next10, tag 2

felix schwenzel, , in wirres.net    

der zweite next-tag begann für mich um 11 uhr in track 1 mit vorträgen stefana broadbent, stowe boyd, jemima gibbons und andrew keen. peter kabel habe ich geholfen sein ladekabel in eine steckdose zu stecken, was sich witzig anhörte, als ich es gestern nachmittag @jovelstefan erzählte, aufgeschrieben aber nur so mittel-witzig wirkt. lobenswerterweise wurden bereits am zweiten tag die projektoren für die präsentationen so justiert, dass sie nicht mehr verzerrten. dafür wirkten einige referenten akkustisch und visuell etwas verzerrt.

stefana broadbent redete ca. 20 minuten darüber, dass wir (privat) im durchschnitt nur mit 4-5 menschen regelmässig telefonieren, mit etwas mehr menschen SMSen oder emailen und mit sehr viel mehr menschen lose kontakte, beispielsweise über facebook, unterhalten. das war nicht uninteressant, haute mich aber nicht vom stuhl, weil mir nichts davon wirklich neu oder überraschend vorkam. auf der TED-konferenz redete stefana broadbent über ganz ähnliche themen, allerdings nur 10 minuten.

stowe boyd habe ich schon öfter auf konferenzen reden gehört, aber nie verstanden was er eigentlich sagen will. diesmal hatte ich mir vorgenommen stowe boyds vortrag ganz besonders konzentriert zuzuhören, aber ausser plattitüden (die er „forschungsergebnisse“ nennt), konnte ich aus seinem vortrag nichts heraushören. da sein vortrag aber sehr wohlwollend aufgenommen wurde, lasse ich mich hiermit zu folgender steilen these hinreissen: stowe boyd ist so eine art jeff jarvis für blöde businesskasper. ich habe auch nur ganz geringe hoffnungen, dass ich erkenntnisse aus holger schmidts interview mit stowe boyd gewinnen kann, da bereits die überschrift die qualität eines satzes wie „draussen regnet es“ hat:

Stowe Boyd: „Viele Menschen verlassen Facebook“

was für eine grandios banale überschrift!

jemima gibbons las ihren vortrag ab, was furchtbar anstrengend für alle beteiligten war und ihr von ihrem nachredner andrew keen auch gleich um die ohren gehauen wurde. sie formulierte ein paar hübsche metaphern um den wandel unserer wahrnehmung von führungsqualität zu illustrieren. ihre hauptthese lässt sich in etwa so zusammenfassen: unantastbare, scheinbar perfekte führungsfiguren (oder „helden“) kan es heutzutage nicht mehr geben. ihre schwächen werden durch die neuen (sozialen) netze offengelegt, sie sind angreifbar und effektiver zu kritisieren. also müssen führungsfiguren heutzutage authentisch, offen und ehrlich sein: „social leaders have to be an example, but it has to be true.“

andrew keen zerriss sämtliche ihre thesen danach in der luft. in einem polemischen feuerwerk strohfeuer zerriss er die thesen aller seiner vorredner, was einerseits ziemlich beeindruckend war, aber, wie ix fand, auch ein bisschen arschlochig rüberkam. man kann es aber auch sehen wie arne kittler, nämlich, dass keen „im Handumdrehen die etwas ziellosen Vorträge seiner drei Vorredner […] in einen interessanten gemeinsamen Kontext stellte“. keen wiederholte seine kernthesen vom letzten jahr (wir müssen die gefahren und chancen die das internet bietet zuende denken) und warnte vor ideologischen und naiven herangehensweisen. keen wies beispielsweise darauf hin, dass sich an den eigentlichen machtstrukturen auch durch die sozialen netzwerke nichts verändern würde und der radikale individualismus und wettbewerb in den sozialen netzen uns eher schaden als nützen würde:

the competitive world of social media is making us more fragile and unsocial.

keens rhetorisches talent ist beeindruckend und sein aufruf das grosse ganze kritisch zu betrachten und zu durchdenken findet meine volle zustimmung. gleichzeitig dient keens wurstigkeit und sein hang erstmal auf alles draufzuhauen, bevor er zurückrudert die dinge differenzierter betrachtet, nicht dazu, sich einen ruf als begnadeter denker oder theoretiker zu erwerben, als den er sich, glaube ich, gerne sehen würde.

nach dem exzellenten mittagessen, das zum grossen teil aus den resten vom vortag bestand, sprach karlheinz brandenburg vom fraunhofer institut darüber wie er und seine kollegen das mp3-format erfunden haben. er hat das angenehm nüchtern und trocken und einen tacken interessanter und authentischer als es in der wikipedia steht erzählt und hat im übrigen, wenn er englisch spricht, exakt den gleichen akzent wie christoph walz.

gegen 14 uhr sprang eine, wie sie sich selbst beschreibt, „reife, erfahrene, selbstbewusste ältere frau“ („mature, experienced, confident older woman“) auf die bühne (foto) und eröffnete ihren vortrag indem sie das publikum wissen liess, dass sie gerne mit jungen männern um die zwanzig fickt:

i date younger men. predominantly men in their twenties. and when i date younger men, i have sex with younger men.

cindy gallop hat das selbstbewusstsein eines bulldozers, wovon man sich in diesem TED-konferenz-video überzeugen kann. ihr vortrag auf der next war etwas ausführlicher als der auf der TED, vor allem weil sie über die reaktionen die das vortragsvideo auf youtube hervorrief und ihre letztes jahr auf der TED-konfernez gelaunchte website makelovenotporn.com sprach.

faszinierend fand ich, wie cindy galoop mit den teilweise recht grenzwertigen kommentaren auf youtube umgeht. erstens beantwortet sie fast alle kommentare, auch wenn sie grob beleidigend sind und zweitens sagt sie, nehme sie die kommentare nie persönlich. man kann in der kommentarspalte ihres TED-videos sehr schön beobachten, wie sie zum beispiel auf einen kommentar, der unter anderem die beschimpfung „olle schrulle“ („old crone“) enthält, sachlich antwortet und mit „Yours, Old Crone :)“ schliesst. cindy galoop erzählte wie erschrocken die teilweise anonymen kommentatoren oft seien, wenn sie persönlich antworte und wie manchmal selbst die grössten deppen plötzlich differenziert kommentierten.

so ein umgang mit kritik erfordert eine riesige portion selbstbewusstsein und ich glaube, dass die welt um einiges besser wäre, wenn alle so gelassen mit kritik umgingen wie cindy galoop. allerdings wäre die welt auch nahezu unerträglich, wenn alle sprächen wie cindy galoop. ihre extrem schrille art zu reden, war knapp an der grenze zum schmerz, was sicherlich zu einem teil auch der überforderten tontechnik zu verdanken war.

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thomas knüwer war schwer enttäuscht von der next10. der zweite, feuilleton-lastige tag, hat mich nach dem schwachen und nach eigenlob riechenden ersten tag ein bisschen versöhnlicher gestimmt, aber wenn das essen besser als das programm ist, stimmt am konzept etwas nicht. es gab zu viele, zu mittelmässige vorträge und technische pannen, vieles auf den bühnen war lieblos vorbereitetet. man kann die next10 tatsächlich in einem tweet zusammenfassen:

Philipp Wanning: gut organisiert - selten inspiriert. #next10

falls mich jemand fragen würde, was ich an der next11 verbessern würde, ich würde sagen: die konferenz auf einen tag zusammenstreichen, alle mittlemässigen und uninteressanten vorträge streichen und einen einzigen track mit exzellenten vorträgen und moderatoren durchziehen.

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ausserdem: