da­vid fos­ter wal­lace: „schreck­lich amü­sant - aber in zu­kunft oh­ne mich“

felix schwenzel

vor ein paar ta­gen hat mir die bei­fah­re­rin ein buch von da­vid fos­ter wal­lace auf den nacht­tisch ge­legt. auf dem nacht­tisch sind bü­cher bei mir nicht son­der­lich gut auf­ge­ho­ben, weil ich beim im bett le­sen im­mer ein­schla­fe. als ich es dann mal mit in die ba­de­wan­ne nahm, hab ich es in ei­nem rutsch halb durch­ge­le­sen (zu­en­de ge­le­sen habe ich es an ei­nem an­de­ren tag in der ba­de­wan­ne). es ist mit 183 klei­nen sei­ten aber auch nicht son­der­lich um­fang­reich. der in­halt des bu­ches lässt sich eben­falls flott zu­sam­men­fas­sen: da­vid fos­ter wal­lace be­gibt sich im märz 1995 für eine wo­che an bord ei­nes kreuz­fahrt­schif­fes und schreibt dar­über.

das buch liest sich auch des­halb so flüs­sig, weil es gross­ar­tig von mar­cus in­gen­da­ay über­setzt wur­de. mir ist das über­haupt noch nie pas­siert, dass ich beim le­sen dach­te: „was für ein schö­nes deutsch!“ und mir plötz­lich auf­fiel, dass das gar kein deut­scher au­tor ist, den ich da lese. in­gen­da­ay hat das buch so toll über­setzt, dass wal­lace glatt als deut­scher au­tor durch­ge­hen wür­de. ich wür­de so­gar so weit ge­hen und sa­gen, in­gen­da­ay über­setzt und schreibt noch ei­nen ti­cken bes­ser als carl weiss­ner.

wal­lace schreibt un­prä­ten­ti­ös, aber un­fass­bar scharf und ge­nau be­ob­ach­tend, läs­tert un­er­bitt­lich ge­gen gäs­te oder be­diens­te­te die er nicht mag, wirkt aber nie mis­an­throp, im ge­gen­teil, er schreibt ex­trem sub­jek­tiv, wer­tet aber viel­mehr durch die art wie er men­schen und zu­stän­de neu­tral be­schreibt als durch ur­tei­le. ähn­lich wie jo­chen reine­ckes „geis­ter ab­schüt­teln“, er­in­nert mich „schreck­lich amü­sant - aber in zu­kunft ohne mich“ an ei­nen zu lang ge­ra­te­nen blog­ar­ti­kel. wal­lace nennt sich im buch auch ein­mal selbst „ver­kapp­ter jour­na­list“, et­was was heut­zu­ta­ge nur noch blog­ger tun (oder so von mu­si­kan­ten ge­nannt wer­den). statt hy­per­links nutzt wal­lace fuss­no­ten, ins­ge­samt weit über 136 stück. fuss­no­te 136 ist die letz­te fuss­no­te, da man­che fuss­no­ten aber auch mit fuss­no­ten ver­se­hen sind, dürf­ten es so um die 150 fuss­no­ten sein.

na­tür­lich schweift wal­lace teil­wei­se irre weit ab, bleibt aber selbst in die­sen ab­schwei­fun­gen akri­bisch. in ei­ner die­ser ab­schwei­fun­gen, wid­met er sich über ca. 10 sei­ten der wer­bung und der PR. er regt sich furcht­bar über ei­nen be­zahl­ten PR-text des von ihm hoch­ge­schätz­ten ame­ri­ka­ni­schen schrift­stel­lers frank con­roy auf, der im ka­ta­log der kreuz­fahrt­li­nie, mit der auch wal­lace un­ter­wegs war, er­schie­nen ist.

Das Haupt­übel des Pro­jekts «Mei­ne Ce­le­bri­ty-Kreuz­fahrt» ist sei­ne Schein­hei­lig­keit. Wie dreist hier Pro­duct-Pla­ce­ment be­trie­ben wird, zer­setzt jede li­te­ra­ri­sche Se­rio­si­tät und über­trifft in die­ser hin­sicht al­les, was man in den ver­gan­ge­nen Jah­ren er­le­ben muss­te. Con­roys «Es­say» er­scheint in ei­ner Art Son­der­teil in der Mit­te des Hef­tes, auf dün­ne­rem Pa­pier und mit ei­nem an­de­ren Lay­out, und er­weckt da­durch den Ein­druck ei­nes Aus­zugs aus ei­nem ei­gen­stän­di­gen li­te­ra­ri­schen Werk. Doch das ist kei­nes­wegs der Fall. Tat­säch­lich han­delt es sich um eine rei­ne Auf­trags­ar­beit, be­zahlt von Ce­le­bri­ty, nur wird das nir­gend­wo er­wähnt. […]

