deut­sche da­ten­schutz pa­ra­dox-pa­ra­do­xien

felix schwenzel

ri­chard gut­jahr woll­te ein the­ma „ins Licht der Öf­fent­lich­keit rü­cken“, das, wie er sagt, „über die letz­ten Jah­re wäh­rend der gan­zen In­ter­net-Hys­te­rie in den Me­di­en und in der Po­li­tik kom­plett aus­ge­blen­det wur­de.“

nein, nicht das schick­sal der nackt­mulle das seit min­des­tens fünf jah­ren aus den au­gen der (netz)öf­fent­lich­keit ver­schwun­den ist, son­dern die sa­che mit dem adress­han­del. ich fin­de zwar nicht, dass das the­ma „kom­plett aus­ge­blen­det“ wur­de, wenn selbst ich in den letz­ten zwei jah­ren zwei­mal drü­ber schrob, muss das als the­ma ir­gend­wo an­de­res ein­ge­blen­det ge­we­sen sein, da­mit ich über­haupt drauf kom­me.

trotz­dem ist das the­ma na­tür­lich in­ter­es­sant, weil es die bi­got­te­rie — oder bes­ser ze­ris­sen­heit — von uns al­len zeigt, nicht nur die der me­di­en­kon­zer­ne, auf die ri­chard gut­jahr nicht ganz zu un­recht und dras­tisch hin­weist:

Ne­ben käuf­li­cher Lie­be und Waf­fen­ex­por­ten dürf­te das Ge­schäft mit Kun­den­da­ten zu den ver­schwie­gens­ten Bran­chen über­haupt ge­hö­ren. Min­des­tens ein­mal im Jahr klärt uns der Spie­gel über das Böse im Netz auf. Wann aber ha­ben wir zum letz­ten mal eine Spie­gel-Ti­tel­sto­ry zum The­ma Adress­han­del Deut­scher Fir­men ge­le­sen? War­um brin­gen deut­sche Me­di­en Ar­ti­kel zu die­sem The­ma – wenn über­haupt – un­ter fer­ner lie­fen?

Die Ant­wort ist so pri­mi­tiv wie ein­fach: Weil die deut­schen Me­di­en­häu­ser selbst Teil die­ses Sys­tems sind. Das Kun­den­re­gis­ter des größ­ten Da­ten­händ­lers des Lan­des liest sich wie das Who-is-Who der deut­schen Me­di­en­sze­ne: Axel Sprin­ger, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne, Fi­nan­cial Times, Gru­ner und Jahr, Gong Ver­lag, Han­dels­blatt, Ma­na­ger Ma­ga­zin, Rea­ders Di­gest, Rin­gier Ver­lag, Süd­deut­sche Zei­tung, sky, Der Spie­gel, Welt­bild. Als (frei­er) Mit­ar­bei­ter des Öf­fent­lich-Recht­li­chen Rund­funks möch­te ich hier­bei aus­drück­lich be­to­nen: Auch die GEZ ar­bei­tet mit ge­han­del­ten Adress­da­tei­en.

in den kom­men­ta­ren un­ter ri­chard gut­jahrs ar­ti­kel wird schön her­aus­ge­ar­bei­tet wo das ei­gent­lich pro­blem liegt könn­te. näm­lich dass viel­leicht nicht die ge­sam­mel­ten und ge­han­del­ten da­ten das pro­blem dar­stel­len, son­dern un­se­re völ­li­ge un­ent­schlos­sen­heit was jetzt gu­tes da­ten­sam­meln und was schlech­tes da­ten­sam­meln sein könn­te. mal las­sen wir uns aufs da­ten­sam­meln ein, se­hen es als fai­res ge­schäft, wenn un­se­re da­ten ge­nutzt, ge­sam­melt und agg­re­giert wer­den, ver­tei­di­gen die da­ten­samm­ler so­gar, wenn sie von po­li­tik und me­di­en an­ge­grif­fen wer­den, mal em­pö­ren wir uns dar­über.

