jauch­schrei

felix schwenzel

sonn­tag, nach­dem ich gün­ther jauchs sen­dung zum the­ma #auf­schrei ge­se­hen habe, war ich leicht be­stürzt. un­ter an­de­rem über wib­ke bruhns, die ich bis­her im­mer für eine klu­ge, of­fe­ne und neu­gie­ri­ge frau ge­hal­ten hat­te, die in der sen­dung aber eine er­staun­li­che igno­ranz und ver­bis­se­ne al­ters­bes­ser­wis­se­rei de­mons­trier­te. ihre ar­gu­men­ta­ti­ons­li­nie war im we­sent­li­chen, dass se­xis­mus und se­xu­el­le be­läs­ti­gung na­tur­ge­ge­ben sei­en und da­mit un­ver­än­der­bar in die­ser welt sei­en. män­ner und frau­en sei­en nun­mal un­ter­schied­li­che spe­zi­es.

eine er­staun­li­che hal­tung für eine jour­na­lis­tin, die sich ja dem­nach auch ihr gan­zes jour­na­lis­ten­le­ben hät­te spa­ren kön­nen und statt über po­li­ti­sche kor­rup­ti­on, stu­den­ten­pro­tes­te, den kal­ten krieg oder mensch­li­che schick­sa­le ein­fach über über die mensch­li­che na­tur hät­te phi­lo­so­phie­ren kön­nen: die men­schen sind macht­be­ses­sen und geld­gie­rig, ost und west ge­trennt, ju­gend­be­we­gun­gen mit ihre welt­frem­den idea­len wer­den im­mer ir­gend­wann ins po­li­ti­sche sys­tem as­si­mi­liert und men­schen lei­den be­reits seit jahr­tau­sen­den in die­ser welt. hat sie aber nicht. statt über die mensch­li­che na­tur und ihre un­ver­än­der­bar­keit hat sie über recht und un­recht be­rich­tet, sich für wil­ly brandt ein­ge­setzt, für ver­än­de­rung ge­kämpft, ge­schrie­ben, ar­gu­men­tiert, ge­re­det. wo­her kam in jauchs sen­dung ihr fa­ta­lis­mus (und her­ab­las­sen­des grin­sen)?

pa­tri­cia camma­ra­ta hat­te am mon­tag, als ich mit mit ihr über die sen­dung un­ter­hielt (und ne­ben­bei ein paar her­ren­witz mach­te), eine er­staun­lich schlüs­si­ge er­klä­rung für wib­ke bruhns ver­hal­ten bei jauch: selbst­schutz. es mag ja sein, dass wib­ke bruhns noch nie eine un­an­ge­neh­me oder be­droh­li­che si­tua­ti­on er­lebt hat, es kann aber auch sein, dass ihre stra­te­gie mit sol­chen si­tua­tio­nen um­zu­ge­hen ein­fach dar­in be­steht be­läs­ti­gun­gen als nor­mal zu ak­zep­tie­ren, sie zu ver­drän­gen, zu leug­nen und zu re­la­ti­vie­ren.

die stra­te­gie mit (se­xu­el­ler) be­läs­ti­gung oder ver­let­zun­gen mit igno­ranz, gleich­mut und an­schlies­sen­der ver­drän­gung zu be­geg­nen wur­de in der mensch­heits­ge­schich­te mil­lio­nen­fach er­probt. na­tür­lich kann man ver­let­zun­gen, be­lei­di­gun­gen, be­dro­hun­gen an sich ab­pral­len las­sen, bzw. sich so ver­hal­ten, dass es nach aus­sen hin so aus­sieht, als be­rüh­re es ei­nen nicht. und man kann sich auch er­folg­reich ein­re­den, dass ei­nen ver­let­zun­gen die man er­fährt gar nicht ver­let­zen. ge­nau­so wie man fröh­lich sin­gend durch den dunk­len wald zie­hen kann — und sich trotz­dem vor angst fast in die hose macht.

wie gut ver­drän­gungs- und selbst­schutz­me­cha­nis­men funk­tio­nie­ren, fiel mir im lau­fe der letz­ten tage auf. den vie­len tweets und blog­ar­ti­keln zum the­ma #auf­schrei kann man ja kaum aus­wei­chen, ge­nau­so wie man kaum ver­mei­den konn­te, in den letz­ten ta­gen über das the­ma nach­zu­den­ken und zu re­den.

