wan­dern in ber­lin, teil 2

felix schwenzel

(teil 1 hier)
beim wan­dern sieht man sei­ten der stadt, die man sonst, auf dem fahr­rad, im auto, in der bahn kaum zu se­hen ver­mag. man er­kennt, wenn man durch ber­lin wan­dert, wie un­glaub­lich viel­sei­tig die­se stadt ist — und wie we­nig man von ihr weiss. bei­spiels­wei­se dass der weg durch den tier­gar­ten, vor­bei am schleu­sen­krug, di­rekt am bahn­hof zoo aus­kommt. das ist lo­gisch, steht so in je­der land­kar­te, aber erst wenn man den fuss­weg lan­ge­gan­gen ist, qua­si aus dem wald auf den vor­platz des bahn­hof zoo tritt, ver­steht man den zu­sam­men­hang.

jede stras­se der man folgt än­dert sich alle paar hun­dert me­ter mal ra­di­kal, mal we­ni­ger. die bun­des­alle, die am bahn­hof zoo als joa­chim­s­ta­ler stras­se an­fängt und un­ge­fähr eine kreu­zung nach dem kur­fürs­ten damm zur bun­des­al­lee wird, fängt präch­tig an, strot­zend vor tou­ris­ten­fal­len und wan­delt sich dann lang­sam in eine 70er-jah­re ar­chi­tek­tur­höl­le. in­klu­si­ve ei­ner pas­sen­den ein­rich­tungs­höl­le.

ve­ni­zia­ni­sche ein­rich­tungs­höl­le

hier rei­hen sich be­ton­bur­gen mit woh­nun­gen, ho­tel­zim­mern und ver­wal­tungs­ge­bäu­den an­ein­an­der.

job­cen­ter char­lot­ten­burg wil­mers­dorf

zwi­schen­durch bricht der be­ton auf und es tun sich stras­se auf die aus­se­hen als sei­en sie aus düs­sel­dorf hier­her ge­beamt wor­den. düs­sel­dor­fer chi­que trifft ber­li­ner grös­sen- und 70er-jah­re ef­fi­zi­enz­wahn. ich muss­te dann ir­gend­wann ein biss­chen in die wohn­vier­tel nach wes­ten ab­drif­ten, weil mich die bun­des­al­lee zu sehr frus­trier­te. dort gibt es of­fen­bar eine ha­cker­stras­se.

ha­cker­stras­se

von dort aus lan­de­te ich dann an der hin­ter­sei­te ei­nes rie­si­gen ein­kauf­zen­trums das sich „bou­le­vard ber­lin“ nennt. die ar­chi­tek­tur zeit­ge­nös­sisch, am­bi­tio­niert, aber trotz­dem gi­gan­to­ma­nisch und schreck­lich.

hin­ter­hof des „bou­le­vard ber­lin“
park­haus­ein­fahrt des „bou­le­vard ber­lin“
schild­hor­stras­se mit blick auf den „bou­le­vard ber­lin“ und den „bier­pin­sel“

den turm da an der schild­horn­stras­se kann­te ich noch nicht. er sah aus, als hät­ten sich dort mal woh­nun­gen be­fun­den. in der wi­ki­pe­dia steht, dss der turm le­dig­lich gas­tro­no­misch ge­nutzt wur­de und bier­pin­sel ge­nannt wird. da­von hat­te ich schon öf­ter in der zei­tung ge­le­sen, aber im­mer ge­dacht, der bier­pin­sel wäre der turm an der avus. aber das ist die avus rast­stät­te. der bier­pin­sel steht zur zeit je­den­falls leer und bie­tet platz für graf­fi­ti und tau­ben.

bier­pin­sel

ich war also schon in ste­glitz. in der schloss­stras­se hat­te ich dann end­gül­tig mein düs­sel­dorf déjà-vu. con­fi­se­ri­en, pâ­tis­se­rien, schuh­ge­schäf­te, ein hipps­ter-kauf­haus („na­tur­kauf­haus“), body shops, ja­pa­ner, ita­lie­ner — und ein star­bucks. ich muss­te jetzt nach fast 2½ stun­den marsch doch mal pin­keln. ich ent­schied mich da­ge­gen, €3,50 für heis­se milch mit ei­nem es­pres­so zu be­zah­len und freu­te mich auf den gu­ten, alt­mo­di­schen fil­ter­kaf­fee mit kaf­fee­sah­ne, der mich bei mei­nen ver­wand­ten er­war­te­te. noch 20 mi­nu­ten, 20 mi­nu­ten ste­glitz. das hoch­haus über dem ubahn­hof ra­th­haus ste­glitz sah aus als büs­se es für die bau­sün­den der 70er jah­re und rief laut: „re­no­viert mich!“ nie­mand schien sich für die rufe zu in­ter­es­sie­ren. kurz dar­auf ein denk­mal für den ver­zwei­fel­ten ar­chi­tek­ten.

10 mi­nu­ten vor dem ziel dann noch ein rie­si­ger BMW, mini, rolls roy­ce und fer­ra­ri und so wei­ter händ­ler. für die rolls-roy­ce aus­stel­lung wur­de ex­tra ein klei­nes show­room-ge­bäu­de ge­baut. lei­der ex­trem scheuss­lich. die be­trei­ber fin­den den bau zwar „mo­dern und ele­gant“ und dass mit die­sem „Am­bi­en­te das Image der welt­be­rühm­ten Ma­nu­fak­tur für Lu­xus-Au­to­mo­bi­le“ un­ter­stri­chen wer­de. das kann man, zu­min­dest mit dem blos­sen auge, lei­der nicht er­ken­nen.

rolls-roy­ce show­room („mo­dern und ele­gant“)

die rolls-roy­ce au­tos selbst ha­ben in etwa die rei­fen-grös­se und ka­ros­se­rie-höhe von mo­der­nen SUVs. ich mag die klo­bi­ge und gi­gan­to­ma­ni­sche ge­stal­tung der wa­gen. und ich glau­be SUVs ver­su­chen in ge­nau die­se rei­fen­spur zu tre­ten: er­höh­te sitz­po­si­ti­on, viel ge­bor­gen­heit spen­den­des und ag­gres­si­vi­tät aus­strah­len­des blech um die pas­sa­gie­re, rie­sen­rei­fen und platz und ver­brauch ohne ende. qua­si das ge­naue ge­gen­teil ei­nes klein­wa­gens.

rolls-hy­un­dai

10 mi­nu­ten spä­ter war ich am ziel. mein t-shirt hat­te ein paar salz­rän­der, die aber vom ein­set­zen­den re­gen wie­der mas­kiert wur­den. er­staun­li­cher­wei­se war ich nicht er­schöpft, die bei­ne wa­ren nicht müde, auch ei­nen tag spä­ter hat­te ich kei­nen mus­kel­ka­ter. zu­rück­zu­lau­fen hat­te ich dann aber doch kei­ne lust mehr, ich wäre dann erst ge­gen 22 uhr zu­hau­se ge­we­sen. und man solls ja nicht über­trei­ben.

(teil 1 hier)