aber bitte mit profis

felix schwenzel

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nach­dem hil­mar klu­te in der süd­deut­schen jan jo­sef lie­fers zu ver­ste­hen ge­ge­ben hat, dass er sich sein po­li­ti­sches en­ga­ge­ment bit­te­schön in sei­nen ama­teur­haf­ten arsch ste­cken sol­le, pflich­tet ihm ein wei­te­rer po­li­tik­pro­fi, flo­ri­an gu­ckels­ber­ger, im eu­ro­pean bei:

Denn die Geschichte, die [von Prominenten aus Krisengebieten] erzählt wird, ist oft genug eine Verzerrung der Wirklichkeit und zwar eine, die besonders lange in den Köpfen der Leser hängen bleibt: „Haste gelesen, der Liefers findet es auch schlimm in Syrien?“

ei­ner­seits ver­ste­he ich nicht was dar­an schlimm sein soll, et­was schlim­mes schlimm zu fin­den und an­de­rer­seits könn­te man sich jetzt na­tür­lich fra­gen, ob flo­ri­an gu­ckels­ber­ger wirk­lich glaubt, man kön­ne über er­eig­nis­se be­rich­ten, ohne die wirk­lich­keit zu ver­zer­ren. das wäre mei­nes wis­sens eine mitt­le­re sen­sa­ti­on, in etwa so sen­sa­tio­nell wie fo­to­gra­fien, die die wirk­lich­keit ab­bil­de­ten (und nicht nur ei­nen ver­zerr­ten, vom fo­to­gra­fen ge­wähl­ten aus­schnitt aus dem sicht­ba­ren licht­spek­trum).

aber we­der hil­mar klu­te noch flo­ri­an gu­ckels­ber­ger geht es um er­kennt­nis­theo­rie oder auf­merk­sam­keits­len­kung, son­dern um die jahr­hun­der­te alte fra­ge an den spie­gel an der wand: wer sind die klügs­ten im gan­zen land?

klu­te und gu­ckels­ber­ger plä­die­ren da­für, jour­na­lis­ten als die klügs­ten ans­zu­se­hen und den rest des lan­des als eben nicht so klug. gu­ckels­ber­ger:

Journalisten – insbesondere jene, die in die gefährlichsten Gegenden der Welt reisen – haben meist jahrelange Erfahrung. Sie wissen um die Macht der Bilder, sie sind in der Materie, sie haben ein professionelles Netzwerk aus Quellen aufgebaut, sprechen die Landessprache, beherrschen Dialekte, kennen die Geschichte des Landes und erst dann, ganz am Ende, erzählen sie ihre Version der Wirklichkeit. Wissend, dass allein ihr Dabeisein als Beobachter die Wahrnehmung schon verändert.

auch wenn flo­ri­an gu­ckels­ber­ger hier na­tür­lich scham­los über­treibt, hat er na­tür­lich auch recht; un­se­re an­sprü­che an die pro­fes­sio­na­li­tät von jour­na­lis­ten kön­nen gar nicht hoch ge­nug sein. jour­na­lis­mus soll­te im­mer ver­su­chen alle sei­ten zu be­leuch­ten und jour­na­lis­ten soll­ten sich von nie­man­dem aufs glatt­eis füh­ren las­sen. dass das trotz­dem im­mer mal wie­der pas­siert, ist ein ganz an­de­res the­ma, mit dem man ein gan­zes blog fül­len könn­te.

was mich aber an klu­tes und gu­ckels­ber­gers tex­ten ne­ben den un­dif­fe­ren­zier­ten lob­ge­sän­gen von pu­rem, ech­tem und ed­lem jour­na­lis­mus stört, ist das feh­len ge­nau die­ser jour­na­lis­ti­schen an­sprü­che. aus­ser auf jan jo­sef lie­fers rum­zu­prü­geln, das was er sagt als „Pap­per­la­papp“, „Ba­na­li­tä­ten“, „zy­nisch“, „kin­disch“ oder „Ein­mi­schung“ ab­zu­tun, ge­ben sie sich kaum die mühe das was er kon­kret sagt zu wi­der­le­gen oder die fra­gen, die sie ihm rhe­to­risch stel­len, selbst zu be­ant­wor­ten: „Also, was muss denn jetzt bit­te ge­macht wer­den?“ es ist kom­pli­ziert, ja klar, aber des­halb be­hin­dert man als ama­teur doch die „pro­fes­sio­nel­len Be­richt­erstat­ter“ nicht bei ih­rer ar­beit, wie flo­ri­an gu­ckels­ber­ger am ende sei­ner ti­ra­de an­deu­tet:

