„sou­ve­rän, an­spruchs­voll und klug“

felix schwenzel

Der Frei­tag de­fi­niert Qua­li­täts­jour­na­lis­mus im di­gi­ta­len Zeit­al­ter für den deutsch­spra­chi­gen Raum neu. Sou­ve­rän, an­spruchs­voll und klug for­dert der Frei­tag zum ge­sell­schaft­li­chen Dia­log und zur Dis­kus­si­on auf. Und trägt selbst mit kri­ti­schen und kon­struk­ti­ven Mei­nun­gen dazu bei. Der Frei­tag bie­tet sei­nen Le­sern weit mehr als ak­tu­el­le Nach­rich­ten: Er zeigt Hin­ter­grün­de auf, ver­netzt In­for­ma­tio­nen in­ter­na­tio­nal und aus al­len Me­di­en­ka­nä­len. Da­mit er­laubt er eine re­le­van­te Sicht auf die heu­ti­ge Welt – on­line und off­line glei­cher­ma­ßen.
[quel­le]

der frei­tag, das selbst­er­nann­te, „ver­net­zen­de“ „mei­nungs­me­di­um“ ko­ope­riert mit dem bri­ti­schen guar­di­an und über­nimmt re­gel­mäs­sig ar­ti­kel aus dem guar­di­an, über­setzt und ver­öf­fent­licht sie, auf pa­pier und im print. of­fen­sicht­lich er­streckt sich die­se ko­ope­ra­ti­on auch auf blog­ar­ti­kel die auf guar­di­an.co.uk er­schei­nen. so hat frei­tag.de die­sen ar­ti­kel von roy greens­la­de über­setzt und über­nom­men und auf frei­tag.de ver­öf­fent­licht.

das ist ja auf den ers­ten blick enorm lo­bens­wert. nur: der ori­gi­nal-ar­ti­kel von roy greens­la­de über das me­di­en­echo der gran­dio­sen re­por­ta­ge von mi­cha­el has­tings im rol­ling stone über den af­gha­ni­stan-krieg und ge­ne­ral stan­ley mc­chry­tal und sei­nen stab („The ama­zing me­dia sto­ry be­hind the as­to­nis­hing Mc­Chrys­tal in­ter­view“) ent­hält un­ge­fähr 12 links auf ex­ter­ne sei­ten, ein ein­ge­bet­te­te­tes you­tube-vi­deo und fasst am ende über­sicht­lich die quel­len zu­sam­men. der re­pro­du­zier­te und über­set­ze ar­ti­kel im frei­tag ent­hält hin­ge­gen ge­nau null links, kein ein­ge­bet­te­tes you­tube-vi­deo und ver­zich­tet so­gar auf ei­nen link zum ori­gi­nal-ar­ti­kel.

das ist in­so­fern er­schüt­ternd, weil es in dem ar­ti­kel un­ter an­de­rem um die un­fä­hig­keit des rol­ling stone ging, on­line ade­quat auf das enor­me me­di­en­echo zu re­agie­ren (sie­he auch emi­ly bells ein­schät­zung dazu), weil er es eine gan­ze wei­le lang nicht on­line ver­öf­fent­lich­te. im frei­tag liest man dann:

Und so kam es, dass ei­ni­ge Stun­den lang der ein­zi­ge Ort im Netz, an dem man nichts über das Rol­ling-Stone-Sück le­sen konn­te, die Web­sei­te des Rol­ling Stone war.

und so kam es dann, dass der frei­tag ei­nen wun­der­ba­ren, link­rei­chen und lehrei­chen blog­ar­ti­kel wo­chen­lang (bis jetzt), schwer kas­triert auf sei­ner web­sei­te ste­hen hat.

ja­kob aug­stein be­haup­tet zwar, dass der frei­tag sei­ne „User“ ernst neh­me, aber die­ses ernst neh­men geht wohl nicht so weit, dass sie sich eine mei­nung aus­ser­halb von frei­tag.de bil­den sol­len.

