in würde altern?

felix schwenzel

apro­pos, die be­ton­ste­len des ho­lo­caust-denk­mals in ber­lin ha­ben zwei jah­re nach­dem das denk­mal ein­ge­weiht wur­de ris­se be­kom­men. in der zei­tung steht das sei nicht schön und wür­de die leu­te stö­ren. uwe neu­mär­ker, der ge­schäfts­füh­rer der ho­lo­caust-mahn­mals-stif­tung, sagt die öf­fent­li­che mei­nung tue sich schwer mit ris­sen in be­ton­ste­len. der ar­chi­tekt hin­ge­gen, sagt er kön­ne gut da­mit le­ben: „Im Ei­sen­man­schen Ver­ständ­nis könn­te man mit der Ver­wit­te­rung le­ben.“ in der tat scheint der ar­chi­tekt we­der über­rascht noch ab­ge­neigt zu sein, dass sein werk ris­se be­kommt: „So what? ... Das Alte Rom! Not­hing is fo­re­ver!

jetzt will man die ris­se mit kunst­harz zu­kle­ben. steht in der zei­tung. in der glei­chen zei­tung steht ei­nen tag spä­ter, dass ei­sen­man sagt, das sei noch gar nicht ent­schie­den, man wäge noch ver­schie­de­ne mög­lich­kei­ten ab. an­de­re zei­tun­gen be­fra­gen füh­ren­de be­ton­ex­per­ten und su­chen mei­nun­gen zu ris­sen zu­sam­men. man konn­te die ris­se zwar schon seit mo­na­ten se­hen, be­rich­tet wird aber erst jetzt - war­um ei­gent­lich?. so kann man das som­mer­loch mit kunst­harz und be­ton­ste­len fül­len.

statt das denk­mal wür­de­voll alt wer­den zu las­sen, will man also dar­an her­um­dok­tern. im ur­laub, in por­to veccio habe ich in der alt­stadt eine frau ge­se­hen die ziem­lich alt ge­we­sen sein muss. das ist ja nix schlim­mes. ir­ri­tie­rend fand ich nur, dass ihre lip­pen wie schlauch­boo­te aus­sa­hen, ihr gan­zes ge­sicht nach hin­ten ge­zo­gen war, vor al­lem der be­reich un­ter der nase. sie sah aus wie ein ver­zerr­tes ali­en. men­schen be­kom­men auch ris­se, fal­ten, schup­pen, adern und punk­te — über­all am kör­per. aber ist das wür­de­voll, wenn sich alte men­schen den schön­heits­idea­len von 20jah­ri­gen oder 15 jäh­ri­gen un­ter­wer­fen und sich selbst, ihre spu­ren, ihre ver­gan­gen­heit, die spu­ren die ihr le­ben hin­ter­las­sen hat leug­nen?

und zack sind wir wie­der bei der wür­de! da hat­te ich ja schon­mal drü­ber ge­plau­dert. dar­über, dass po­li­ti­ker stän­dig von der wür­de von or­ten schwa­dro­nie­ren (und we­ni­ger von der men­schen­wür­de) und ich ei­gent­lich gar nicht weiss, was sie da­mit mei­nen.

das ho­lo­caust-denk­mal ist ja so ein „ort der wür­de“. hier ver­ste­he ich auch ein biss­chen was das be­deu­ten könn­te. es geht um sym­bo­lik. al­ler­dings wird die wür­de des or­tes am ho­lo­caust-denk­mal ziem­lich li­be­ral und of­fen aus­ge­legt. da wird ge­pick­nickt, ge­ges­sen, rum­ge­sprun­gen, laut und lei­se ge­re­det, aber auch still und lei­se nach­ge­dacht, me­di­tiert, ab­ge­taucht. es ist ein stil­ler und lau­ter ort zu­gleich! mit­ten im le­ben. mir ge­fällt das. ich den­ke es ist eine gute sa­che ge­den­ken nicht an ei­nem ste­ri­len, to­ten, ab­ge­schlos­se­nem ort statt­fin­den zu las­sen, son­dern mit­ten in der stadt, mit­ten im gross­stadt-dreck und lärm, mit­ten im le­ben! und nach je­der­mans fa­çon.

war­um ir­gend­ei­nen schein wah­ren und som­mer­lö­cher, bzw. ris­se zu­kle­is­tern? war­um nicht das denk­mal al­tern las­sen, es aus sei­nen ris­sen kalk wei­nen las­sen? es un­be­rührt al­tern las­sen wie ei­nen jü­di­schen fried­hof? es aus­hal­ten, dass nichts für ewig gleich bleibt, son­dern sich stets ver­än­dert?

das macht für mich die wür­de die­ses or­tes aus. die of­fen­heit, die ver­an­ke­rung im gross­stadt­le­ben und die ehr­lich­keit. auch der be­ton hat eine wür­de die nichts mit kunst­harz am hut hat. ix fin­de, die ris­se und die kalk­trä­nen müs­sen blei­ben!

[und das ist wohl auch das pro­blem mit der wür­de von or­ten: je­der in­ter­pre­tiert das was wür­de beu­deu­tet kom­plett an­ders.]

so oder so ähn­lich habe ich das am don­ners­tag auch in die watch-ber­lin-ka­me­ra ge­sagt: