mein schwin­den­der re­spekt vor der brand­eins

felix schwenzel

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dirk von geh­len:

Die ak­tu­el­le Aus­ga­be der Zeit­schrift brand eins hat sich das The­ma “Re­spekt” ge­ge­ben und be­han­delt un­ter die­sem Dach auch die Fra­ge des geis­ti­gen Ei­gen­tums. Der Text “Ge­klaut bleibt ge­klaut” von Tho­mas Ram­ge ist on­line nicht ver­füg­bar. Im Heft trägt er den Un­ter­ti­tel “Mu­sik, Fil­me – und jetzt Bü­cher: Im In­ter­net gilt geis­ti­ges Ei­gen­tum we­nig. Au­toren und Ver­la­ge be­gin­nen sich zu weh­ren. Mit gu­ten ju­ris­ti­schen und öko­no­mi­schen Ar­gu­men­ten”
In dem Text, der sich selbst als “kur­ze Ge­schich­te der On­line-Pi­ra­te­rie” be­schreibt, kom­men Ver­lags­ver­tre­ter eben­so zu Wort wie zum Bei­spiel Phil­ipp Otto von iRights.info und Ro­bin Mey­er-Lucht von car­ta.info.

Trotz­dem hin­ter­lässt er mich rat­los. [quel­le]

mich macht der brand­eins-text ein biss­chen wü­tend. nicht weil er ein­deu­tig ten­den­zi­ös ge­schrie­ben wur­de, son­dern weil er so schlecht ge­schrie­ben ist und vor lo­gi­schen fehl­schlüs­sen nur so trotzt (sie­he wei­ter un­ten).

äus­ser­lich gibt sich der text jour­na­lis­tisch ein­wand­frei. alle re­le­van­ten sei­ten wer­den ge­hört und zi­tiert, wer­tun­gen wer­den vor­nehm­lich in zi­ta­ten aus­ge­spro­chen und auf den ers­ten blick wirkt es, als sei­en alle wich­ti­gen aspek­te zum the­ma zu­min­dest ein­mal kurz und re­la­tiv ob­jek­tiv an­ge­leuch­tet wor­den.

ram­ge hat aber so vie­le aspek­te und ge­dan­ken der dis­kus­si­on um „geis­ti­ges ei­gen­tum“ und „raub­ko­pie­ren“ aus­ge­las­sen, dass man sich un­wei­ger­lich fragt: ist der so blöd oder steckt da kal­kül da­hin­ter? bei­des wäre är­ger­lich.

zum the­ma flattr, zi­tiert ram­ge den „vor­wärts“-re­dak­teur kars­ten wenz­laff, pro­fi­tier­ten vor al­lem die­je­ni­gen, „die po­pu­lis­tisch po­la­ri­sie­ren“. kein wort über tim pritl­ove. die flattr-er­fah­run­gen der taz wer­den nur am ran­de er­wähnt.

kein wort zum bra­si­lia­ni­schen au­tor paul coel­ho, der „raub­ko­pien“ sei­ner ei­ge­nen wer­ke ins in­ter­net stellt und da­mit nach ei­ge­nen wor­ten mehr bü­cher ver­kauft.

kein wort dazu, was au­toren wie neil gai­man zur the­ma­tik sa­gen.

kei­ne er­wäh­nung von wis­sen­schaft­li­chen er­kennt­nis­sen, die na­he­le­gen, dass die ab­we­sen­heit von ur­he­ber­rech­ten durch­aus zu ei­nem blü­hen­den ver­lags­we­sen füh­ren kann.

kei­ne er­wäh­nung da­von, dass mo­der­ne „wis­sens­ar­bei­ter“, wie ram­ge durch­ge­hend all die­je­ni­gen nennt die von ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen ge­schä­digt wer­den, auf den schul­tern von gi­gan­ten (und zwer­gen) ste­hen und de­ren er­kenn­ti­nis­se na­tür­lich auch kos­ten­los nut­zen.

kei­ne er­wäh­nung, nicht mal an­satz­wei­se, von der re­mix-feind­lich­keit — und da­mit auch kul­tur-feind­lich­keit — des mo­der­nen ur­he­ber­rechts, bzw. das man selbst ar­ri­vier­te wis­sens­ar­bei­ter künst­ler als „ko­pis­ten“ be­zeich­nen müss­te, wenn man sich mit der ma­te­rie ein­ge­hend be­schäf­tigt.

