paraarchitektur

felix schwenzel

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seit wo­chen ver­su­che ich ei­nen text über ei­nen film zu schrei­ben der mir sehr am her­zen liegt und dem­nächst auf DVD raus­kommt. ich fra­ge mich wie weit darf man aus­ho­len um dann das we­sent­li­che in vier ab­sät­zen ab­zu­han­deln? elf ab­sät­ze lang habe ich aus­ge­holt. ei­gent­lich scheis­se. aber muss ja kei­ner le­sen. dient eh nur der pri­va­ten er­in­ne­rung. oder so.


nach mei­ner schrei­ner­leh­re sah ich kei­ne per­spek­ti­ve mehr. zu­min­dest kei­ne die mich auf dau­er hät­te be­frie­di­gen kön­nen. es gab leu­te, die sich für die mö­bel die ich bau­te in­ter­es­sier­ten und da­für be­zahl­ten. ich hät­te mich ewig und gut, von mund zu mund pro­pa­gan­da han­gelnd, als schrei­ner durch­schla­gen kön­nen. aber ich woll­te mehr. mehr per­spek­ti­ven. mehr po­ten­ti­al. et­was un­ter­neh­men. ent­wer­fen und um­set­zen. leu­te ken­nen­ler­nen mit de­nen man ge­mein­sam was reis­sen kann: ju­gend­li­cher grös­sen­wahn.

also stu­dier­te ich ar­chi­tek­tur.

leu­te ken­nen­ler­nen war nicht schwer. die stu­den­ten der ers­ten se­mes­ter wur­den für zwei jah­re zu 10-20 stu­den­ten in klei­ne ar­beits­räu­me ge­steckt und dazu an­ge­hal­ten eine men­ge ge­mei­ner auf­ga­ben un­ter gros­sem zeit­druck in grup­pen zu be­ar­bei­ten. vor­di­plom nann­te man das ver­harm­lo­send. da lern­te man sich teil­wei­se bes­ser ken­nen als es ei­nem lieb war. eine die­ser ar­beits­grup­pen woll­te im zwei­ten se­mes­ter ein grös­sen­wahn­sin­ni­ges pro­jekt rea­li­sie­ren: ein „licht­la­bor“ im stadt­park stutt­gart, nicht wie üb­lich im ar­chi­tek­tur­stu­di­um, auf pa­pier oder in pap­pe, son­dern, wie man heu­te sa­gen wür­de, im re­al­li­fe (RL), in echt halt. ent­ge­gen al­ler er­war­tun­gen und nicht we­ni­gen wi­der­stän­den, ge­lang das pro­jekt. ein sie­ben mal sie­ben me­ter gros­ser ku­bus wur­de in 6 ta­gen nach wo­chen­lan­ger pla­nung, spon­so­ren­su­che und or­ga­ni­sa­ti­on auf­ge­baut. zu dan­ken war das dem grös­sen­wahn und dem or­ga­ni­sa­ti­ons­ta­lent ei­ner 14köp­fi­gen grup­pe, die sich und ih­ren ar­beits­raum „in­sti­tut für pa­ra­ar­chi­tek­to­ni­sche phä­no­me­ne“ nann­te. der name war na­tür­lich eine an­mas­sung und pro­vo­ka­ti­on. ge­gen­über den stu­den­ten­ar­beits­räu­me be­fan­den sich im gan­zen ar­chi­tek­ten hoch­haus die di­ver­sen ar­chi­tek­tur-„in­sti­tu­te“. der name soll­te an­deu­ten: ihr könnt uns mal. wie­der: ju­gend­li­cher grös­sen­wahn.

die grös­sen­wahn­sin­nigs­ten vier aus der ku­bus-grup­pe, an­drea, hans-jörg, gre­gor und alex ent­schie­den sich das pro­jekt un­ter die­sem na­men auf ei­ge­ne faust wei­ter­zu­füh­ren und frag­ten mich, der ich am ku­bus pro­jekt nur als stau­nen­der zu­schau­er be­tei­ligt war, ob ich mit­ma­chen woll­te.

klar woll­te ich, mein dif­fu­ser traum aus mei­ner end-schrei­ner zeit, soll­te wahr wer­den: mit leu­ten die mehr und an­de­res als ich drauf hat­ten was reis­sen. wir woll­ten un­ser stu­di­um in die ei­ge­nen hän­de neh­men und im stu­di­um so­vie­le „ech­te“ pro­jek­te auf ei­ge­ne faust wie mög­lich durch­füh­ren.

die vor­aus­set­zun­gen wa­ren op­ti­mal, gre­gor war ein be­gan­de­ter, aber rea­lis­ti­scher vi­sio­när und ent­wer­fer, hans-jörg konn­te or­ga­ni­sie­ren wie ein olym­pia-or­ga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee, an­drea hat­te durch eine erb­schaft ein paar mark auf der kan­te und war ziem­lich pfif­fig, alex sog das wis­sen das wäh­rend des stu­di­ums in uns hin­ein­ge­punmpt wur­de wie ein schwamm auf und konn­te es auf leich­ten druck je­der­zeit wie­der ab­ge­ben und ich kann­te mich ganz gut mit com­pu­tern aus. mit an­de­ren wor­ten, wir er­gänz­ten uns op­ti­mal.

