: sie alle agg­re­gie­ren nach­rich­ten, zi­ta­te, fak­ten aus an­de­ren quel­len („frem­de in­hal­te“) und prä­sen­tie­ren sie oft kos­ten­pflich­tig und mit wer­bung zu­sam­men auf ih­ren sei­ten. im fal­le von slaven ma­ri­no­vics ar­ti­kel auch ohne quel­len­an­ga­ben. so ist das zi­tat von ar­non mish­kin ein „frem­der in­halt“ aus ei­nem blog­ar­ti­kel von mish­kin. bei ei­nem an­de­ren zi­tat muss­te sich ma­ri­no­vic noch nicht mal die mühe ma­chen es zu über­set­zen. so steht in die­sem FAZ-ar­ti­kel:

„Es gibt da ein Mus­ter bei Goog­le: Erst ein­mal vor­pre­schen und spä­ter Fra­gen stel­len“, sagt Ja­mes Grim­mel­mann, Pro­fes­sor an der New York Law School, der auf In­ter­net­recht spe­zia­li­siert ist.

bei ma­ri­no­vic steht:

„Es gibt da ein Mus­ter bei Goog­le“, sagt Ja­mes Grim­mel­mann, Pro­fes­sor an der New York Law School. „Erst mal vor­pre­schen und spä­ter Fra­gen stel­len.“

meh­re­re zi­ta­te von gema-chef ha­rald he­ker hat sich ma­ri­no­vic of­fen­bar in ei­nem spie­gel-in­ter­view be­sorgt, ein zi­tat von con­stan­ze kurz steht wort­gleich in der welt und wäre ich nicht zu faul und zu blöd, wür­de ich si­cher noch die eine oder an­de­re quel­le im in­ter­net fin­den, wo ma­ri­no­vic sich be­dient ha­ben könn­te.

selbst­ver­ständ­lich ist das nichts schlim­mes, nach­rich­ten­quel­len aus­zu­wer­ten, leu­te zu zi­tie­ren oder in­ter­views mit ih­nen zu füh­ren. es ist für jour­na­lis­ten selbst­ver­ständ­lich, ihre in­ter­view­part­ner nicht zu be­zah­len und in­for­man­ten und „frem­de in­hal­te“ zu nut­zen und das ohne jede ge­neh­mi­gung zu tun. das nennt man — so­weit ich weiss — pres­se­frei­heit oder auch in­for­ma­ti­ons­frei­heit. pa­the­tisch aus­ge­drückt, die­ser freie zu­gang zu in­for­ma­tio­nen ist eine der grund­la­gen un­se­rer ge­sell­schaft.

war­um jour­na­lis­ten oder ver­le­ger, die von die­sen prin­zi­pi­en le­ben, an­de­ren, die - eben­so wie sie - in­for­ma­tio­nen agg­re­gie­ren, der­art ab­leh­nen und die pra­xis, mit der sie ih­ren le­bens­un­ter­halt ver­die­nen, bei an­de­ren als „pa­ra­si­tär“ oder den „qua­li­täts­jour­na­lis­mus“ ge­fähr­dend be­zeich­nen, kann ich mir ehr­lich­ge­sagt nicht er­klä­ren. aus­ser viel­leicht mit stan­des­dün­kel oder geld­gier. mit dem ge­schäfts­mo­dell der ver­le­ger und der jour­na­lis­ten soll bit­te kein an­de­rer geld ver­die­nen dür­fen? nach­rich­ten­quel­len aus­wer­ten, frem­de in­hal­te und ideen ohne ge­neh­mi­gung und ohne be­zah­lung zu nut­zen soll nur jour­na­lis­ten und jour­na­lis­ten-dar­stel­lern vor­be­hal­ten sein?

war­um for­dern ver­le­ger neu­er­dings eine be­tei­li­gung an den ein­nah­men die goog­le an­geb­lich an „ih­ren in­hal­ten“ ver­dient, zah­len aber ih­ren in­hal­te­lie­fe­ran­ten nichts? oder ist ir­gend­je­man­dem be­kannt, ob ver­la­ge in­ter­view­part­ner oder zi­t­ate­lie­fe­ran­ten an den wer­be­ein­nah­men die die ver­la­ge mit „frem­den geis­ti­gen ei­gen­tum“ ver­die­nen be­tei­li­gen? wel­cher ver­lag zahlt für zi­ta­te die er an­de­ren pu­bli­ka­tio­nen ent­nimmt? wel­cher ver­lag hat den grund­satz, jede quel­le, die sei­ne jour­na­lis­ten nut­zen, zu ver­lin­ken?