das al­les ist des­halb är­ger­lich, weil ich lieb­los zu­sam­men­ge­flansch­te und ten­den­ziö­se müll-ar­ti­kel zum ur­he­ber­recht über­all le­sen und se­hen kann, von der brand­eins aber ei­nen ti­cken mehr er­war­te. das so vie­le gute ar­gu­men­te oder gute grün­de zur dif­fe­ren­zie­rung in ram­ges ar­ti­kel ein­fach aus­ge­blen­det wer­den ist nicht mal das är­ger­lichs­te. är­ger­lich ist, dass die ar­gu­men­te für das klas­si­sche ur­he­ber­recht die der ar­ti­kel bringt so schwach und so aus­ge­lutscht sind. das mag dar­an lie­gen, dass die­se ar­gu­men­te vor­nehm­lich von der ver­lags­lei­te­rin des cam­pus-ver­la­ges kom­men, die na­tür­lich kei­nen spass dar­an hat, über al­ter­na­ti­ve, neue oder in­no­va­ti­ve ge­schäft­mo­del­le oder mo­der­ne, zeit­ge­mäs­se for­men des ur­he­ber­rechts nach­zu­den­ken. für sie hört bei der durch­set­zung von ur­he­ber­rech­ten der spass auf, „spä­tes­tens wenn ein Ge­schäfts­mo­dell da­hin­ter­steht“. klar. wer ein pferd nach dem auto be­fragt, be­kommt vor al­lem ar­gu­men­te für kut­schen zu hö­ren.

zi­tat von an­net­te an­ton, aus dem letz­ten ab­satz von ram­ges ar­ti­kel, qua­si das schluss­wort:

Selbst wenn die­se Be­trei­ber und Nut­zer von Tausch­bör­sen hun­dert­mal be­haup­ten, sie hät­ten gro­ße Hoch­ach­tung vor der krea­ti­ven Leis­tung der Au­toren.

„Re­spekt drü­cke ich aus, in­dem ich für eine Leis­tung be­zah­le. Al­les an­de­re ist däm­li­ches Ge­schwätz.“

das ist äus­serst befau­er­lich, denn so kann frau an­ton we­der künst­ler wie pi­cas­so, ru­bens, mi­chel­an­ge­lo oder ho­mer „re­spek­tie­ren“. de­ren leis­tung kann sie nun mal nicht be­zah­len. auch der re­spekt den tho­mas ram­ge frau an­ton oder phil­lipp otto oder ro­bin mey­er-lucht oder jeff jar­vis ent­ge­gen­bringt muss mi­ni­mal sein. denn be­zahlt hat der sie für ihre state­ments si­cher nicht.

auch ich ver­lie­re lang­sam aber si­cher mei­nen re­spekt ge­gen­über der brand­eins. nicht weil ich in ihr mei­nun­gen lese, die nicht mit mei­nen über­ein­stim­men, son­dern weil die­se ar­ti­kel zu­neh­mend oft hand­werk­lich mi­se­ra­bel ge­macht sind (sie­he auch slaven ma­ri­no­vic über goog­le).

in drei bis vier wo­chen wird tho­mas ram­ges text kos­ten­los ver­füg­bar auf brand­eins.de ste­hen. dann wird aus ei­nem schlech­ten text (nach an­net­te an­tons lo­gik) „däm­li­ches Ge­schwätz“.


tho­mas ram­ge zi­tiert für eine huf­fing­ton-post-fun­da­men­tal-kri­tik spie­gel on­line:

Die Huf­fing­ton Post hat die Me­tho­de per­fek­tio­niert, aus in­ter­es­san­ten Ar­ti­keln ir­gend­wo da drau­ßen im Web ein in­ter­es­san­tes De­tail zu ex­tra­hie­ren, dar­aus ei­nen Kurz­ar­ti­kel samt Link zur Ori­gi­nal­quel­le zu schmie­den und das Gan­ze mit ei­ner mög­lichst klick- und such­ma­schi­nen­op­ti­mier­ten Über­schrift zu ver­se­hen.

ei­ner­seits ist das na­tür­lich eine ziem­li­che re­spekt­lo­sig­keit, die­sen text der von den „wis­sens­ar­bei­tern“ chris­ti­an stö­cker und con­rad lisch­ka ge­zeich­net ist (cis/lis), ohne de­ren leis­tung zu be­zah­len und ohne de­ren na­men zu nen­nen zu ver­wurs­ten. ab­ge­se­hen da­von ist ge­nau das nun­mal das ge­schäft von jour­na­lis­ten, in der re­gel ex­tra­hie­ren jour­na­lis­ten eben in­ter­es­san­te de­tails oder ge­dan­ken aus an­de­ren quel­len — al­ler­dings meist ohne link zur ori­gi­nal­quel­le.

