wendehälse 2.0

felix schwenzel, , in wirres.net    

wenn mann diese überschrift liest

Das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit weltweit durchsetzen und der Internetzensur entgegentreten

könnte man meinen, dass das angesichts der debatte um die internet-filter der #zensursula und der bundesregierung bei netzpolitik.de oder auf der homepage der piratenpartei oder des CCC stehen würde.

es ist aber die überschrift eines gemeinsamen dokumentes der CDU/CSU und SPD bundestagsfraktionen vom april letzten jahres. unterschrieben wurde es von „Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion Dr. Peter Struck und Fraktion“.

in dem dokument stehen wahre perlen des politischen wechselbalgentums:

In der Mehrzahl der Staaten dient die Zensur der Machtsicherung der Regierenden.

so kann man die initiative der familienministerin zenzursula von der leyen ja durchaus sehen: als einen durchsichtigen versuch ein delikates und hochkomplexes thema für wahlkampfzwecke, also machterhalt zu instrumentalisieren.

Ein Novum ist, dass sich in China viele ausländische Anbieter von Internetdiensten dem Druck der Behörden gebeugt haben und sich selbst zensieren. Die chinesischen Behörden betreiben zudem ein umfassendes Filternetzwerk, das den Zugang zu brisanten Seiten blockiert.

das ist jetzt kein novum mehr. die inländischen internetprovider wurden mit gezieltem druck dazu angehalten einen vertrag zu unterschreiben und ein umfassendes filternetzwek zu installieren und zu betreiben und das internet nach den vorgaben des BKA zu zensieren.

In Staaten des Nahen und Mittleren Ostens wird eine erhebliche Anzahl unmoralischer Webseiten durch Filter blockiert. In Iran z. B. geschieht dies offiziell aufgrund angeblich pornographischer oder religionsbezogener Inhalte […].

das wort „angeblich“ passt nicht nur für den nahen und mittleren osten. ein vertreter der hessischen landesregierung, heinrich sievers, schlägt vor, gleich „ausländischen Glücksspiel-Anbieter“ mit auf die sperrlisten zu setzen und fordert, laut augenzeugen seines auftritts auf dem kölner forum medienrecht, mal zu prüfen „ob man nicht diese chinesische Technik einführen könne“. (quelle)

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, […] im Rahmen aller genannten Forderungen auch und insbesondere die Zensur im Internet zu thematisieren und dieser entgegenzutreten.

komischerweise sind sowohl die fraktion als auch die anderen unterzeichner gerade jetzt, nachdem das bundeskabinett am mittwoch den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet“ verabschiedet hat (PDF des entwurfs), eher zurückhaltend mit ihren forderungen. die bundesregierung beschliesst zensurmassnahmen und sie schweigen.

ralf bendrath verwies heute auch in einem artikel auf das dokument und stellt fest:

Leider hat offenbar in Köln niemand den Mund aufgemacht und gesagt, warum ein freies Internet auch politisch wichtig ist für eine freie Gesellschaft. Für andere Länder hat das ja sogar die CDU/CSU schon eingesehen, nur für Deutschland offenbar noch nicht.

witzigerweise sind die leute im bundestag ja der meinung, dass ihre wähler ihr treiben nicht als rückgratloses, verlogenes, doppelzüngiges treiben wahrnehmen und sie, wenn sie ein paar wochen vor der wahl nur ihr freundliches, verständnisvolles gesicht auzfsetzen wählerstimmen oder an glaubwürdigkeit gewinen könnten. klar, einerseits wohl durch erfahrung, bis jetzt sind sie ja immer mit jeden blödsinn durchgekommen und glauben wahrscheinlich tatsächlich, dass politik nichts mit überzeugungen, richtig oder falsch zu tun hat, sondern mit mehrheiten, kompromissen und machbarkeiten.

deshalb glauben politiker unverdrossen wiedergewählt zu werden, wenn sie sagen:

  • zensur ist scheisse, aber wir beschliessen sie trotzdem
  • vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig, aber wir stimmen ihr nichtsdestotrotz zu
  • wir sind für freie märkte, aber enteignung muss einfach manchmal sein
  • das „börsencasino“ und die „Jagd nach Maximalrenditen“ in der wirtschaft verletzen „das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen“ aber die politiker in den aufsichtsräten der landesbanken und anderen maximalrenditefordernden aufsichträten haben da rein gar nichts mit zu tun

dieses ganze verlogene und verantwortung von sich weisende kasperletheater das die CDU und SPD derzeit veranstalten hat aber vielleicht doch einen gewaltigen vorteil. nämlich dass sich erstmals seit langem wieder echter widerstand bildet, echte und tatkräftige unzufriedenheit, die der herrschenden kaste zur wahl klar macht, dass sie sich von denen die sie wählen sollen so weit wie nie entfernt haben.

sehr kluge gedanken zur „digitalen spaltung“ haben sich thomas knüwer, ralf bendrath und marcel weiss gemacht.

[via sikk und rivva]