är­ger­lich fand ich an ma­ri­no­vics ar­ti­kel auch, dass er teil­wei­se un­dif­fe­ren­ziert und ir­re­füh­rend be­rich­tet. nicht nur, dass er vie­le sei­ner quel­len ver­schweigt und den ein­druck er­weckt die vie­len ex­per­ten und fach­leu­te hät­ten di­rekt mit ihm ge­spro­chen, er stellt die fak­ten auch ver­zer­rend dar. so schreibt er, dass goog­le desk­top search „Da­ten von pri­va­ten Fest­plat­ten auf Goog­le-Ser­ver“ ko­pie­re. laut goog­le wer­den aber nur „non-per­so­nal usa­ge data“, also an­ony­mi­sier­te nut­zungs-sta­tis­ti­ken vom goog­le desk­top an goog­le ge­sen­det. gut mög­lich, dass das un­ter um­stän­den an­ders ist, aber dann hät­te ich ger­ne eine quel­le oder ein paar hin­wei­se, wie er dazu kommt, zu be­haup­ten, da­ten wür­den „ko­piert.

oder wie er dazu kommt, ei­nen el­len­lan­gen ar­ti­kel zu schrei­ben, in dem er sei­ten­wei­se auf­führt, wie goog­le in eu­ro­pa und ame­ri­ka der wind ent­ge­gen weht, wie er über goo­gles kämp­fe mit ver­wer­tungs­ge­sell­schaf­ten, au­toren und ver­le­gern be­rich­tet, dar­über schreibt wie die deut­sche bun­des­re­gie­rung beim ame­ri­ka­ni­schen jus­tiz­mi­nis­te­ri­um in sa­chen „goog­le book sett­le­ment“ in­ter­ve­nier­te, wie via­com, die in­di­sche und die ame­ri­ka­ni­sche re­gie­rung goog­le zur her­aus­ga­be von nut­zer­da­ten zwan­gen und dann auf der letz­ten sei­te schreibt:

An­ders als de­mo­kra­ti­sche Rechts­staa­ten zö­gern au­to­ri­tä­re Re­gime kei­ne Se­kun­de, un­bot­mä­ßi­ge Un­ter­neh­men an die kur­ze Lei­ne zu neh­men.

ent­we­der hat slaven ma­ri­no­vic sei­nen ei­ge­nen ar­ti­kel nicht ge­le­sen, oder nie da­von ge­hört, dass die deut­sche rechts­la­ge durch­aus, wie bei „au­to­ri­tä­ren Re­gi­men“ üb­lich eine zen­sur von sucherg­er­geb­nis­sen vor­sieht. wie burk­hard schrö­der es ein biss­chen dif­fe­ren­zier­ter aus­drückt:

In je­dem Land der Welt, auch in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, wer­den aus­län­di­sche In­ter­net­sei­ten ge­sperrt. Jede Re­gie­rung glaubt, ihre Un­ter­ta­nen vor In­hal­ten, die ihr nicht ge­nehm sind, schüt­zen zu müs­sen, mal mehr, mal we­ni­ger. De­mo­kra­tien fol­tern, wie die USA, ge­nau­so wie Dik­ta­tu­ren, aber nicht so oft. De­mo­kra­tien zen­sie­ren das In­ter­net, wie Deutsch­land, ge­nau­so wie Dik­ta­tu­ren, aber nicht so oft.

ich bin mir nicht si­cher was den qua­li­täts­jour­na­lis­mus mehr ge­fähr­det. so ein hum­bug mit ama­teur­haft zu­sam­men­ge­strick­ten zi­ta­ten, satz­fet­zen und halb­wis­sen wie auf den sei­ten 19 bis 26 in der brand­eins 01/10 oder such­ma­schi­nen wie goog­le oder ag­gre­ga­to­ren die un­ge­fragt „frem­des geis­ti­ges ei­gen­tum“ zu­gäng­lich ma­chen.

[nach­trag 28.12.2009, 23:36h]
*) die on­line-re­dak­ti­on der brand­eins scheint goog­le wirk­lich zu mö­gen. so wird dem goog­le-bot nicht nur bis auf ei­ni­ge aus­nah­men die ge­sam­te site ex­pli­zit als kom­plett in­de­xier­bar de­kla­riert (auf al­len typo3-ge­ne­rier­ten sei­ten steht eine meta name="ro­bots" con­tent="in­dex, fol­low"-an­wei­sung). auch der ve­ri­fy-code der goog­le web­mas­ter-tools ist im quell­text zu fin­den (meta name="ve­ri­fy-v1"), was eine nut­zung der goog­le web­mas­ter-tools na­he­legt. aus­ser­dem wird goog­le-ana­ly­tics auf brand­eins.de ge­nutzt. das ist in­so­fern er­staun­lich, weil slaven ma­ri­no­vic schreibt, dass Ana­ly­tics von da­ten­schüt­zern für un­zu­läs­sig ge­hal­ten wird. zi­tat ma­ri­no­vic:

Für Ge­raldRenschlRei­schl, den Au­tor des Bu­ches „Die Goog­le-Fal­le“, geht die größ­te Ge­fahr aber von Goog­le Ana­ly­tics aus. […] Da­ten­schüt­zer in Bund und Län­dern hal­ten es nach deut­schem Recht für un­zu­läs­sig und wol­len Web­site-Be­trei­ber dazu be­we­gen, auf den Ein­satz die­ses Tools zu ver­zich­ten — not­falls auch mit Sank­tio­nen.

[nach­trag 01.02.2010]
der brand­eins ar­ti­kel ist jetzt on­line und ich habe ein paar links hin­zu­ge­fügt. aus­ser­dem hab ich vor acht ta­gen mit ei­nem wei­te­ren ein­trag zum the­ma noch­mal nach­ge­fasst.