Kurz, Ce­le­bri­ty Crui­ses ver­kauft uns Con­roys Rei­se­be­richt als Es­say und nicht als Wer­bung. Dies je­doch ist von Übel. War­um? Weil ein Es­say, un­ab­hän­gig von der dar­in zum Aus­druck ge­brach­ten Wer­tung des Ce­le­bri­ty-Pro­dukts, eben zu­al­ler­erst dem Le­ser ver­pflich­tet ist und nicht dem Auf­trag­ge­ber. Und ob er sich des­sen be­wusst ist oder nicht, der Le­ser ver­lässt sich auf die­se Selbst­ver­pflich­tung des Au­tors und be­geg­net dem Es­say mit ei­nem ho­hen Grad an Ver­trau­en. Wer­bung funk­tio­niert da­ge­gen völ­lig an­ders. Wer­bung hat sich, was ih­ren Wahr­heits­ge­halt an­geht, nur an be­stimm­te for­mal­ju­ris­ti­sche und mit et­was rhe­to­ri­schem Ge­schick leicht zu um­ge­hen­de Re­geln zu hal­ten — und kennt dar­über hin­aus nur ein ein­zi­ges Ziel: Um­satz­stei­ge­rung. Ganz gleich, was die Wer­bung zur Er­göt­zung des Le­sers al­les in­sze­niert, es ge­schieht nie zu des­sen Nut­zen. Und der Le­ser weiß das na­tür­lich, er weiß dass der Un­ter­hal­tungs­wert von Wer­bung ei­nem Ge­schäfts­kal­kül folgt und wird ihr ent­spre­chend mit Vor­sicht be­geg­nen. Wir alle neh­men Wer­bung ge­wis­ser­ma­ßen nur ge­fil­tert wahr38.

Im Fall des Con­roy-«Es­says» setzt Ce­le­bri­ty Crui­ses al­les dar­an, die­sen Fil­ter durch den Kunst­an­spruch des Tex­tes zu de­ak­ti­vie­ren. Doch Wer­bung, die vor­gibt, Kunst zu sein, gleicht im güns­tigs­ten Fall dem ge­win­nen­den Lä­cheln des­sen, der et­was von ei­nem will. Das ist nicht nur un­auf­rich­tig, die du­bio­se Aus­strah­lung sol­cher Er­zeug­nis­se kann sich in uns an­rei­chern wie ein Um­welt­gift. Die aus Be­rech­nung un­ter­nom­me­ne Si­mu­la­ti­on zweck­frei­er Freund­lich­keit bringt lang­fris­tig alle un­se­re Maß­stä­be durch­ein­an­der und führt dazu, dass ir­gend­wann auch das ech­te Lä­cheln, die ge­nui­ne Kunst, die wah­re Freund­lich­keit un­ter Kom­merz­ver­dacht ste­hen. An­dau­ern­der Ver­trau­ens­bruch macht rat­los und ein­sam, hilf­los und wü­tend und ängst­lich. Er ist die Ur­sa­che von Ver­zei­flung.

(38) Aus die­sem Grund wird selbst wirk­lich schö­ne, in­tel­li­gen­te oder mit­rei­ßen­de Wer­bung (und die gibt es) nie­mals ech­te Kunst sein kön­nen. Ihr fehlt näm­lich derGe­schenk­cha­rak­ter(d.h. sie wur­de niefürih­ren Adres­sa­ten ge­macht).

[sei­te 65 ff., fet­tun­gen von mir]

die fuss­no­te 38 hat es mei­ner mei­nung nach in sich. in ei­ni­gen blog­ar­ti­keln der let­zen tage habe ich ge­nau über die­ses the­ma ge­le­sen, wenn auch meist in et­was an­de­rem zu­sam­men­hang. so schreibt mi­cha­el see­mann auf faz.net, dass blog­tex­te (in der re­gel) „ge­schen­ke“ sei­en:

Man setzt sich hin, schreibt und ver­öf­fent­licht ohne die In­ten­ti­on, ir­gend­et­was da­für zu­rück zu be­kom­men. Ant­je Schrupp hat das auf ihre un­nach­ahm­lich per­sön­li­che Art er­zählt, wie das Blog­gen für sie funk­tio­niert und ich kann mich ih­rer Er­fah­rung nur an­schlie­ßen. Für sie funk­tio­niert Blog­gen über eine Form des "Be­geh­rens" nach dem Aus­druck für ein The­ma. Die­ser Aus­druck, wür­de ich hin­zu­fü­gen, ist ein Be­geh­ren des Schen­kens, des Tei­lens der In­for­ma­ti­on mit der Welt.

die­ser ge­schenk­cha­rak­ter von blogs (oder auch li­te­ra­tur oder kunst) ist wohl auch der grund, war­um ei­ni­ge so emp­find­lich oder über­sen­si­bel auf wer­bung in blogs re­agie­ren. wie ich mir vor ei­ner wei­le schon mal läng­lich über­legt habe, auch nicht ganz zu un­recht. ver­trau­en und auf­merk­sam­keit der le­ser sind, eben­so wie blog­tex­te, ge­schen­ke, die man gar nicht hoch ge­nug schät­zen kann. vor al­lem wenn man so schreibt wie ix.

um die pa­thos-ska­la noch eine stu­fe hö­her­zu­dre­hen: heu­te habe ich bei ralf schwartz ein vi­deo über ei­nem tod­kran­ken mann ge­se­hen, der sei­ne gan­ze so­zi­al­hil­fe und rest­le­bens­zeit für mu­sik­in­stru­men­te und kos­ten­lo­sen mu­sik­un­tericht aus­gibt die er kin­dern schenkt. un­ter an­de­rem sagt er in die­sem film: „mu­sic is a gift.“

bleibt ei­gent­lich nur eine fra­ge: ist das wer­bung wenn ich zum kauf des da­vid fos­ter wal­lace-bu­ches auf­for­de­re?