vergangenheit als attitüde

felix schwenzel, , in wirres.net    

heute habe ich diesen text von thomas hoof gelesen, dem gründer von manufactum und verleger von akif pirinçcis „Deutschland von Sinnen“. danach gingen mir in etwa diese gedanken durch den kopf:

das neue berliner schloss, manufactum und akif pirinçcis tiraden basieren alle auf dem gleichen sentimentalen fehlschluss: früher sah alles besser aus.

weil der zuckerbäckerstil des 15. jahrhunderts manchen so viel besser gefällt als zeitgemässe architektur, wird jetzt mitten in berlin ein hyper-moderner, effizienter bau erstellt, der am ende mit der fassade von vor ein paar hundert jahren beklebt wird. war ja früher alles besser — bis auf die energieeffizienz, die haus- und klimatechnik, die sicherheitstechnik, die fenster, die putze und wandfarben, die möbel und die scheisshäuser.

manufactum verzichtet bei der herstellung und den vertrieb der „guten alten dinge“ natürlich nicht auf modernste logistik, verpackungstechnik und marketing, inklusive vertrieb und marketing im internet; dieses ding, das viele, nicht nur manufactum-marketing-opfer, als gar nicht mal so gut und alt befinden. ein modernes unternehmen, das menschen, die die vorzüge der modernen welt geniessen, etwas glorifizierte-alte-welt-make-up zum abdecken der überkomplexen realität verkauft.

und jetzt bemängelt thomas hoff, der herausgeber von akif pirinçci, dass viele buchhändler sich so wie in der angeblich so guten alten zeit verhalten; ein bisschen betulich, sehr vorsichtig und sich auf das bauchgefühl — nicht algorithmen — verlassend. sollen sie doch sterben und vom modernen, fortschrittlichen, algorithmus-getriebenen amazon in den abgrund treiben lassen, sagt er. denn amazon verkaufe das werk aus hoffs verlag, dass die angeblich gute alte zeit, das „alte Deutschland“ wieder zurückwüten will, wie warme semmeln. die guten alten buchhädler (es gibt sie noch), verhalten sich angesichts des blödsinns den hoof unter die leute bringen will, etwas zurückhaltender.

die zeit die sich pirinçci und viele andere zurückwünschen ist eine, in der es in deutschland noch keine umweltprobleme gab (weil noch niemand drüber sprach), kaum minderwertigkeitskomplexe gab (es gab stolz und status) und vor allem keine gleichberechtigungsprobleme gab (es gab klare hierarchien). überaggressive, testesteron-verspritzende weicheier wie pirinçci mussten damals™ ihre alphatierrolle weder mit hengstbissigkeit, noch mit argumenten verteidigen, sondern bekamen sie dank ihres geschlechts einfach auf lebenszeit verliehen.

das ist die widersprüchlichkeit der schlossbauer, der hoofs und pirinçcis: sie wollen alle nicht auf die vorzüge der modernen welt verzichten — aber sie wünschen sich nichts sehnlicher als dass diese moderne welt so wie früher™ aussieht und sich auch ein bisschen so anfühlt. sie haben alle nichts gegen den fortschritt, man soll ihn nur nicht sehen, keine konsequenzen aus ihm ziehen und vor allem nicht darüber reden! so wie früher eben, als die welt noch übersichtlich, still und geordnet zu sein schien.