sa­scha lo­bo

felix schwenzel

ich habe of­fen­bar eine be­son­de­re be­ga­bung: ich kann wil­lent­lich sa­scha lobo zu­fäl­lig tref­fen. das hat jetzt schon zwei­mal ge­klappt, auf mei­nem nach­hau­se­weg von der ar­beit. das funk­tio­niert üb­ri­gens ganz ohne in­ter­net, nur mit ana­lo­gen mit­teln. zu­min­dest hat das heu­te so funk­tio­niert und vor ein paar wo­chen auch schon­mal.

aus­ser­dem ist mir auf­ge­fal­len, dass mir sa­scha lo­bos ko­lum­nen auf spie­gel on­line dann be­son­ders gut ge­fal­len, wenn er sie hin­rotzt, auf sub­jek­ti­ve er­fah­run­gen stützt und jede tie­fe­re, ge­zielt in­tel­lek­tu­el­le ana­ly­se weg­lässt. so hat er das heu­te in ei­ner sehr okay­en ko­lum­ne ge­macht: Lob der Okay­heit.

wie je­der weiss, ha­ben er und kath­rin pas­sig ges­tern ihr buch ab­ge­ge­ben, also kann er nicht son­der­lich viel zeit für das schrei­ben der heu­ti­gen ko­lum­ne ge­habt ha­ben (auf vor­rat kann sacha sei­ne ko­lum­ne nicht pro­du­zie­ren).

der ko­lum­ne liegt ein ein­fa­cher ge­dan­ke zu­grun­de: was pas­siert, wenn wir zu­gang zu gros­sen tei­len des pri­vat­le­bens und den pri­vat­an­sich­ten von im­mens vie­len men­schen ha­ben?

Die so­zia­len Me­di­en brin­gen in die Öf­fent­lich­keit, was zu­vor als höchst pri­vat galt, sie er­lau­ben da­her dem Ein­zel­nen, völ­lig un­be­kann­ten Men­schen sehr nah zu kom­men. Zwei, drei, vier Klicks auf Face­book oder Twit­ter, und man lauscht pri­va­ten Ge­sprä­chen, die man ohne das Netz nie­mals hät­te wahr­neh­men kön­nen. Ge­führt, als gäbe es kein Pu­bli­kum. Ein di­gi­ta­ler Blick in die Köp­fe, wo die eben noch ge­fähr­li­che Be­den­ken­lo­sig­keit jetzt schon eine un­er­hör­te, un­ge­fil­ter­te Nähe er­laubt. Je­der, der so­zia­le Netz­wer­ke be­nutzt und ein biss­chen um­her­stromert, aus wel­chen Mo­ti­ven auch im­mer, be­treibt di­gi­ta­le Echt­zei­t­eth­no­gra­fie. […]

Was pas­siert lang­fris­tig, wenn es mit so­zia­len Me­di­en nun mög­lich ist, in die Köp­fe und Ge­sprä­che hin­ein­zu­se­hen? Wird es völ­lig egal sein, weil kaum je­mand die Mög­lich­keit nutzt? Oder setzt sich mit die­ser di­gi­ta­len Nähe die To­le­ranz der An­ders­ar­tig­keit flä­chen­de­ckend durch? Sind die so­zia­len Me­di­en durch ihre Ver­net­zung der Ver­schie­den­hei­ten so­gar eine Art Kon­fron­ta­ti­ons­the­ra­pie für In­to­le­ran­te?

Wenn man an­nimmt, dass bei­de Ex­tre­me nicht zu­tref­fen wer­den, son­dern ir­gend­et­was in der Mit­te her­aus­kommt, dann ent­steht ein neu­es Ge­sell­schafts­bild, das hier den Na­men Okay­heit be­kom­men soll: "An­ders­ar­tig­keit ist okay". Okay­heit ver­bin­det eine Rei­he von sehr un­ter­schied­li­chen Hal­tun­gen wie Re­si­gna­ti­on, To­le­ranz, Des­in­ter­es­se, Em­pa­thie und Gleich­gül­tig­keit zu ei­nem leicht wi­der­sprüch­li­chen Amal­gam, das aber am Ende in al­len Va­ri­an­ten die glei­che Wir­kung hat: es ein­fach okay sein zu las­sen.

ein­fach eine sub­jek­ti­ve be­ob­ach­tung zu ei­ner klei­nen, stei­len the­se an­spit­zen und in die welt set­zen. dann an­de­re drü­ber nach­den­ken las­sen, ohne zu ver­su­chen es selbst zu­en­de zu den­ken. ein­fach mit ei­nem „lob der okay­heit“ die ko­lum­ne be­en­den, ohne über die wei­te­ren ge­sell­schaf­li­chen kon­se­quen­zen nach­zu­den­ken, ohne die ko­lum­ne ar­gu­men­ta­tiv ge­gen po­ten­zi­ell an­de­res­den­ken­de zu wapp­nen, die ko­lum­ne ver­öf­fent­li­chen und dann in ur­laub fah­ren.

mög­li­cher­wei­se mag ich die­se art zu pu­bli­zie­ren des­halb so ger­ne, weil ich auch dazu nei­ge das so zu ma­chen. man soll­te aber da­bei be­den­ken, dass nur weil eine ko­lum­ne, ein blog­ein­trag oder ein vor­trag nicht al­les zu­en­de denkt und durch­ge­kocht ser­viert, der au­tor nicht be­reits wei­ter­ge­dacht hat oder di­rekt nach dem ver­öf­fent­li­chen wei­ter­denkt. aber die­se un­be­stän­dig­keit, die­se tem­po­rä­re qua­li­tät, ist mei­ner mei­nung nach ei­ner der ganz gros­sen rei­ze des net­zes; man setzt ein paar klei­ne, un­fer­ti­ge, nicht zu­en­de ge­dach­te ideen in die welt und an­de­re zie­hen sie gross oder mo­di­fi­zie­ren sie — oder auch nicht.

tl;dr: die­se ko­lum­ne von sa­scha lobo be­weist: er ist, ent­ge­gen al­ler un­ken­ru­fe, ein ech­ter blog­ger.