mir fiel beim nach­den­ken und er­in­nern ei­ge­ner er­leb­nis­se auf, wie sehr das the­ma mit macht- und stär­kede­mons­tra­tio­nen zu tun hat und wie wich­tig es ist, dar­über nicht zu schwei­gen. die ei­ge­nen ver­let­zun­gen oder trau­ma­ta nicht zu ver­drän­gen schafft ver­ständ­nis und em­pa­thie und führt lang­fr­si­tig si­cher­lich auch zu lö­sungs­an­sät­zen.


seit mei­nem sech­zehn­ten oder sieb­zehn­ten le­bens­jahr sieht man mir an, dass ich an­de­ren weh tun könn­te. was man mir nicht an­sieht ist, dass ich kör­per­li­che ge­walt ver­ab­scheue¹ und nur sehr schwer in ei­nen zu­stand der wut zu ver­set­zen bin (in dem ich mei­ne ab­scheu ge­gen­über ge­walt ver­ges­sen könn­te). mein er­schei­nungs­bild hat mich si­cher­lich vor sehr vie­len un­an­ge­neh­men be­geg­nun­gen be­wahrt.

al­ler­dings war ich auch mal klein und we­nig ab­schre­ckend. und das wur­de nicht sel­ten von leu­ten die sich stär­ker als ich fühl­ten (oder wa­ren) aus­ge­nutzt. ich kann mich noch re­la­tiv gut an ein paar arsch­lö­cher er­in­nern, die sich als ich als 13 oder 14 jäh­ri­ger mit dem bus zum reit­un­ter­richt (!) fuhr, sehr laut über ein paar äus­ser­li­che merk­ma­le von mir lus­tig mach­ten und mir das auf eine sehr un­an­ge­neh­me art und wei­se, sehr nahe vor mir auf­ge­baut, ins ge­sicht sag­ten. was mir beim nach­den­ken über die­ses kur­ze er­leb­nis wie schup­pen von den au­gen fiel, war die in­ten­ti­on der arsch­lö­cher: es ging (na­tür­lich) um de­mü­ti­gung und ein­schüch­te­rung. die im­pli­zi­te an­dro­hung von ge­walt war nicht das ziel, son­dern der weg: ver­giss nicht; wir be­stim­men wo es lang­geht, wir sind stär­ker und wol­len dich das jetzt mal spü­ren las­sen.

arsch­lö­cher ge­nies­sen es an­de­ren ihre (ver­meint­li­che) stär­ke und macht zu de­mons­trie­ren. wenn sich eine ge­le­gen­heit er­gibt und sie nie­mand dar­an hin­dert strei­cheln sie ih­ren klei­nen ego, in­dem sie an­de­re er­nied­ri­gen um sich selbst grös­ser zu füh­len. dass hin­ter die­sen mach­de­mons­tra­tio­nen oft un­si­cher­heit, schwä­che und ver­letz­bar­keit steckt, wuss­te ich als 13 oder 14 jäh­ri­ger na­tür­lich nicht, aber selbst wenn ich es ge­wusst hät­te, wäre es in der si­tua­ti­on we­nig hilf­reich ge­we­sen. aus­ser­dem blei­ben leu­te, die sich aus jäm­mer­lich­keit wie arsch­lö­cher be­neh­men, durch­aus arsch­lö­cher.

es gab in mei­nem le­ben ein paar sol­cher si­tua­tio­nen, was mir aber in die­sem ar­ti­kel egal ist. denn der eine ent­schei­den­de punkt, der mir in den letz­ten ta­gen auf­ge­fal­len ist, ist dass be­läs­ti­gung, de­mü­ti­gung, die re­du­zie­rung auf äus­ser­lich­kei­ten, se­xis­mus, wha­te­ver, sich nie auf au­gen­hö­he ab­spielt, son­dern im­mer mit ei­nem hö­hen­un­ter­schied ein­her­geht. es geht um macht­sym­bo­lik, um macht­ver­hält­nis­se und um un­ter­drü­ckung. zu­fäl­li­ger­wei­se ist das die klas­si­sche for­mel der frau­en­be­we­gung. die for­mel woll­te ich bis­her, bei al­ler sym­pa­thie für die frau­en­be­we­gung, in ih­rer ra­di­ka­li­tät nie ganz wahr­ha­ben. das liegt aber auch dar­an, dass ich op­ti­mist bin und in sa­chen arsch­lochig­keit be­grenz­te phan­ta­sie und er­fah­rungs­ho­ri­zon­te habe.

