die digitale boheme ist müde

felix schwenzel, , in wirres.net    

sehr müde. da trifft sich das was man so als digitale boheme bezeichnet in berlin auf einer veranstaltung die 9to5 „festival camp“ heisst und alles was man sieht sind müde und erschöpfte menschen. die location oder wie der amerikaer von fork unstable media der mit mercedes bunz auf der terrasse sass sagte, „der ort“, ist grandios. viel raum, 3 etagen, viele aussenflächen, bedeutungsschwanger gegenüber vom ver.di hauptgebäude an der spree gelegen. wunderbar, allles stimmt. aber alle anwesenden (ausser dem amerikaner von fork unstable media der mit mercedes bunz auf der terrasse sass) machen einen müden eindruck. die meisten weil sie offenbar den ganzen tag gearbeitet haben — oder noch arbeiten, manche weil sie seit 30 jahren revoluzer spielen und jetzt unter dem namen „rainer langhans“ vorm herrenklo stehen und vermutlich smalltalk über 30 jahre revoluzzer spielen machen, manche weil sie sich langweilen.

ich habe mir ein paar veranstaltungen angeguckt und wurde auch müde. von nine to twelve thirty hab ich durchgehalten, dann musste ich passen. weil ich so erschöpft war. zuerst habe ich in eine veranstaltung geschaut auf der sich vier personen jeweils über sich selbst unterhielten, dann eine veranstaltung in der alle sechs beteiligten aneinander vorbeiredeten und zwei weitere das publikum mit platitüden und oberflächlich-esoterischem müll bewarfen und mit grenzdebilen powerpoint-slides quälten. den besuch der ersten veranstaltung habe ich nach 4 minuten abggebrochen um mich dem bier un der frischen luft zu widmen, die zweite habe ich fast zwei stunden lang durchgehalten bevor ich mich wieder dem bier und der frischen luft widmete.

ich würde jetzt wahnsinnig gerne was intelligentes über die veranstaltungen schreiben und noch lieber etwas hinterfotzig kritisches, nur bin ich dazu viel zu erschöpft. nur eins noch. vor einem jahr empfand ich die analyse dessen was viele meiner bekannten und freunde taten die ich in diesem buch „wir nennen es arbeit“ las faszinierend und augenöffnend. mittlerweile empfinde ich das gerede und gezerre um die sogenannte digitale boheme nur noch als schales rumhacken auf einem phänomen das schon längst ausgelutscht daliegt. die protagonisten der digitalen bohemie haben sich längst weiterbewegt in sichere jobs, ins ausland, ins establishment. und ich bekomme das gefühl, die ganze veranstaltung dient nur noch der geschichtsschreibung, der heroisierung und der aufklärung der zuspätgekommenen oder vorgestrigen. dieser eindruck ist aber sicher enorm einseitig und einerseits meiner müdigkeit geschuldet und andererseits verzerrt durch den schlechtesten vortrag den ich je erlebt habe und der den titel trug „creative work“.

morgen wache ich um 11 uhr auf und die welt ist wieder in ordnung, wenn ich im sankt oberholz einen kaffee trinke während meine wäsche gegenüber im waschsalon schleudert.