kann na­tür­lich auch sein, dass das al­les durch die irre tol­le ver­schrän­kung von on­line und off­line ent­stan­den ist und beim frei­tag im­mer noch ir­gend­wie off­line first gilt, die be­schrän­kun­gen des print­for­mats also auch on­line an­ge­wen­det wer­den. was na­tür­lich nicht ge­ra­de für das kon­zept des frei­tag spricht.

das gan­ze ist, wie ge­sagt, be­son­ders pein­lich, weil greens­lades ar­ti­kel ge­nau um das nicht­ver­ste­hen von on­line­me­cha­nis­men und de­ren dy­na­mik beim rol­ling stone ging, aber auch um das ver­sa­gen der nach­rich­ten­agen­tur ap, die die den spreng­stoff, der in has­tings re­por­ta­ge in ei­ner vor­ab­mel­dung des rol­ling stones stand, nicht er­kann­te.

wie um die­se on­line-aver­si­on des frei­tag zu ver­tu­schen, wan­delt sich der „on­line news cy­cle“ mit dem man­che print-ma­ga­zi­ne laut greens­la­de of­fen­bar nicht um­ge­hen kön­nen, in der frei­tag-über­set­zung zu ei­nem stink­nor­ma­len „Nach­rich­ten­zy­klus“.

greens­la­de schliesst auch im frei­tag mit die­sem satz:

Wie konn­te der Rol­ling Stone im di­gi­ta­len Zeit­al­ter auch nur dar­über nach­den­ken, eine so wich­ti­ge, die Agen­da be­stim­men­de Ge­schich­te nur ge­druckt zu ver­öf­fent­li­chen?

ich fra­ge mich, wie kann man ei­nen ar­ti­kel über eine so so wich­ti­ge, die agen­da be­stim­men­de ge­schich­te, die sich vor­nehm­lich on­line ab­spiel­te, ohne ei­nen ein­zi­gen link ver­öf­fent­li­chen? mei­ne ant­wort lau­tet: durch dumm­heit und ar­ro­ganz. ob­wohl es in wahr­heit wahr­schein­lich nur schlam­pig­keit war.


die re­por­ta­ge von mi­cha­el has­tings im rol­ling stone („ The Ru­na­way Ge­ne­ral “), die zur ent­las­sung ge­ne­ral mc­chrys­tals führ­te, ist üb­ri­gens wirk­lich gran­di­os und sehr, sehr le­sens­wert.


ei­nen wei­te­ren sehr in­ter­es­san­ten aspekt an has­tings re­por­ta­ge be­leuch­tet üb­ri­gens jeff jar­vis. er ver­bin­det mc­chrys­tals de­mis­si­on mit sei­nem lieb­lings­the­men, trans­pa­renz und of­fen­heit. er fragt sich ob mc­chrys­tal (und da­vid wei­gels) rück­tritt nicht nur da­mit zu tun habe, dass er ei­ge­ne mei­nun­gen ver­trat und aus­sprach, son­dern viel­leicht eher mit der angst vor of­fen­heit und den ein­ge­spiel­ten re­geln im po­li­ti­schen ta­ges­ge­schäft.

jar­vis:

One opi­ni­on leaks out of the opi­ni­on­less man and it is shared and lin­ked and spread in­stant­ly. The in­sti­tu­ti­ons tre­at this re­ve­la­ti­on as a shock and scan­dal — as a th­re­at — and they eject the opi­ni­ona­ted men. That is what hap­pen­ed to Mc­Chrys­tal and We­igel.