der an­de­re ent­schei­den­de punkt ist mein ein­ge­ständ­nis, dass ich auch viel zu oft ein arsch­loch war und ver­mut­lich hin und wie­der auch noch bin. dass ich ger­ne die schwä­chen an­de­rer aus­ge­nutzt habe und aus­nut­ze, nur um mich selbst stär­ker oder bes­ser zu füh­len.

Nicht "Män­ner" wer­den über­grif­fig, son­dern Arsch­lö­cher. #auf­schrei

25.01.2013 9:27 via Hoot­Suite Re­p­ly Ret­weet Fa­vo­ri­te 

@Wel­ten­kreu­zer Nils Mül­ler

ich glau­be es geht nicht nur um die arsch­lö­cher, son­dern auch um die me­cha­nik, die struk­tu­ren und die rol­le die wir in ih­nen spie­len. mal als arsch­lö­cher, mal als ziel von arsch­lö­chern, mal als schmier­mit­tel für arsch­lö­cher. viel­leicht bin ich et­was arg ro­man­tisch, aber ich glau­be tat­säch­lich, dass das hö­ren und le­sen von be­rich­ten über all­täg­li­che er­nied­ri­gung, be­läs­ti­gung und ängs­te, das nach­den­ken und er­in­nern, das re­flek­tie­ren, das re­den und dis­ku­tie­ren dar­über was wir alle da­mit zu tun ha­ben hilft lö­sun­gen zu fin­den.


sonn­tag abend brann­te bei mir eine si­che­rung durch, als ka­ra­sek bei jauch ir­gend­et­was über frau­en er­zähl­te, die sich auch mal ge­dan­ken ma­chen soll­ten ob und wann sie sich „auf­rei­zend“ an­zie­hen soll­ten oder nicht. eine sol­che stolz vor­ge­tra­gen­de igno­ranz und selbst­ge­fäl­lig­keit hielt ich bis­her nur in talk­shows am nach­mit­tag für mög­lich.

mir fiel nach der sen­dung nur eine sehr hin­ken­de ana­lo­gie ein. ich dach­te man könn­te mal fra­gen, ob män­nern, die sich au­tos über €10.000 leis­ten ei­gent­lich bei dieb­stahl, van­da­lis­mus oder wenn die kis­te in ber­lin in flam­men auf­geht auch eine mit­schuld ge­ge­ben wird? spricht man in sol­chen fäl­len da­von, dass die sich auch mal ge­dan­ken ma­chen soll­ten, ob sie sich so ein „auf­rei­zen­des“ blech­kleid an­zie­hen? und wo?

die ana­lo­gie, die ana­tol ste­fa­no­witsch hier aus dem in­ter­net auf­ge­ga­belt und über­setzt hat, trifft das aber viel bes­ser als mein hin­ken­der ver­gleich:

Mann: Ich möch­te ei­nen Stra­ßen­raub mel­den.
Po­li­zist: Ei­nen Raub, ja? Wo hat der statt­ge­fun­den?
Mann: Ich war ge­ra­de an der Ecke 21ste und Dund­rich Street als ein Mann eine Pis­to­le auf mich rich­te­te und sag­te, „Gib mir all dein Geld.“
Po­li­zist: Und, ha­ben Sie das ge­tan?
Mann: Ja, ich habe mich ko­ope­ra­tiv ver­hal­ten.
Po­li­zist: Sie ha­ben ihm also be­reit­wil­lig Ihr Geld ge­ge­ben, ohne sich zu weh­ren, um Hil­fe zu ru­fen oder weg­zu­lau­fen?
Mann: Ja, aber ich hat­te Angst. Ich dach­te, er wür­de mich tö­ten.
Po­li­zist: Mhm. Aber Sie ha­ben mit ihm ko­ope­riert. Und wie ich höre, sind sie ein ziem­lich wohl­tä­ti­ger Mensch.
Mann: Ich spen­de Geld für gute Zwe­cke, ja.
Po­li­zist: Sie ge­ben an­de­ren also ger­ne ihr Geld. Sie ge­ben an­de­ren ge­wohn­heits­mä­ßig ihr Geld.
Mann: Was hat das mit die­ser Si­tua­ti­on zu tun?
Po­li­zist: Sie sind wis­sent­lich in Ih­rem An­zug die Dund­ritch Street ent­lang­ge­lau­fen, ob­wohl je­der weiß, dass Sie ihr Geld ger­ne her­ge­ben, und dann ha­ben Sie sich nicht ge­wehrt. Es klingt für mich, als ob Sie Ihr Geld frei­wil­lig her­ge­ge­ben ha­ben, und jetzt be­reu­en Sie Ihre Spen­de nach­träg­lich. Wol­len Sie wirk­lich das Le­ben die­ses Man­nes rui­nie­ren, weil SIE ei­nen Feh­ler ge­macht ha­ben?

und auch das fa­zit am ende sei­nes sehr le­sens­wer­ten tex­tes möch­te ich zi­tie­ren:

Und das ein­zi­ge, was wir kon­kret tun kön­nen, wird sein, nicht eine Se­kun­de lang zu den­ken — ge­schwei­ge denn, ih­nen zu ver­mit­teln —, dass SIE et­was da­ge­gen hät­ten tun kön­nen. Wir alle — Frau­en und Män­ner, aber vor al­lem wir Män­ner — müs­sen da­für kämp­fen, dass se­xu­el­le Über­grif­fig­keit in je­der Form als Ver­ant­wort­lich­keit des Tä­ters be­trach­tet wird, und als Ver­ant­wort­lich­keit ei­ner Ge­sell­schaft, die sich mit den Tä­tern so­li­da­ri­siert, die die Hand­lun­gen der Tä­ter re­la­ti­viert, die die Si­tua­ti­on der Be­trof­fe­nen tri­via­li­siert.


jauchs ab­schluss­fra­ge an die run­de war völ­lig de­pla­ziert, lau­te­te aber in etwa, ob sich brü­der­le ent­schul­di­gen sol­le oder nicht. er bat die run­de mit ja oder nein zu ant­wor­ten. die vor ei­tel­keit plat­zen­de tal­ker­run­de muss­te ih­rem „ja“ oder „nein“ aber aus­nahms­los je­weils noch ein kur­zes state­ment hin­zu­fü­gen — bis auf anne wiz­o­rek. die hat ein­fach nur „ja“ ge­sagt. ich fand das sehr er­fri­schend und un­ei­tel.


ein paar ar­ti­kel zum the­ma #auf­schrei, die mir gut ge­fie­len.

  sued­deut­sche.de: TV-Kri­tik zu Gün­ther Jauch - Vor Fas­sungs­lo­sig­keit die Spra­che ver­schla­gen   #

  hap­py­schnit­zel.com: Bes­ser spät als nie: Die Se­xis­mus-De­bat­te   #

  as­te­fa­no­witsch.tumb­lr.com: Sagt ih­nen nicht, dass sie sich hät­ten weh­ren sol­len   #

  klei­ner­d­rei.org: Lauch oder Janz   #


1) der haupt­grund für mei­ne ver­ab­scheu­ung kör­per­li­cher ge­walt ist die furcht mich selbst ver­let­zen zu kön­nen. kör­per­li­che ge­walt die ei­nem re­gel­kor­sett un­ter­wor­fen ist, das schlim­me­re ver­let­zun­gen ver­mei­det, mag ich ganz ger­ne. ich habe ein paar jah­re judo be­trie­ben und war ein paar mo­na­te lang mit­glied des rin­ger-teams der steil­a­coom high­school in der nähe von ta­co­ma. was ich dort vor al­lem ge­lernt habe ist, dass es im­mer je­man­den gibt der stär­ker, ge­mei­ner, bru­ta­ler oder ge­schick­ter als man selbst ist.