wolf­gang herrn­dorf

felix schwenzel

ich habe die gross­ar­tig­keit des­sen, was schascha lobo in die­sem ar­ti­kel ver­linkt hat, fast über­se­hen, weil sa­scha vor­her fast drei ab­sät­ze über mu­sik ge­schrie­ben hat. und da es mir schon schwer fällt mu­sik an­zu­hö­ren, aber noch schwe­rer fällt über mu­sik zu le­sen, hab ich den ar­ti­kel heu­te früh, als er bei mir im goog­le rea­der auf­tauch­te, nur so über­flo­gen.

die­ser gan­ze schrott mit ir­gend­wel­chen dep­pen die in der ubahn mit ipho­nes mu­sik ma­chen oder die kreuz­lang­wei­li­ge scheis­se die „im­prov ever­y­whe­re“ ver­an­stal­ten, wird mir stän­dig in mei­nen goog­le-rea­der rein­geshared und ploppt über tage im­mer wie­der — wenn ei­ner den müll in sei­nem „rea­der“ oder „buzz“ „shared“ — di­rekt vor mei­ne nase. sa­scha lo­bos ar­ti­kel hat mir heu­te kei­ner in den rea­der geshared, den muss­te ich mir ana­log sha­ren las­sen, von der bei­fah­re­rin, die mich heu­te abend frag­te: „has­te das ge­le­sen, mit dem wolf­gang herrn­dorf, der hat krebs, nicht mehr lan­ge zu le­ben und schreibt jetzt bü­cher und ein blog dass ihm sa­scha lobo ein­ge­rich­tet hat.“

sie hat das glau­be ich völ­lig an­ders ge­sagt, und auch noch fast alle de­tails und poin­ten ge­nannt, aber ge­nau wie bei ei­nem gu­ten kri­mi oder ei­nem gu­ten film ist es scheiss­egal, wenn man die ge­schich­te kennt oder so­gar das ende (vie­le fil­me zei­gen heut­zu­ta­ge ja so­gar das ende des films am an­fang). es kommt nicht auf die sto­ry an (herrn­dorf hat krebs, stirbt mög­li­cher­wei­se bald und schreibt trotz­dem wei­ter bü­cher), son­dern was man aus ihr macht, wie man sie er­zählt. und wie wolf­gang herrn­dorf sei­ne ge­schich­te er­zählt [„däm­me­rung“, zwei kur­ze rück­blen­den (eins und zwei) und „eins“ (le­se­emp­feh­lungs­rei­hen­fol­ge via sa­scha lobo)], haut mich um. ohne pa­thos und doch er­schüt­ternd, er­schüt­ternd, aber doch wit­zig, ich-be­zo­gen ohne ende und doch fin­det man sich in je­dem zwei­ten ab­satz selbst wie­der. al­les dreht sich um den mög­li­chen tod und doch tropft aus je­der zei­le an­ste­cken­de hoff­nung, rea­lis­mus und op­ti­mis­mus.

zum ers­ten mal seit lan­ger zeit be­daue­re ich es mal wie­der am bild­schirm le­sen zu müs­sen und (ab)sät­ze, frag­men­te die ich fest­hal­ten möch­te nicht mit ei­nem text­mar­ker mar­kie­ren zu kön­nen:

Der Ge­sichts­aus­druck des Fünf­zehn­jäh­ri­gen er­in­nert mich auf son­der­ba­re Wei­se an das, was ich ur­sprüng­lich ein­mal ge­wollt habe im Le­ben. Der trot­zi­ge, hell­wa­che, an­ge­wi­der­te Blick, die Er­kennt­nis, daß die­se Welt eine Zu­mu­tung ist und der ab­les­ba­re Wil­le, ihr bei­zei­ten noch mit der Axt den Schä­del zu spal­ten. So gut wie Ham­sun habe ich na­tür­lich nie aus­ge­se­hen, aber ich weiß noch sehr ge­nau, wie sich die­ses Ge­sicht von in­nen an­fühl­te. (quel­le)

Pas­sig steht ir­gend­wann mit der Hüf­te an ei­nen Tisch ge­lehnt und hin­ter­läßt ei­nen Brief, in dem steht, daß bei der Häß­lich­keit mei­ner Bett­wä­sche Krebs die not­wen­di­ge Fol­ge sei. Ich brau­che lan­ge, um her­aus­zu­fin­den, wel­che Bett­wä­sche sie meint und daß sie bei mir zu Hau­se war. (quel­le)

Ge­sprä­che mit den Ärz­ten lau­fen dar­auf hin­aus, daß sie ver­su­chen, mir Er­in­ne­rungs­lü­cken nach­zu­wei­sen, weil ich mich an sie und ihre Na­men nicht er­in­ne­re. Mich nen­nen sie grund­sätz­lich Herns­dorf. (quel­le)

ir­gend­wann hab ich mal ge­le­sen, dass die in­ter­essanz der men­schen, die krea­ti­vi­tät und le­bens­freu­de der mensch­heit in ih­rer sterb­lich­keit (bzw. dem be­wusst­sein der­sel­ben) be­grün­det liegt. bei wolf­gang herrn­dorf ist die­ses phä­no­men kon­zen­triert zu be­ob­ach­ten. so kon­zen­triert dass es ei­nen schüt­telt.

Eine In­fra­ge­stel­lung der Exis­tenz, eine nicht mehr nur bloß abs­trak­te Er­kennt­nis der ei­ge­nen Be­deu­tungs­lo­sig­keit im An­ge­sicht der Un­end­lich­keit und eine Selbst­über­re­dung zum Le­ben. Schließ­lich die Ge­wiß­heit, die Sa­che in den Griff zu be­kom­men.
Eine Selbst­täu­schung, von der ich von An­fang an wuß­te, daß sie eine Selbst­täu­schung ist, und die trotz­dem funk­tio­nier­te. Im Grun­de nichts an­de­res als die Ein­stel­lung, mit der ich im Al­ter von sechs oder sie­ben Jah­ren, nach der Er­kennt­nis des To­des, auch wei­ter­ge­lebt habe: Ich wer­de ster­ben, ja, aber es ist noch lan­ge hin (und der Tag wird nie kom­men).

Es be­ginnt: Das Le­ben in der Ge­gen­wart. (quel­le)

am bes­ten al­les le­sen. jetzt gleich!