nichts ge­gen spie­gel-on­line, aber wenn man sich al­lein die aus­beu­te ei­ner ein­zi­gen wo­che an­sieht, in der spie­gel-on­line ar­ti­kel-de­tails aus der los an­ge­les times oder vom klatsch-por­tal tmz ex­tra­hiert, dar­aus ei­nen kurz­ar­ti­kel ohne link zur ori­gi­nal­quel­le klöp­pelt und das gan­ze mit ei­ner mög­lichst klick- und such­ma­schi­nen­op­ti­mier­ten über­schrift ver­sieht, dann fragt man sich: was woll­ten uns ram­ge, stö­cker und lisch­ka noch­mal ge­nau sa­gen?

ge­nau: jour­na­lis­mus ist (auch) prak­ti­zier­tes pa­ra­si­ten­tum mit no­blem an­strich und pro­fes­sio­nel­ler fas­sa­de.


am er­schüt­terns­ten fin­de ich die kru­de lo­gik vom ram­ge an die­ser stel­le:

So kur­sie­ren je­den Sonn­tag­nach­mit­tag auf den ein­schlä­gi­gen File­sha­ring-Platt­for­men App-Ver­sio­nen des am Mon­tag er­schei­nen­den Nach­rich­ten­ma­ga­zins »Der Spie­gel« — bei de­nen sich die Ko­pis­ten auch noch die Mühe ge­macht ha­ben, die Wer­bung zu ent­fer­nen. Sie be­kämp­fen also nicht nur das Ur­he­ber­recht, son­dern auch ein Ge­schäfts­mo­dell, das im­mer­hin dazu führt, dass das Ma­ga­zin für Käu­fer er­schwing­lich wird.

witz num­mer eins ist: spie­gel on­line macht das im print-spie­gel-ar­chiv ge­nau­so (zu­fäl­lig aus­ge­wähl­te PDF-da­tei aus dem spie­gel-ar­chiv). wenn der print-spie­gel nach ei­ner oder zwei wo­chen ins (kos­ten­lo­se) ar­chiv wan­dert, wird die wer­bung ent­fernt.

witz num­mer zwei wäre es, wenn ram­ge wirk­lich glaub­te, dass an­zei­gen in ei­ner „raub­ko­pier­ten“ app-ver­si­on des ak­tu­el­len spie­gel, das heft für käu­fer er­schwing­li­cher ma­chen wür­de. den ver­lust von ein­nah­men we­gen „raub-apps“ könn­te man ja noch dis­ku­tie­ren, aber ein­nah­me­ver­lus­te we­gen feh­len­der wer­bung in „raub-apps“? och. mensch. das ist eine lo­gik, die in baum­schu­len ge­lehrt wird.


es heisst ja im­mer, auch in ram­ges ar­ti­kel, dass mit flattr oder an­de­ren spen­den­mo­del­len und mit al­ter­na­ti­ven ver­wer­tungs­me­tho­den im­mer nur ei­ni­ge we­ni­ge, her­aus­ra­gen­de „wis­sens­ar­bei­ter“ und künst­ler ein ste­ti­ges ein­kom­men ge­ne­rie­ren könn­ten — und das die gra­tis­kul­tur de­nen die le­bens­grund­la­ge ent­zie­hen wür­de. ich fra­ge mich dann im­mer: gab es vor dem in­ter­net, vor der an­geb­li­chen gra­tis­kul­tur, ei­gent­lich nur gut be­zahl­te in­tel­lek­tu­el­le und künst­ler? muss­te in den gu­ten al­ten ana­lo­gen ta­gen kein au­tor hun­gern, kein mu­si­ker um sei­ne tan­tie­men fürch­ten? oder wa­ren es auch da ei­ni­ge we­ni­ge, her­aus­ra­gen­de men­schen, die von ih­rem wis­sen, ih­ren wor­ten, ih­rer mu­sik oder ih­rer kunst le­ben konn­ten?


[nach­trag 25.05.2011]
ich hab mal präz­si­s­iert. nein ge­lobt. die chef­re­dak­teu­rin.


[nach­trag 28.05.2011]
der ar­ti­kel von tho­mas ram­ge ist mitt­ler­wei­le on­line ver­füg­bar .