[Wenn sich Bürger um Obdachlose, ein Kinderhospiz oder erbarmungswürdige Tierhaltung kümmern,] können die professionellen Berichterstatter weiter ungestört ihrer Arbeit nachgehen und versuchen, Stück für Stück die Wurzel des Unglücks freizulegen und Lösungen zu erarbeiten. Und wie bei einem alten Baum handelt es sich immer um ein sehr komplexes Wurzelgeflecht, das dem oberflächlichen Blick entzogen ist.


mich stört an jan jo­sef lie­fers rei­se nach sy­ri­en vor al­lem, dass er sich von der bild­zei­tung be­glei­ten liess. das zieht das an­lie­gen was er mit sei­ner rei­se ver­folgt ha­ben könn­te (für mich) lei­der so­fort ins sen­sa­ti­ons­gei­le und un­glaub­wür­di­ge.

was aber trotz al­le­dem auf­fällt, ist die wi­der­sprüch­lich­keit mit der wir (alle) po­li­tik be­trach­ten. ei­ner­seits mit schwe­ren oben/un­ten wahr­neh­mungs­stö­run­gen (die da oben wis­sen doch gar nicht was wir hier un­ten so den­ken), an­de­rer­seits mit un­er­füll­ba­ren er­war­tun­gen: wenn sich je­mand mit po­li­tik be­schäf­tigt muss das von null auf hun­dert hoch­pro­fes­sio­nell und feh­ler­frei pas­sie­ren. aus­ser­dem for­dern hinz und kunz, dass sich ei­gent­lich viel mehr men­schen po­li­tisch en­ga­gie­ren soll­ten und wenn sie es tun, be­kla­gen sich hinz und kunz dar­über dass sie es tun.

wo­für ich ei­nen ab­satz ge­braucht habe, fasst kat­rin hil­ger auf twit­ter in 78 zei­chen zu­sam­men:

@cafffm @jan­jo­se­f­lie­fers @sz Bür­ger sol­len sich en­ga­gie­ren, tun wir es, sol­len wir Spe­zia­lis­ten ran las­sen. Geht uns pi­ra­ten nicht an­ders

13.06.2013 11:50 via Twit­ter for iPho­ne Re­p­ly Ret­weet Fa­vo­ri­te 

@kat­r­in­hil­ger Kat­rin Hil­ger


ich glau­be ja, dass ge­gen schlech­ten jour­na­lis­mus oder auch schlech­te oder ein­sei­ti­ge be­richt­erstat­tung von nicht-jour­na­lis­ten nur eins hilft: gute be­richt­erstat­tung, dif­fe­ren­zier­te, kon­kre­te kri­tik und gut ge­mach­te re­por­ta­gen. die­ses be­mü­hen kann man flo­ri­an gu­ckels­ber­gers bei ei­nem blick in sein au­toren­pro­fil üb­ri­gens nicht ab­spre­chen. ver­mut­lich kann man hil­mar klu­te die ab­sicht die welt dif­fe­ren­ziert, wahr­heits­ge­treu, ohne „Pap­per­la­papp“ und ba­na­li­tät dar­zu­stel­len auch nicht ab­spre­chen. im­mer­hin hat er schon „ein klei­nes Buch, das von der Me­ta­phy­sik des Hun­des und sei­ner Be­sit­zer han­delt“, ge­schrie­ben.