in der tat rea­li­sier­ten wir ein paar pro­jek­te, wir bau­ten ein büro-loft aus, rea­li­sier­ten ein paar mes­se­stän­de, bau­ten ein mo­de­ge­schäft um, ver­an­stal­te­te­ten par­ties und aus­stel­lun­gen, dreh­ten klei­ne fil­me, schrie­ben ein dreh­buch, ver­such­ten ein bau­denk­mal zu ret­ten, knüpf­ten ver­bin­dun­gen und schli­chen uns ins on­line uni­ver­si­täts-fa­kul­täts ver­zeich­nis. dort stand nun ne­ben den „in­sti­tut für bau­kon­struk­ti­on“ und „bau­öko­no­mie“ das „in­sti­tut für pa­ra­ar­chi­tek­to­ni­sche phä­no­me­ne“. von 1995 bis 2001 ka­men si­cher 30 pro­jek­te zu­sam­men, von de­nen wir vie­le, wie ge­plant, auch als stu­di­en­leis­tun­gen ver­wurs­ten konn­ten. zwi­schen 1999 und 2001 wa­ren wir auch an der or­ga­ni­sa­ti­on und durch­füh­rung von ver­schie­de­nen lehr­ver­an­stal­tun­gen be­tei­ligt, ob­wohl wir noch gar kein di­plom hat­ten. auch un­ser (selbst­ge­stell­tes) di­plom mach­ten wir ge­mein­sam, aus dem di­plom-the­ma en­stan­den auch noch zwei wei­te­re lehr­ver­an­stal­tun­gen, eine an der uni stutt­gart, eine an der „merz aka­de­mie“. entäu­schend fan­den wir, dass wir un­ser di­plom nicht selbst prü­fen konn­ten, da­für brauch­ten wir doch noch zwei pro­fes­so­ren.

die grup­pe war al­ler­dings ei­ner ge­wis­sen fluk­tua­ti­on un­ter­wor­fen, an­drea ver­liess das ipp be­reits im jahr 1997, alex zwei jah­re spä­ter, da­für ka­men ans­gar 1999 und 2002 an­dre­as dazu, kurz nach­dem hans-jörg nach un­se­rem ge­mein­sa­men di­plom ging.

un­ser letz­tes grös­se­res pro­jekt nach un­se­rem di­plom dreh­te sich um den klei­nen schloss­platz (ob­wohl das schon gar kein wir­ki­ches ge­mein­sa­mes pro­jekt war, ei­gent­lich wa­ren fe­der­füh­rend nur noch ans­gar und gre­gor dar­an be­tei­ligt, ich und an­dre­as wa­ren in der zeit mit zwei, drei in­ter­net­pro­jek­ten be­schäf­tigt). die idee war ein­fach: dem klei­nen schloss­platz, der an­fang des jah­res 2002 ab­ge­ris­sen wer­den soll­te, noch­ein­mal zu ei­nem gra­dio­sen auf­bäu­men zu ver­hel­fen. wir lies­sen alle über die jah­re auf­ge­bau­ten ver­bin­dun­gen spie­len, setz­ten uns ins boot und hol­ten an­de­re mit rein. das booot war am ende zum bers­ten voll mit der merz aka­de­mie, die dort ei­nen pro­jekt- und ex­pe­ri­men­tier­raum für stu­den­ten­ar­bei­ten in­stal­lier­te, der ga­le­rie ham­me­leh­le und ah­rens die dort für 3 mo­na­te ei­nen pa­vi­li­on be­zog, der crew von pauls bou­tique, ko­ton, dem mö­bel­händ­ler, mar­tin ben­zing und sei­ner frau von „merz und ben­zing“ am mark­platz, bei­de vol­ler gu­ter ideen und bes­ter ver­bin­dun­gen zur stadt­ver­wal­tung und eben dem in­sti­tut für pa­ra­ar­chi­tek­to­ni­sche phä­no­me­ne.

es soll­te ein gi­gan­ti­sches fa­nal wer­den. ne­ben dem pauls bou­tique soll­te im ehe­ma­li­gen mö­ven­pick, nun pus­sy ga­lo­re ge­nannt, fes­te ge­fei­ert wer­den, die stutt­gar­ter „kul­tur­sze­ne“ soll­te in der ga­le­rie ham­me­leh­le und ah­rens und dem merz-aka­de­mie-pro­jekt­raum im­plo­die­ren, licht-in­stal­la­tio­nen soll­ten den klei­nen schloss­platz pri­vat-fi­nan­ziert il­lu­mi­nie­ren und der stadt zei­gen was durch eine kon­zer­tier­te, pri­va­te in­itia­ti­ve al­les ge­ris­sen wer­den kann (jaja, grös­sen­wahn).

das pus­sy ga­lo­re und pauls bou­tique wa­ren in den letz­ten wo­chen und über syl­ves­ter bes­ser ge­füllt als je zu­vor (es ging ja dem ende ent­ge­gen), die zei­tun­gen be­rich­te­ten, die sze­ne tum­mel­te sich, die stadt­obe­ren wa­ren zu­frie­den, ober­fläch­lich war das gan­ze ein rie­sen er­folg.