ei­ner­seits ge­ben wir ir­gend­wel­chen web­ap­pli­ka­tio­nen vol­len zu­griff auf un­ser face­book-kon­to, re­gen uns aber auf, wenn eine web­ap­li­ka­ti­on un­ser adress­buch mit face­book ab­gleicht. oder auch nicht. ich habe mich auch schon am brief­kas­ten „in­for­ma­tio­nel­le selbst­be­stim­mung“ schrei­en ge­hört, wenn mir je­mand, den ich nicht ken­ne ei­nen brief schreibt.

wenn man ri­chard gut­jahrs ar­ti­kels liest regt man sich dann erst­mal über „die adress­händ­ler“, „die po­li­tik“ und „die me­di­en“ auf, weil die händ­ler mit un­se­ren da­ten geld ver­die­nen, die me­di­en schwei­gen und uns aus­sau­gen auch mit un­se­ren da­ten han­deln und die po­li­ti­ker un­ter lob­by­druck lis­ten­pri­vi­le­gi­en nicht ab­schaf­fen mö­gen.

ver­mut­lich spie­geln die po­li­tik und me­di­en aber nur un­se­re ei­ge­ne schi­zo­phre­nie beim the­ma da­ten­schutz wie­der. wir sind ei­ner­seits ein volk von da­ten­schutz-hys­te­ri­kern (sie­he zum bei­spiel goog­le street­view) und gleich­zei­tig als da­ten­schutz-phleg­ma­ti­ker bald mehr­heit­lich bei face­book, twit­ter und pay­back. ra­batt­kar­ten sind su­per, abo­wer­bung aber scheis­se? die face­book-time­line ist schlimm, bei grou­pon gibts aber su­per deals?

ich glau­be wenn man 3 deut­sche zum the­ma da­ten­schutz be­fragt, be­kommt man 12 dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te ant­wor­ten:

  • „man muss die leu­te doch vor sich selbst schüt­zen!“
  • „wir wol­len nicht be­mut­tert wer­den.“
  • „[D]ie Ge­set­ze müs­sen auch drin­gend ge­än­dert wer­den.“ (ri­chard gut­jahr)
  • „kei­ne neu­en ge­set­ze, kei­ne lex goog­le, kei­ne re­gu­lie­rung des in­ter­nets.“

ich glau­be jeff jar­vis nennt das das deut­sche pa­ra­do­xon. ich wür­de da­für den dop­pel­ten pseu­do-plu­ral wäh­len: deut­sche da­ten­schutz pa­ra­dox-pa­ra­do­xien.

ri­chard gut­jahrs ar­ti­kel löst wie die meis­ten sei­ner ar­ti­kel emo­tio­na­le re­ak­tio­nen aus. bei mir schafft das fast im­mer star­ke aver­sio­nen, ich mag das ma­ni­pu­la­ti­ve ele­ment von gut­jahrs schrei­be nicht. die­ses mal hat er mich aber ge­packt, weil ich mich auch im­mer irre über leu­te auf­re­ge, die sich mei­ne adres­se be­sor­gen und sich dann an mich ran­wan­zen*.

was ich aber sa­gen woll­te, man soll­te die­sen ar­ti­kel von ri­chard gut­jahr auf­merk­sam und mit ein biss­chen skep­sis le­sen (nicht die kom­men­ta­re ver­ges­sen) und gut drü­ber nach­den­ken (ohne das dif­fe­ren­zie­ren zu ver­ges­sen). ein paar din­ge sind wirk­lich be­den­kens­wert.


*) ich är­ge­re mich auch über dar­über wenn die FAZ mich für blöd ver­kau­fen will und meint ich wür­de mich von ih­ren ver­kack­ten täu­schungs­ver­su­chen ein­lul­len las­sen, oder der FTD-chef­re­dak­teur stef­fen klus­mann mir ohne rot zu wer­den ei­nen vom pferd er­zählt um mir ein abo zu ver­ti­cken.

ehr­lich­ge­sagt ist adress­han­del aber im­mer noch vor al­lem ko­misch. ein paar busi­ness-kas­per oder chef­re­dak­teu­re la­den schrot­ge­weh­re mit glas­ku­geln, schies­sen da­mit durch die ge­gend und freu­en sich wenn sie nach 2000 schuss drei dep­pen ge­fun­den ha­ben die fra­gen „boah, ham se noch mehr von den glas­per­len?“.