ich bin kein gros­ser freund von bono und bob geldof und ich fin­de man soll­te den welt­ret­tungs-ak­ti­vi­tä­ten der bei­den ei­ni­ges an skep­sis und vor­sicht ent­ge­gen­brin­gen. statt ih­nen nur pro­fi­lie­rungs­sucht zu un­ter­stel­len, könn­te man bei­spiels­wei­se live aid ganz kon­kret und dif­fe­ren­ziert be­trach­ten. ei­gent­lich ist die süd­deut­sche bei so­was ganz gut: „Bob Geldofs bes­ser­wis­se­ri­sche Igno­ranz“, SZ vom vom 23.10.2010, von alex rüh­le. oder man kann die kri­tik, bzw. die dif­fe­ren­zier­te sicht auch in form ei­nes bu­ches gies­sen, wie pe­ter gill das ge­tan hat: „Fa­mi­ne and For­eig­ners, Etho­pia sin­ce Live Aid

aber wenn zwei jour­na­lis­ten jan jo­sef lie­fers ein­fach nur lieb­los in­kom­pe­tenz und pro­fi­lie­rungs­sucht un­ter­stel­len, dann ist das kei­ne stern­stun­de des jour­na­lis­mus, son­dern wirkt ge­nau wie das, was sie lie­fers vor­wer­fen: wie stüm­per­haf­te selbst­pro­fi­lie­rung.


flo­ri­an gu­ckels­ber­ger wirft in sei­nem ar­ti­kel jan jo­sef lie­fers in ei­nen topf mit ge­or­ge cloo­ney, til schwei­ger, ma­ri­lyn mon­roe, an­ge­li­na jo­lie und ma­don­na — ohne viel zu dif­fe­ren­zie­ren, et­was das er selbst ja bei po­li­tik­be­richt­erstat­tung ve­he­ment for­dert. ge­ra­de bei ge­or­ge cloo­neys en­ga­ge­ment im su­dan lohnt sich aber durch­aus eine dif­fe­ren­zier­te be­trach­tung. was cloo­ney sagt und wie er sich ein­setzt ist ziem­lich über­zeu­gend. es gibt kri­ti­ker, aber ich habe, nach all dem was ich dazu ge­le­sen habe, das ge­fühl, dass cloo­ney min­des­tens so viel durch­blick hat wie ein mit­tel­gut ge­brief­ter aus­sen­po­li­ti­ker, ein so­zi­al­psy­cho­lo­ge oder ein kri­mi­au­tor. aus­ser­dem lässt sich ge­or­ge clooo­ney von ei­nem jour­na­lis­ten be­ra­ten und be­glei­ten: sei­nem va­ter.

an­de­rer­seits; war­um nicht ein­fach das gan­ze pro­mi­ge­socks das in kri­sen­ge­bie­te reist in ei­nen sack ste­cken, wenns die bot­schaft so in den köp­fen der le­ser hän­gen bleibt: „Has­te ge­le­sen, der Gu­ckels­ber­ger fin­det Pro­mis in Kri­sen­ge­bie­ten ge­fähr­lich?“


das bild habe ich von car­ta ge­lie­hen. es passt na­tür­lich noch bes­ser, wenn man „blog­ger“ mit „das in­ter­net“, „schau­spie­ler“, „kos­ten­lo­s­kul­tur“ oder „dings“ er­set­zen wür­de.


[nach­trag 16.06.2013]
der ak­tu­el­le spie­gel hat wohl ei­nen be­richt über jan jo­sef lie­fers rei­se nach sy­ri­en: „ Wü­ten­de Fra­gen “. epa­per screen­shot von @Jan­Jo­se­f­Lie­fers .

Mar­kus Eh­ren­berg fasst im ta­ges­spie­gel zu­sam­men, was jan jo­sef lie­fers im spie­gel ge­sagt hat: „Ich bin, mit Ver­laub, nicht in ei­ner Kar­rie­re­pha­se, in der ich ein paar zu­sätz­li­che Schlag­zei­len nö­tig hät­te.“


[nach­trag 17.06.2013]
tho­mas lü­cker­ath fasst den spie­gel-ar­ti­kel auf dwdl.de auch zu­sam­men und be­gibt sich am ar­ti­kel­en­de weit nach rechts aus­sen in ein sprach­li­ches mi­nen­feld:

Den Vorwurf, seine Reise sei zynisch, weist Liefers in seinem Beitrag zurück und schwingt offenbar berauscht vom eigenen Gutmenschentum nach seiner Reise die Keule der Moral. Er wünsche sich, dass sich möglichst viele Menschen über den Krieg in Syrien informieren "und dann für sich entscheiden, was zynischer ist: zuzuschauen oder sich fragen, was man tun kann, und sei der Beitrag noch so klein".

im­mer­hin schiebt lü­cker­ath nicht hin­ter­her: „das muss man ja auch mal sa­gen dür­fen!“.