In my thin­king for my book on pu­blic­ness, I keep try­ing to look at such fe­ars and of­fen­ses and turn them around to ask what they say not about the scan­da­lous but in­s­tead about the scan­da­li­zed — about us and about our myths and rea­li­ties.

jar­vis for­dert auch für die jour­na­lis­ti­sche ar­beit mei­nungs­stär­ke, of­fen­heit und trans­pa­renz. skep­zis sei ohne mei­nungs­stär­ke gar nicht mög­lich und skep­zis ge­gen­über in­sti­tu­tio­nen sei eine der grund­la­gen für an­stän­di­gen jour­na­lis­mus. und er for­dert auch we­ni­ger zu­rück­hal­tung von jour­na­lis­ten, sei es weil jour­na­lis­ten in­for­ma­tio­nen we­gen vor­aus­ei­len­der gen­tle­man’s agree­ments zu­rück­hal­ten, oder aus furcht zu­gang zu ih­ren quel­len zu ver­lie­ren:

I think […] that pri­va­cy for go­vern­ment and tho­se who co­ver it is exact­ly what we do not need, exact­ly what we are working to eli­mi­na­te with suns­hi­ne and pu­blic­ness. Jour­na­lists should have been the ones ope­ning the dra­pes on tho­se dark rooms but they didn’t be­cau­se they were se­du­ced by their in­vi­ta­ti­ons in. So out­si­ders are for­cing them open. Hur­rah. Pri­va­cy is what pro­tects the ty­rants of North Ko­rea and East Ger­ma­ny. Trans­pa­ren­cy is what kills them.


rich­tig in­ter­es­sant wirds dann al­ler­dings nicht bei jar­vis selbst, son­dern bei mayhill fow­ler, auf de­ren eben­falls mc­chry­tal-in­spi­rier­ten ar­ti­kel in der huf­fing­ton post jar­vis linkt. sie schreibt über die kri­tik an has­tings und dass er nach mei­nung ei­ni­ger jour­na­lis­ten-kol­le­gen gar nicht über so über mc­chrys­tal und die auch al­ko­hol-in­du­zier­ten äus­se­run­gen von mit­glie­dern sei­nes sta­bes hät­te schrei­ben dür­fen und dass er mit sei­ner re­por­ta­ge die fei­ne li­nie zum ver­trau­ens­bruch über­schrit­ten hät­te.

in­ter­es­sant ist das des­halb, weil mayhill fow­ler selbst eine sol­che kon­tro­ver­se aus­ge­löst hat­te, als sie wäh­rend des letz­ten prä­si­dent­schafts-wahl­kampfs über eine kon­tro­ver­se äus­se­rung ba­rack oba­mas be­rich­tet hat­te („bit­ter­ga­te“), die er auf ei­ner ge­schlos­se­nen ver­an­stal­tung, die nur für sei­ne un­ter­stüt­zer of­fen war, ge­äus­sert hat­te.

das wirft span­nen­de fra­gen zum jour­na­lis­ti­schen selbst­ver­ständ­nis auf:

In the end, it's not a mat­ter of beat re­por­ters ver­sus free­lan­cers, of brea­king the code and lo­sing ac­cess. Any re­por­ter worth his or her salt would have re­por­ted exact­ly as Has­tings and I did. So­me­ti­mes the sto­ry trumps every other con­side­ra­ti­on. Over time, I've come to see that every litt­le bit of re­por­ta­ge, no mat­ter how quo­ti­di­an, is a small act of be­tra­y­al. The mere chro­nicling of an event, in the act of choo­sing words, in the fi­xing of the ca­me­ra lens, af­fects it. Any­bo­dy who has ever been part of so­me­thing and la­ter seen it in the press has ex­pe­ri­en­ced that mo­ment of dis­as­so­cia­ti­on, the know­ledge that the re­por­ta­ge, no mat­ter how good and ac­cu­ra­te, has not cap­tu­red quite what was seen and felt, and now that the event has been chro­nic­led, has ch­an­ged it. In this way, jour­na­lism is ra­ther like quan­tum phy­sics.


an all die­sem lesestoff kann man sich stun­den­lang fest­na­gen (oder es las­sen), aber mit der ar­ro­gan­ten selbst­wahr­neh­mung als her­me­ti­sches mei­nungs­me­di­um, das nicht nach aus­sen linkt, wird das mit dem „Qua­li­täts­jour­na­lis­mus im di­gi­ta­len Zeit­al­ter“ nichts.