147

felix schwenzel in notiert

ich mag es, wenn ich zu bus­hal­te­stel­len kom­me und kurz da­nach der bus an­fährt. ich ge­nies­se dann lei­se den klang der gauß­schen nor­mal­ver­tei­lungs­glo­cke.

vor­letz­te wo­che frei­tag dau­er­te es wie­der mal nur 2 mi­nu­ten. vor mir klet­tert eine äl­te­re dame vor­ne in den bus. der bus­fah­rer, mit ner sil­ber­ket­te über dem t-shirt, an der ein blau­er kuli hängt, guckt den hips­ter auf dem schwer­be­hin­der­ten-sitz böse an, der nimmt aber we­der die alte dame noch den bus­fah­rer wahr und tippt wei­ter auf sei­nem han­dy. die alte dame läuft sehr lang­sam durch den bus, bis zum hin­te­ren aus­stieg. sie igno­riert auf­ste­hen­de men­schen, die ihr ih­ren platz an­bie­ten wol­len und bleibt an der hin­te­ren tür ste­hen.

das mäd­chen am aus­gang bie­tet ihr eben­falls ih­ren platz an, die dame be­steht aber dar­auf ste­hen zu blei­ben: „it’s only one stop.“

sie krallt sich an den stan­gen am aus­gang fest, ihre krü­cken hat sie un­ter die arme ge­klemmt.

plötz­lich steht der bus­fah­rer im gang und fängt an zu schrei­en. war­um den nie­mand der dame ei­nen platz an­bie­te­te! er guckt das mäd­chen am aus­steig an: „ja du da, steh mal auf und lass die dame sit­zen!“

das mäd­chen ist ver­stört: „aber ich habe ihr doch mei­nen platz an­ge­bo­ten!“

die an­de­ren fahr­gäs­te ni­cken. leicht be­dröp­pelt und lei­ser geht der fah­rer zu­rück zu sei­nem platz, be­sinnt sich aber co­lum­bo­mäs­sig und fängt an die oma freund­lich an­zu­schrei­en: „sie kön­nen da nicht ste­hen­blei­ben!“

„hm? what?“

„das geht nicht! das ist nicht si­cher! setz­ten sie sich da mal hin!°

ein an­de­res mäd­chen über­setzt. die dame in­sis­tiert: „but it's only one stop!“ der bus­fah­rer in­sis­tiert auch, die dame gibt nach und lässt sich sehr lang­sam auf den sitz her­ab. der sitz wirkt viel zu tief. so­bald die dame sitzt, fah­ren wir los.

als ob er jetzt die ge­fähr­lich­keit des bus­fah­rens noch­mal kurz il­lus­trie­ren wol­le, fährt der bus­fah­rer wie ein ber­ser­ker los. ich fal­le fast um. aber im­mer­hin: nie­mand schreit mehr.

noch drei schnel­len kur­ven, also un­ge­fähr 20 se­kun­den fängt der fah­rer wie­der an zu schrei­en: „ja jun­ge frau! ent­schul­di­gen sie!“ er schaut im rück­spie­gel das im­mer noch leicht ver­stör­te mäd­chen an, das er eben an­schrie. „das hat­te ich nicht mit­be­kom­men, wa! tut mir leid das ich da et­was grob war!“

ein fahr­gast möch­te auch was sa­gen: „me­ckern ja im­mer alle über die BVG. aber wenn dann mal was pas­siert, dann gu­cken se!“

der bus­fah­rer stimmt ein: „ein om­ni­bus ist kei­ne stras­sen­bahn!“

500 me­ter vor der nächs­ten hal­te­stel­le macht sich pa­nik in den au­gen der al­ten dame breit: hält der fah­rer jetzt auch wirk­lich? kom­me ich über­haupt wie­der aus dem sitz? fährt der wie­der los, be­vor ich aus­ge­stie­gen bin?

ihre sor­gen sind un­be­grün­det: an der hal­te­stel­le zer­ren drei fahr­gäs­te an ihr rum, um ihr auf­zu­hel­fen, der bus­fah­rer leis­tet per­sön­lich, am hin­te­ren aus­gang, aus­stiegs­hil­fe. so­bald die dame wie­der si­cher auf fes­tem bo­den steht schaut er sie freund­lich an und klopft ihr mehr­fach auf die schul­ter.

da­nach war wie­der alle so wie sonst in ber­li­ner bus­sen.