doch so wie der schloss­platz am ende ab­ge­ris­sen wur­de, zer­brach das IPP, zer­bra­chen ein paar freund­schaf­ten, be­zie­hun­gen und min­des­tens eine ehe, am ende blie­ben sehr viel schutt und ein paar trän­chen. aus dem schutt ent­stand aber ein her­vo­r­a­gen­der film, von 4 merz-aka­de­mie stu­den­ten, die of­fen­bar sehr nach­hal­tig vom klei­nen schloss­platz an­ge­fixt wor­den wa­ren: die kal­te plat­te.

der film en­stand ein paar jah­re nach­dem ich das IPP und stutt­gart ver­las­sen hat­te. er­fah­ren habe ich von dem film erst aus der zei­tung, denn er lief ein paar mal in di­ver­sen stutt­gar­ter ki­nos und barg eine po­li­ti­sche bom­be die die stutt­gar­ter „kul­tur­sze­ne“ für ein paar wo­chen in atem hielt: ganz am ende des films hört man, wie der da­ma­li­ge lei­ter der ga­le­rie der stadt stutt­gart, jo­hann karl schmidt, sich ab­fäl­lig über den neu­bau der ga­le­rie der stadt stutt­gart äus­sert (für den der alte klei­ne schloss­platz ab­ge­ris­sen wur­de):

dass sie jetzt wissen wollen, das kann ich nicht sagen, dass dieser bau ein haufen scheisse … ham sie abgestellt, ja …

[zi­tat aus dem ge­däch­nis]

das schlug ein wie eine bom­be. herr schmidt reg­te sich auf dass et­was was er un­ter der hand ge­sagt hät­te so ver­öf­fent­licht wur­de, die kul­tur­po­li­ti­ker echau­fier­ten sich durch alle rei­hen und am ende nahm schmidt sei­nen hut.

aber der film war auch ohne die­sen PR-gag wirk­lich gut, wie ich lei­der erst vor ein paar wo­chen mit ei­ge­nen au­gen sah (dank an den streammi­nis­ter). lie­be­vollst re­cher­chiert, zeich­net er die nicht nur ar­chi­tek­to­nisch span­nen­de ent­ste­hungs­ge­schich­te des klei­nen schloss­plat­zes nach, zeigt viel mü­he­voll aus dem swr-ar­chiv ge­gra­be­nes ma­te­ri­al, in­ter­views mit den ar­chi­tek­ten, zeit­zeu­gen (ta­xi­fah­rer, „dem stutt­gar­ter“), den gas­tro­no­men die den klei­nen schloss­platz mit­te der neun­zi­ger neu­es le­ben ein­hauch­ten (mar­kus ames­öder vom switz­er­land und Klaus Mor­lock dem be­trei­ber von pauls bou­tique) und mei­nen bei­den ehe­ma­li­gen kol­le­gen ans­gar und gre­gor von in­sti­tut für pa­ra­ar­chi­tek­to­ni­sche phä­no­me­ne. be­mer­kens­wert dar­an wie bei­de im­mer wie­der im bild sind, aber nur gre­gor re­det und ans­gar sich eine kip­pe nach der an­de­ren rein­zieht (ans­gar hat mitt­ler­wei­le auf­ge­hört zu rau­chen).

der klei­ne schloss­platz war ne­ben der ecke ums zumz­um und dem pa­last der re­pu­blik der ort mei­ner wahl für über­mäs­si­gen al­ko­hol­kon­sum — und das im prin­zip wäh­rend mei­ner ge­sam­ten zeit in stutt­gart. ich hat­te das ge­fühl dass sich dort ganz stutt­gart ver­sam­mel­te, ins­be­son­de­re im som­mer. da war der platz zum bers­ten voll, alle sof­fen sich zu mit becks aus der fla­sche und cai­pi­rin­has aus dem pauls. ein pa­ra­dies für an­ge­ber, säu­fer, ar­chi­tek­ten, new-eco­no­my fuz­zis und den geld­beu­tel der gas­tro­no­men.

ich moch­te den ort wirk­lich sehr. das al­les und die ol­len hack­fres­sen noch­mal zu se­hen war wirk­lich schön. schön dass es fil­me gibt die in pri­va­ten er­in­ne­run­gen rum­po­peln.

dem­nächst soll der film als DVD er­schei­nen, her­aus­ge­ge­ben von der merz-aka­de­mie und dem schloss so­li­tu­de [ama­zon-link].

mehr in­fos hier:
www.die­kal­te­plat­te.de
beta­ci­ty juli 2003
platt­form klei­ner schloss­platz bei halb­fas.de


[nach­trag 22.06.2014]
ich habe ein paar klei­ne recht­schreib­feh­ler und buch­sta­ben­dre­her kor­ri­giert (aber si­cher noch ei­ni­ge drin­ge­las­sen). aus­ser­dem: die kal­te plat­te ist seit ein paar jah­ren auch auf vi­meo zu se­hen:

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